Vielleicht ist es tatsächlich hilfreich, wenn man sich etwas mit den Spirituals auskennt:
In den Spirituals ging es zwar thematisch immer um Gott und Religion, allerdings war den Sklaven auch jegliche andere Thematisierung in ihren Liedern untersagt.
In den Spirituals waren demnach Gott und Religion oft nur Mittel zum Zweck, um sich über scheinbar religiöse Metaphern zu verständigen und verschlüselte Nachrichten zu übermitteln, etwa über Fluchtpläne.
Zentral waren also oft eben nicht Gott und Religion, sondern - nur im Mantel der Religion - Wunsch, Aufforderung und Pläne zur Flucht und damit die Freiheit.
Das ist so einfach nicht richtig interpretiert. Gott steht hier an oberster Stelle, und zwar deshalb, weil gerade er die Freiheit ermöglichen soll. Wenn in den Spirituals vom Himmel die Rede ist, dann bedeutet er zweierlei: Einmal bedeutet er die Freiheit der Sklaven, das heißt vor allem sich auf den Weg nach Norden zu machen und andererseits bedeutet er der göttliche Himmel, sprich das, was sie nach dem Tod erwartet. Wer beim Spiritual Gott unten ansiedelt, der hat ihn schlicht falsch interpretiert.
Blues als Produkt aus Sklaverei, Worksongs, Spirituals und der Lebenserfahrung der schwarzen Sklaven zu sehen ist nicht erschöpfend.
Blues enstand nämlich vor allem durch das Zusammentreffen afrikanischer und europäischer Musikformen, die eben von vornehmlich Schwarzen Musikern kombiniert wurden.
Wer sagt denn, dass der Blues eben nur diesen Quellen entspringen soll? Hier wird es schwierig, die genauen Ursprünge des Blues historisch festzulegen. Hier weiter zu diskutieren, kann unter Umständen fatale Folgen haben, weil hier sehr gerne Tatsachen verdreht werden. (Das betrifft auch so Dinge, wie die Schwarzen hätten die Choralgesänge zu einem Spiritual umgeformt). Fest steht, dass er mit dem Spiritual eng verwandt ist und am wichtigsten erscheint hier immer noch die Lebenserfahrung des Schwarzen, die er widerspiegelt.
Aufgrund der Separation drang diese Kombination teilweise gar nicht zu der weißen Bevölkerung durch und falls doch, war es gesellschaftlich verwerflich sie zu mögen oder zu imitieren. Deshalb war der Blues also vorerst ein Teil der Unterhaltungsmusik der schwarzen Gesellschaft.
Zum Glück änderte sich das und der Blues wurde schließlich von Musikern jeden Geschlechts jeden Alters und jeder Hautfarbe gehört, gespielt und weiterentwickelt.
Also warum um alles in der Welt sollte man sich beim Blues in einen stereotypisierten Schwarzen hineinversetzen und sich seine Leidensgeschichte klarmachen?!?
Das ist mir unverständlich.
Muss man doch auch gar nicht.
Denn moderner Blues ist schließlich eben nicht schwarz oder weiß, alt oder jung, traurig oder fröhlich.
Und Blues handelt auch nicht vom "Alltag der Schwarzen", sondern, wenn überhaupt, vom Alltag desjenigen, der den Blues spielt.
Notgedrungen falsch. Gerade der Blues handelt vom Alltag des Schwarzen. Wenn dem nicht so wäre, wäre es kein Blues.
Und derjenige muss sicher nicht schwarz, sondern höchstens er selbst sein.