Was gilt als Trugschluss bzw.

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- bzw. gibt es eine Definition, aus der sich alle Fälle von Trugschlüssen ableiten lassen?

Bei Sikora fehlt der Begriff im Schlagwortverzeichnis, Haunschild nennt den Trugschluss in Dur zur VI-7 und den in Moll zur bVIj7, und Wikipedia zählt neben den beiden "Standardfällen" noch auf:

1 In Dur der aus dem gleichnamigen Mollgeschlecht stammende Trugschlussklang, in C-Dur: C - G - Ab

2 In Dur der Sextakkord der Subdominante (häufige Wendung bei Mozart), in C-Dur: C - G - F

3 Eine in ihrer Wirkung überraschende Zwischendominante, in C-Dur: C - G - A (wobei der Melodieton hochalteriert wird - c# statt c)

Wenn das Kriterium ein "überraschender Schluss durch einen Tonikavertreter" (Wiki) ist, würde ich mir den ersten Fall dieser Aufzählung noch mit MI erklären, aber inwiefern ist der zweite ein Trugschluss und inwiefern der dritte?

Und wären nach diesem Kriterium nicht auch dies Trugschlüsse:

in C-Dur: D-7 G7 E-7 - also zum Tg als Tonikavertreter
in A-Moll: B-7b5 E7b9 Cj7 - also zum tP als Tonikavertreter


Gruuuß,
Heiner
 
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Zuletzt bearbeitet:
gibt es eine Definition, aus der sich alle Fälle von Trugschlüssen ableiten lassen?
Vielleicht folgende:

Der Trugschluss ist eine allgemeine Bezeichnung für jede Akkordverbindung welche eine Erwartungshaltung auf die Tonika zwingend aufbaut, diese dann aber nicht einlöst.

inwiefern ist der zweite ein Trugschluss und inwiefern der dritte?
Was als "Betrug" gilt, ist natürlich abhängig von den Hörgewohnheiten bzw. dem Zeitalter der Musik. Zu Zeiten von Mozart wurde auf die V ziemlich zwingend die I erwartet. Den Blues, der die V-IV-Verbindung für uns populär machte, gab es noch nicht. Auch V-VI# (# bezogen auf c#->Variant-Trugschluss) war damals sicher ungewöhlich, wie ja schon der "Trugschluss" (in Dur) im engeren Sinn: V-VI.

Ob für einen Jazzer der zuletzt genannte Trugschluss oder auch die weiter unten genannten Verbindungen wirklich mit einem "Betrug" der Hörerwartung zu bezeichnen sind, darf bezweifelt werden. Insofern wäre da die Bezeichnung "Trugschluss" möglicherweise zur Formel erstarrt. Es hängt natürlich sehr viel von der Komposition und dem Arrangement ab, ob wirklich eine zwingende Hörerwartung aufgebaut und enttäuscht wurde.

Viele Grüße
Klaus
 
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Moin Klaus,

Du meinst, es muss gar nicht unbedingt irgendein Schluss folgen und das Entscheidende ist allein die enttäuschte Erwartung der Tonika?

Oder so:


Der Trugschluss ist eine [...] Akkordverbindung, welche eine Erwartungshaltung auf die Tonika zwingend aufbaut, diese dann aber nicht einlöst
, sondern durch einen anderen Schluss ersetzt.

?

Nachtrag:
Habe jetzt erst diesen Tread gefunden: https://www.musiker-board.de/threads/trugschluss-als-zwischendominante.364807/page-2 , aus dem ich lese, dass eine Einigung über das, was heute als unerwartet gilt, gar nicht so einfach ist - in unserer globalisierten Welt :D

Leider bricht der Thread aber ab, bevor eine einheitliche Definition erstellt wurde... und damit sind wir doch wieder hier...

 
Zuletzt bearbeitet:
Für den Trugschluss ist das Entscheidende die Frustration der Erwartung. Normalerweise wird der betrogene Hörer dann aber nicht mit dem "anderen Schluss" allein gelassen, sondern durch einen glaubwürdigen Schluss (meist authentische Kadenz) wieder versöhnt.

Das Ganze funktioniert natürlich dann gut, wenn die Musik so gestaltet ist, daß auch eine zwingende Erwartungshaltung aufgebaut werden kann. Das klappt bei der Dur-Moll-tonalen i.d.R. sehr gut, weil die Leittöne eine klare Strebetendenz haben. Modale Akkordfolgen plätschern da vergleichsweise weniger verbindlich dahin und können daher weniger eine Erwartungshaltung aufbauen. In Musik ohne Grundtonbezug dürfte es ziemlich ausgeschlossen sein, harmonisch eine zwingende Erwartungshaltung zu begründen.

Viele Grüße
Klaus
 
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Ergänzung zu dem vom Klaus Gesagten:


trugschluss2.jpg



trugschluss3.jpg


Bei Bedarf mehr ...
 
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(OT @CUDO II: Ich merke, mir ist diese Notation nicht genügend vertraut, und bei einer Forumssuche, insbesondere auch in Deinen Beiträgen, habe ich nicts dazu gefunden. Einzelne Fragen dazu wären u.a. "was ist das sub vorn?", "was ist das b vorn?", "was bedeutet der / hier?" - aber lieber wär mir ein Verweis, wo diese Notation von Grund auf erklärt ist (idealerweise im Internet ...)! - vielen Dank!)
H.M.
 
Man müsste "berklee college music analysis" googeln. Habe auf die Schnelle nichts gefunden.

sub bedeutet Substitut
/ bedeutet (Dominante) von
# bedeutet um Halbton erhöht
b bedeutet um Halbton erniedrigt
 
Zuletzt bearbeitet:
Klaus, da Du selbst betonst, dass die Erwartung von den Hörgewohnheiten abhängt, bin ich mir unsicher, ob die frustrierte oder enttäuschte Erwartung hinsichtlich der Tonika ein hartes Definitionskriterium abgibt.

Cudo, verstehe ich richtig, dass man auch dann von Trugschluss spricht, wenn es sich gar nicht um einen Schluss handelt (also bei der passiven Auflösung)?

Gelten die Ausnahmen, die Du in dem anderen Thread nennst: subV7/I, VII-7b5 und VIIo7 für alle SubV- und Dim7-Akkorde? Dass also eine Dim7-Auflösung um einen Halbton aufwärts genau so wenig als Trugschluss gilt, wie eine SubV-Auflösung um einen Halbton abwärts? Wohl aber die SubV-Auflösung um eine Quinte abwärts?

------
Cudo, hast Du noch eine Ausgabe des 2. Bandes Deiner Harmonielehre auf Lager, den Du mir verkaufen kannst (bzw. wieviel Bände hat die Harmonielehre?)?
 
Hallo H.M.,

das sind genau die Links die zum Analysieren notwendig sind. Super! Danke.



Cudo, verstehe ich richtig, dass man auch dann von Trugschluss spricht, wenn es sich gar nicht um einen Schluss handelt (also bei der passiven Auflösung)?
Löst sich die Dominante nicht quintweise auf spricht man von einem Trugschluß - egal ob die Septime bleibt oder nicht.

Ein Trugschluss ist aber kein "Schluß" im Sinne von Abschluß.
Gewöhnlich wird nach einem Trugschluß erneut kadenziert.
Hier die gebräuchlichsten Rückführungen:

trugschluss4.jpg



trugschluss6.jpg


Gelten die Ausnahmen, die Du in dem anderen Thread nennst: subV7/I, VII-7b5 und VIIo7 für alle SubV- und Dim7-Akkorde?
Deine Frage verstehe ich nicht. Die Akkorde
subV7/I, VII-7b5 und VIIo7 gehen deswegen nicht, da sie selbst Dominantfunktion haben. Es entsteht also kein Funktionswechsel.

Dass also eine Dim7-Auflösung um einen Halbton aufwärts genau so wenig als Trugschluss gilt, wie eine SubV-Auflösung um einen Halbton abwärts? Wohl aber die SubV-Auflösung um eine Quinte abwärts?
Ich glaube Du hast etwas falsch verstanden. Die Akkorde subV7/I, VII-7b5 und VIIo7funktionieren nicht als Trugschluß da sie die gleiche Funktion wie die vorangegangene Dominante haben.

------
Cudo, hast Du noch eine Ausgabe des 2. Bandes Deiner Harmonielehre auf Lager, den Du mir verkaufen kannst (bzw. wieviel Bände hat die Harmonielehre?)?
Es wäre im Moment für mich sehr aufwendig meine Skripte wieder verkaufsfähig zu machen.
Wenn Du etwas wissen willst, frage hier im Forum. Da haben andere auch etwas zum lesen. ;-)
 
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Deine Frage verstehe ich nicht. Die Akkorde
subV7/I, VII-7b5 und VIIo7 gehen deswegen nicht, da sie selbst Dominantfunktion haben. Es entsteht also kein Funktionswechsel.

Ich glaube Du hast etwas falsch verstanden.

Ja, da habe ich etwas missverstanden.

Gilt dies:
Wenn ein Tritonusvertreter sich halbtonweise abwärts auflöst, ist das erwartungskonform.
Wenn ein Tritonusvertreter sich quintweise oder gar nicht auflöst, ist das ein Trugschluss.

Wenn eine Dominante sich quintweise auflöst, ist das erwartungskonform.
Wenn eine Dominante sich halbtonweise abwärts oder gar nicht auflöst, ist das ein Trugschluss.

Wenn ein vollverminderter Septakkord sich halbtonweise aufwärts auflöst, ist das erwartungskonform.
Wenn ein vollverminderter Septakkord sich nicht auflöst, ist das ein Trugschluss.

Es wäre im Moment für mich sehr aufwendig meine Skripte wieder verkaufsfähig zu machen.
Wenn Du etwas wissen willst, frage hier im Forum. Da haben andere auch etwas zum lesen. ;-)

Sehr gern! Das Material oben werde ich später ausführlich durchgehen.

Ein Trugschluss ist aber kein "Schluß" im Sinne von Abschluß.

Spielt hier keine Rolle, kam mir aber im ursprünglichen Wortsinn widersprüchlich vor - ist aber eine philosophische Frage, ob ein Trugschluss nicht eigentlich eben gar kein Schluss im logischen Sinne darstellt, sondern nur eine Aussage, die nicht zwingend aus der Herleitung resultiert - man denkt zwar, man schließt, aber faktisch irrt man nur....
 
Zuletzt bearbeitet:
Gilt dies:
Wenn ein Tritonusvertreter sich halbtonweise abwärts auflöst, ist das erwartungskonform.
Wenn ein Tritonusvertreter sich quintweise oder gar nicht auflöst, ist das ein Trugschluss.
Ja, das wäre ein Trugschluß.

Wenn eine Dominante sich quintweise auflöst, ist das erwartungskonform.
Wenn eine Dominante sich halbtonweise abwärts oder gar nicht auflöst, ist das ein Trugschluss.
Ja, das wäre dann ein Trugschluß wenn die zu erwartende Auflösung dieser Dominante quintweise nach unten wäre.
Ich habe diesen Fall deswegen nicht im Skript, da ich dort nur tonartbezogene Auflösungen in Betracht ziehe. Aber natürlich geht das von Dir hier zitierte auch.


Wenn ein vollverminderter Septakkord sich halbtonweise aufwärts auflöst, ist das erwartungskonform.
Wenn ein vollverminderter Septakkord sich nicht auflöst, ist das ein Trugschluss.
o7 Akkorde können verschiedene Funktionen haben. Da musst Du konkretisieren.


Spielt hier keine Rolle, kam mir aber im ursprünglichen Wortsinn widersprüchlich vor - ist aber eine philosophische Frage, ob ein Trugschluss nicht eigentlich eben gar kein Schluss im logischen Sinne darstellt, sondern nur eine Aussage, die nicht zwingend aus der Herleitung resultiert - man denkt zwar, man schließt, aber faktisch irrt man nur....
Bleib beim ursprünglichen Wortsinn. Mache es nicht so kompliziert.
 
Klaus, da Du selbst betonst, dass die Erwartung von den Hörgewohnheiten abhängt, bin ich mir unsicher, ob die frustrierte oder enttäuschte Erwartung hinsichtlich der Tonika ein hartes Definitionskriterium abgibt.

Kann man eine Trugschluss-Wirkung für alle Zeiten festlegen? Wer fühlt sich denn noch betrogen durch eine oft gehörte, ständig wiederkehrende Akkordfolge C-G-Am-F ?
Es gibt da einen Abnutzungseffekt und daher in Wirklichkeit kein unveränderlich hartes Definitionskriterium, außer vielleicht in Lehrbüchern. Wenn man also "betrügen" möchte, sollte man eine der zahlreichen Varianten verwenden, die im jeweiligen Zusammenhang wirklich eine Überraschung auslösen können.

Wikipedia zählt neben den beiden "Standardfällen" noch auf:
...
2 In Dur der Sextakkord der Subdominante (häufige Wendung bei Mozart), in C-Dur: C - G - F

Hierzu noch eine Ergänzung: Es ist zu berücksichtigen, daß hier der Bass von G nach A schreitet (Sextakkord), also wie beim klassischen Trugschluss, nur wird statt der Quinte von Am die Sexte f gespielt. Man bezeichnet die Verbindung in der klassischen Harmonielehre auch als D - Tp6, d.h. man sieht die Töne a-c-f-c hier nicht als Subdominante, sondern als eine Tonikaparallele mit Sexte (statt Quinte). Die klassische Kadenzlogik kennte keine Verbindung D-S.

Viele Grüße
Klaus
 
Möchte noch einen Link zu mu-sig erwähnen, der Trugschluss:

http://www.mu-sig.de/Theorie/Tonsatz/Tonsatz13.htm#t623

und da wird der Trugschluss zunächst als Schluss auf der VI oder bVI (moll) eingeführt und je nach Stimmführung auch der "unechte Trugschluss" beschrieben. Der Mozart-Trugschluss auf der S mit Terzbass wird auch als "Trugstillstand" bezeichnet. Warum man im Trugschluss "betrogen" werden soll erschließt sich mir nicht. Ich fasse diesen eher als ein kurzzeitiges Ziel der Harmonie auf, einen Halbsatz , der ein Semikolon einführt. Es geht dann ja auch weiter. Der ebenfalls erwähnte Begriff "Halbkadenz" umschreibt das harmonische Geschehen griffiger als der "Trugschluss".
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann man eine Trugschluss-Wirkung für alle Zeiten festlegen?
[...] Abnutzungseffekt [...] kein unveränderlich hartes Definitionskriterium [...]

Wie beim Duden, Knigge, BGB u.v.m. muss bestimmt auch die Trugschluss-Bestimmung alle paar Jahrzehnte reformiert werden. Mir ist gedient, wenn ich den heutigen Stand erfasse. Ich denke, wenn man festlegt, was nach heutigem Verständnis erwartungskonform wäre, kommt man zu einem harten Kriterium.

Man bezeichnet die Verbindung in der klassischen Harmonielehre auch als D - Tp6, d.h. man sieht die Töne a-c-f-c hier nicht als Subdominante, sondern als eine Tonikaparallele mit Sexte (statt Quinte).

Ah - dann wäre das nach klassischem Verständnis doch ein echter Trugschluss, nicht?

RMACD, zunächst danke für den Link! Immerhin steht hier der Satz, der mir den Einstieg in das Thema schon mal erheblich erleichtert hätte - auch wenn er zu kurz greift:

"Ganz allgemein liegt ein Trugschluss immer dann vor, wenn irgendein Akkord der Dominante folgt, nur nicht die Tonika."

Hier fehlen ja die Dominantvertreter und deren zu erwartender Schluss.

Wunderbar finde ich aber die Alternativbezeichnungen für den Trugschluss, an erster Stelle die "Kadenzflucht"
:D

Warum man im Trugschluss "betrogen" werden soll, erschließt sich mir nicht.

Ein Betrug im Sinne der §§ 263 ff. StGB liegt ja schon deshalb nicht vor, weil der angerichtete Schaden ein immaterieller ist... :D

o7 Akkorde können verschiedene Funktionen haben. Da musst Du konkretisieren..

Ich bin schon mal froh, dass ich den ersten Teil verstanden habe - bei den Dim7-Akkorden kenne ich wohl nur einen Bruchteil der möglichen Funktionen - aber vorab: gibt es überhaupt Trugschlüsse nach °7-Akkorden?

Ich kenne jedenfalls nur drei Fälle der Auflösung von °7-Akkorden:

1. Auflösung halbtonweise aufwärts zur Zieltonikafunktion,
2. halbtonweise aufwärts zum Basston eines Slash-Chords, also bspw. D#°7 > Cj7/E und F#°7 > Cj7/G ,
3. als Vorhalt zur Tonika mit demselben Grundton, also I°7 > Ij7.

Was gibt es denn da noch?
:)

Nachtragsfrage: Übernehmen alle Akkorde nach einer aktiven b7-Auflösung Tonikafunktion? (Also in Deinem Beispiel nach A7 das Fj7, F-7, F7 usf.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Nun, da ein Dim7-Akkord gewissermaßen 4 verschiedene Grundtöne zur Disposition stellt (jeder Akkordton kann Grundton sein, bzw. kann so gedeutet werden), gibt es alle Deine oben genannten Möglichkeiten schon mal 4-fach.
 
Ich fasse diesen eher als ein kurzzeitiges Ziel der Harmonie auf, einen Halbsatz , der ein Semikolon einführt.
Das wäre i.d.R. unser heutiges Verständnis. Früher empfand man oft anders:
Betrugschluß.png

Quelle: Georg Friedrich Wolf: Kurzgefaßtes Musikalisches Lexikon (1792), S. 27/28

(Ich hatte in alten musikalischen Zeitschriften von "Betrügereien" (Trugschlüssen) gelesen, als eine Beethoven-Symphonie besprochen wurde.)

Noch früher war bereits eine unerwarte Pause ein Trugschluß:

Trugschluß_Pause.png

Quelle: Spiess: Tractatus Musicus (1745), S. 95

Der ebenfalls erwähnte Begriff "Halbkadenz" umschreibt das harmonische Geschehen griffiger als der "Trugschluss".
Eine Halbkadenz (oft in Liedern verwendet) endet auf der Dominanten und es geht mit der Tonika weiter. Ein Schuß wird hier nicht erwartet. Man sollte da differenzieren.

Ich denke, wenn man festlegt, was nach heutigem Verständnis erwartungskonform wäre, kommt man zu einem harten Kriterium.
Da wären wir wieder bei den Hörgewohnheiten. Da heute ganz unterschiedliche Genres gehört (und gelebt) werden, existieren auch unterschiedliche Erwartungshaltungen, was die Schlußbildung anbelangt. So hart kann das Kriterium gar nicht sein, wenn man den Wortsinn von "Trugschluß" ernst nimmt.
Ah - dann wäre das nach klassischem Verständnis doch ein echter Trugschluss, nicht?
So sieht es aus und steht auch so im Musiklexikon Riemann.

Wir können formal und praktisch von dieser Definition ausgehen:
Löst sich die Dominante nicht quintweise auf spricht man von einem Trugschluß...
Cudo gab ja eine Reihe von Möglichkeiten an.
Im Jahr 1824 listete Reicha in seinem Buch "Traité De HAUTE COMPOSITION" (ab S.64) 129 verschiedene Trugschlüsse auf. Da sind auch einige dabei, in denen der Bass einen Quintfall/Quartanstieg macht, doch freilich andere als den erwarteten Akkord darüberschichtet:

Trugschlüsse_ut_Reicha.png

Ansonsten handelt Reicha systematisch die Trugschlüsse, sortiert nach Basstönen, ab.

Viele Grüße
Klaus
 
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Mir ist gedient, wenn ich den heutigen Stand erfasse.
Der "heutige" Stand ist seit gut hundert Jahren offensichtlich Pluralität in der Musik. Tonartbezogene Musik existiert neben atonaler Musik, beides kommt in vielen verschiedenen Stilen vor und Eklektizismen gibt es auch.
Damit können Begriffe und Regeln nur noch eingeschränkt gelten, nämlich soweit ihr Bezugssystem bekannt ist bzw. erklärt wird.

Gruß Claus
 
Claus, wenn Dir Begriffsbestimmungen zuwider und das Anything-goes lieb sind - wie willst Du dann Musik analysieren und was erwartest Du dann vom Unterforum Harmonielehre?

Klaus, die unerwartete Pause ist auch noch eine interessante Variante.

Meinst Du wirklich, die unterschiedlichen Schlussbildungen unterschiedlicher Genres sprengen die Harmonielehre?

Hm, Hörgewohnheiten und eine Auflistung von 1824 - wie passt das zusammen? Jedenfalls erscheint es mir ökonomischer, den Trugschluss - so wie Cudo vorschlägt und Du in Deiner Defintion eigentlich auch - über ein Ausschlusskriterium oder eine Ausschlussliste negativ zu definieren, dann wird die Liste nämlich deutlich kürzer... (Das Unerwartete zu fassen ist ein ganz anderes Unterfangen als das üblicherweise erwartete. :D)

Mir ist noch unklar, ob es neben Dominanten, die sich nicht quintweise auflösen, und Tritonusvertretern, die sich nicht halbtonweise abwärts auflösen, auch Trugschlüsse nach °7-Akkorden geben kann, weil die sich nicht... - ?
 
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Mir ist noch unklar, ob es neben Dominanten, die sich nicht quintweise auflösen, und Tritonusvertretern, die sich nicht halbtonweise abwärts auflösen, auch Trugschlüsse nach °7-Akkorden geben kann, weil die sich nicht... - ?
Da der o7 Akkord, wie Turko schon darauf hinwies, ein Chamaeleon ist, sind seine Auflösungstendenzen oft nicht ganz eindeutig.
Den VIIo7 (und alle anderen die sich halbtonmäßig nach oben auflösen) habe ich noch nie anders erlebt als dass er zur I ginge. Wenn man den Leitton als Grundton hat ist auch kaum etwas anderes zu erwarten.
Ein o7 Akkord der sich Halbtonmäßig nach unten auflöst, steht von Natur aus auf wackligeren Beinen. Hier noch mit einem Trugschluß rumzudoktern bringt nicht den erwarteten Effekt.
Gleiches gilt bei o7 Akkorden die sich ohne Grundtonbewegung auflösen.
Das ist in etwa so als wolltest Du eine Subdominante trugschlußmäßig auflösen. Da ist zu wenig Spannung da.
 
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