Wozu sind Tonarten gut?

  • Ersteller forgoden
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Eine Menge wurde ja schon geschrieben, ein Punkt kam bisher IMHO zu kurz, nämlich die Frage im ersten Beitrag:

Hab aus Wiki so verstanden: Die Nähe der Tonarten sind harmonisch miteinander verwandt. Doch warum soll das gesamte Lied z.b. bei C immer zwischen C F G und Dm Em und Am sein?

Vermutlich meinst du mit dem ersten Satz, daß im Quintenzirkel nahe stehende Tonarten harmonisch miteinander verwandt sind. Das ist soweit auch richtig. Trotzdem schreibt ja niemand vor, daß ein Song nur aus C F G und Dm Em und Am bestehen muß. Das sind zwar die Haupt- und Nebenfunktionen in C-Dur und damit die elementaren Dreiklänge der Tonart C-Dur, aber du kannst auch andere Akkorde verwenden. Allerdings verlässt du dann kurzzeitig die Tonart C-Dur, aber das ist ja kein grundsätzliches Problem. Du kannst z.B. Zwischendominanten vor den Nebenfunktionen verwenden: vor einem Dm einen A7, vor einem Em einen H7 oder vor einem Am einen E7. Oder deren Tritonusvertreter, wenn das ganze z.B. Richtung Jazz klingen soll.

Ich will nur alles überflüssige in der Harmonielehre überspringen und nur die Logik herausholen. Und suche nach einer Einfachkeit. Spiele nämlich auch nicht mit Piano oder Gitarre, sondern komponiere nur mit einem Programm.

Es stand schon zwischen fast allen Zeilen der anderen Beiträge: besorg dir ein Instrument und lerne es, das wird viele Fragen beantworten (und einige neue aufwerfen :)). Es ist nicht leicht, die Gemengelage aller deiner Fragen in den Beiträgen #1 und #3 ohne elementares instrumentales Grundwissen zu klären. Einzelne, klare Fragen in einzelnen Threads sind hilfreich für klare Antworten. Außerdem gibt es kaum Überflüssiges in der Harmonielehre, denn abgesehen von den weit verbreiteten Grundlagen auf deren Basis wir uns hier verständigen gibt es eine Menge ausgefuchster Erklärungsansätze in der Harmonielehre, die zu spannenden neuen Ergebnissen führen können. Das, was du vielleicht heute als überflüssig ansiehst, kann nächste Woche schon der Schlüssel zu einem guten neuen Song sein.

Ich frage mich, warum klaus111 HCA in Musikwissenschaft ist,[...]

@cvinos: ich interpretiere deinen Einwurf mal so, daß du auf die Freiheit des Komponisten hinweisen wolltest, seine eigenen Maßstäbe für "falsch" und "richtig" aufzustellen. Ich hoffe, ich habe dich da richtig verstanden. Sollte dein Beitrag wörtlich ernst gemeint sein und du Klaus' HCA in Frage stellen willst, bitte ich dich, das im Beschwerdeforum zu tun.

möchtegernbach;4908665 schrieb:
komisch in anderen beiträgen meintest du doch dass du gitarre keyboart benutzt ?

@möchtegernbach: Auch J.S.Bach hat mit Worten gespart. Ihm in diesem Punkt in der Weise nachzueifern, daß du Fragen ohne Zusammenhang und erkennbaren Inhalt in den Raum stellst, hilft aber niemandem weiter. Schreib bitte, an wen du dich richtest und was dein Punkt ist.

PS: Können Tiere (Schimpansen etc) eigentlich auch Musik von Lärm unterschieden :confused: :gruebel:

Da sich aus dieser Frage nun doch ein wenig Diskussion entwickelt, würde sich ein eigener Thread im Musikwissenschaftsforum anbieten.

Harald
 
Was man vielleicht noch hinzufügen kann, zitiere aus meiner Erinnerung. "Bestimmte Tonarten sind exponiert, da manche Musiktheoretiker die Auffassung vertreten, bestimmte Tonarten hätten ein ganz besondere Wirkung aufgrund ihrer nähe zu menschl. Vokalen" Ich meine das mal in einem Wikipedia Artikel gelesen zu haben, auch wenn sich die Musiktheo. da uneins waren und afaik die Mehrzahl alle Tonarten für gleichberechtigt hält. Evtl. wird in Verbindung mit best. Instrumenten best. Tonarten wirklich eine spezielle Wirkung zu Teil. Vielleicht auch ein Frage die hier diskutiert werden kann bzw. wozu mich Meinungen interessieren würden. Formal transponiert man ja im Grunde einfach auf die Tonart die Sänger singen und best. Instrumente spielen können, aber die beiden Aspekte Gesangslage und Instrumentenwahl klären evtl. auch noch die tieferliegenden Fragen des OP warum neben Komposition grundsätzliches Nachdenken über die Wahl der Tonhöhe von Bedeutung ist
 
Also, erst mal Danke an all die sich Mühe dafür gegeben haben. Danke Klaus, das ist sehr ausführlich geschrieben.

Es sind im Moment sehr viele Informationen und ich weiss nicht wo ich genau anfangen soll. Da brauche ich wohl etwas Zeit.

Dann versuche einmal ein eingängiges Kinderlied zu komponieren oder ein Stück für Erwachsene, das eine so einfache melodische und harmonische Struktur hat, daß man es leicht nachsingen kann.

Da wirst Du mit "D-Dur, A-Moll, G-Dur, D-Moll, C-Dur, G-Moll, F-Dur, C-Moll, Ais-Dur, F-Moll" nicht sehr weit kommen.


Erhöhen wir auf diese Weise die Tonhöhe weiter bis zur Oktave (Verdoppelung der Schwingungen), so wird man feststellen, daß bei natürlichen Tonerzeugern (oder entsprechend elektronisch nachgebauten) bei bestimmten Tonabständen Dissonanzen oder Konsonanzen auftreten.

Oktaven war für mich bisher der beste Halt zum Verstehen. Also das Verhältnis 1:2.
Wie die Takte, die lassen sich halb oder doppelt so schnelle kicks in Rhythmen gut ergänzen.



Besonders konsonant klingen: kleine Terz (c-es), große Terz (c-e), Quart (c-f), Quint (c-g), kleine Sext (c-as), große Sext (c-a) und Oktav (c-c') (Letztere hat neben der Prim die maximale Konsonanz.)

Besonders dissonant klingen: kleine Sekund (c-cis, besonders hart), große Sekund (c-d, schon weniger), Tritonus (c-fis), übermäßige Quint (c-gis), kleine Septim (c-b, weniger hart), große Septim (c-h, wieder sehr hart).
(Siehe auch "Manfred Spitzer: Musik im Kopf: Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk, S. 104)

Schade, dass ausgerechnet "Melodie und Harmonie" im Buch nicht online abrufbar ist. Muss ich mir mal ausleihen irgendwo.

Wie kommen wir jetzt auf Dur und Moll?

Läßt man drei Töne zusammen erklingen, so stellt man fest, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt, einen konsonanten Klang zu erzeugen:
Den Dur-Akkord (z.B. c-e-g) und den Moll-Akkord (c-es-g) und deren Umkehrungen.

Gut, merk ich mir.

Zur Entwicklung der Töne und Tonarten:

Bei der Einwicklung des Tonmaterials beobachteten schon die alten Griechen, daß einfache Schwingungsverhältnisse etwas besonderes sind: 2:1 (Oktav), 3:2 (Quint), 4:3 (Quart), 5:4 (große Terz), 6:5 (kleine Terz) usw. (Das sind die Intervalle in "reiner" Stimmung.)

Okay, es sind also die Verhältnisse, die die ganzen Konstruktionen ausmachen. Hab ich mir schon gedacht, dass es Konstrukte gibt!

Besonders intensiv wurde die Quint untersucht.

Auf die bin ich jetzt im Moment auch sehr fixiert. Die würde mich am meisten interessieren. Quint ist also das Verhältnis 2:3. Das scheint wohl etwas besonderes zu sein... Sollte ich das mal in Geometrie untersuchen. Gibt es mehr Infos über die Quinten? Aber ich glaube 2:3 wird selbsterklärend sein.

Schichtet man fünf Quinten übereinander, so erhält man ein Tonsystem, das in sehr vielen Kulturen verwendet wurde und wird - die Pentatonik.
Dieses System enthält alle o.g. Konsonanzen und keine der scharfen Dissonanzen. Deshalb ist es bis heute beim Improvisieren und auch bei Kinderliedern so beliebt.

Schichtet man sieben Quinten übereinander, so kommt man auf die Heptatonik, das würde den weißen Tasten auf dem Klavier entsprechen. Auf diesen lassen sich die Dur (Beginn mit c) und die Moll-Tonleiter (Beginn mit a) spielen sowie alle Kirchentonarten. Da Musikstücke auf den verschiedenen Tonleitern verschieden klingen, nennt man sie "Tonarten" (im weiten Sinne).

Ja ist interessant, werde ich auch mal schichten.

Schichtet man zwölf (reine, 3:2) Quinten übereinander, so entsteht als dreizehnter Ton fast wieder der Ausgangston. Das beobachteten bereits die alten Griechen. Der Unterschied wird "pythagoreisches Komma" genannt.
Die Töne schließen sich fast zu einem Kreis (Zirkel) zusammen.

In der heute verwendeten gleichstufig temperierten Stimmung wird der Unterschied gleichmäßig über alle zwölf Töne verteilt. Die Quinten werden nicht mehr "rein" gestimmt, sondern "gleichstufig temperiert", also alle gleichmäßig etwas enger.

Der Tonkreis wird dadurch geschlossen und es ist der "Quintenzirkel" entstanden. Die zusätzlichen fünf Töne entsprechen den schwarzen Tasten auf dem Klavier.

Möchte man nun eine der Tonarten, z.B. Dur, mit g anstatt c beginnen, so stellt man fest, daß man die schwarzen Tasten braucht, in diesem Fall das fis (statt f). Mit den zusätzlichen schwarzen Tasten ist es möglich, Dur- und Moll-Tonarten beliebig zu versetzen (transponieren), natürlich auch die Kirchentonarten (dorisch, phrygisch usw.). Man brauch dazu (in der gleichstufigen Stimmung) genau diese fünf schwarzen Tasten, nicht mehr und nicht weniger.

Diese Fragen dürften jetzt endlich beantwortet sein:




Und noch die letzte:



Es sind vier (nicht fünf) Halbtonstufen zur großen Terz und drei zur kleinen.

Nein, es hat nichts mit dem goldenen Schnitt zu tun.

Viele Grüße

Klaus

Stimmt, leider habe ich mich verzählt. Von der 1. bis zur 5. Stufe sind es 4 Schritte und zur 8. Stufe nochmal 3 Schritte dazu. Und Einheiten (von-bis) wären 5 und 4.

Das ist jetzt viel Material. Ich speichere mir das mal alles ab.




Eine Menge wurde ja schon geschrieben, ein Punkt kam bisher IMHO zu kurz, nämlich die Frage im ersten Beitrag:



Vermutlich meinst du mit dem ersten Satz, daß im Quintenzirkel nahe stehende Tonarten harmonisch miteinander verwandt sind. Das ist soweit auch richtig. Trotzdem schreibt ja niemand vor, daß ein Song nur aus C F G und Dm Em und Am bestehen muß. Das sind zwar die Haupt- und Nebenfunktionen in C-Dur und damit die elementaren Dreiklänge der Tonart C-Dur, aber du kannst auch andere Akkorde verwenden. Allerdings verlässt du dann kurzzeitig die Tonart C-Dur, aber das ist ja kein grundsätzliches Problem. Du kannst z.B. Zwischendominanten vor den Nebenfunktionen verwenden: vor einem Dm einen A7, vor einem Em einen H7 oder vor einem Am einen E7. Oder deren Tritonusvertreter, wenn das ganze z.B. Richtung Jazz klingen soll.


Gibt es Tipps dazu, wie die Akkorde bewußt gewählt werden? Hängt es mal vom Gesang ab, mal von der Stimmung? Gibt es so etwas wie eine Tabelle dazu, oder als Ratgeber? Ich wollte jetzt mal nicht zu autistisch vorgehen, aber vielleicht hilft es mir, bewußter Melodien und deren Akkorde zusammenzusetzen.

Es stand schon zwischen fast allen Zeilen der anderen Beiträge: besorg dir ein Instrument und lerne es, das wird viele Fragen beantworten
Muss es unbedingt ein Instrument sein? Ein Programm tut es doch auch. Zumindest wenn ich auf die Tastatur haue, ertönen auch Töne aus dem Programm.

(und einige neue aufwerfen :)). Es ist nicht leicht, die Gemengelage aller deiner Fragen in den Beiträgen #1 und #3 ohne elementares instrumentales Grundwissen zu klären. Einzelne, klare Fragen in einzelnen Threads sind hilfreich für klare Antworten. Außerdem gibt es kaum Überflüssiges in der Harmonielehre, denn abgesehen von den weit verbreiteten Grundlagen auf deren Basis wir uns hier verständigen gibt es eine Menge ausgefuchster Erklärungsansätze in der Harmonielehre, die zu spannenden neuen Ergebnissen führen können. Das, was du vielleicht heute als überflüssig ansiehst, kann nächste Woche schon der Schlüssel zu einem guten neuen Song sein.

Das mag sein. Ich fange halt von vorne an. Jedenfalls hören sich meine Melodien immer noch beschissen an.


Ich hoffe, man verzeiht mir diese kleine vom Thema abweichende Frage, aber dieser Teil wirkt auf mich seltsam. Das ist in etwa so, als wollte jemand ein Buch schreiben, ohne zuvor je Lesen gelernt zu haben. Und notgedrungen in einem Crashkurs das Alphabet durchrackern, weil ganz ohne geht's ja doch nicht, aber dann bitte ohne die Handvoll Buchstaben, die eh kein Schwein braucht.

:confused:

Ein guter Vergleich. Ich komme auch aus der Welt der Geometrien und möchte mich nun mit Schwingung und Melodien beschäftigen. Es ist für mich seltsam, warum in der Musikwelt eine Harmonielehre dazu gibt und in der Kunstwelt wohl eher nicht. Es gibt zwar den goldenen Schnitt oder arbeiten mit Newtons Gesetze, aber diese werden wohl nicht so strikt eingehalten. Oder die Literatur für die künstlerischen Geometrien ist untergegangen.

Eine Hörbildung dafür haben, Instrumente beherrschen zu können oder eine dritte Sprache zu erlernen kostet mir doch etwas zuviel Zeit. Da ist mir eine ausgedachte Aliensprache lieber. Dazu müsste ich erst mal alles auf Mathematik reduzieren, denn sie ist für mich die universelle Sprache. Meine Intuition sagt, dass es diesen Weg gibt.
 
Okay, es sind also die Verhältnisse, die die ganzen Konstruktionen ausmachen. Hab ich mir schon gedacht, dass es Konstrukte gibt!
[...]
Auf die bin ich jetzt im Moment auch sehr fixiert. Die würde mich am meisten interessieren. Quint ist also das Verhältnis 2:3. Das scheint wohl etwas besonderes zu sein... Sollte ich das mal in Geometrie untersuchen. Gibt es mehr Infos über die Quinten? Aber ich glaube 2:3 wird selbsterklärend sein.



Ein guter Vergleich. Ich komme auch aus der Welt der Geometrien und möchte mich nun mit Schwingung und Melodien beschäftigen. Es ist für mich seltsam, warum in der Musikwelt eine Harmonielehre dazu gibt und in der Kunstwelt wohl eher nicht. Es gibt zwar den goldenen Schnitt oder arbeiten mit Newtons Gesetze, aber diese werden wohl nicht so strikt eingehalten. Oder die Literatur für die künstlerischen Geometrien ist untergegangen.

Eine Hörbildung dafür haben, Instrumente beherrschen zu können oder eine dritte Sprache zu erlernen kostet mir doch etwas zuviel Zeit. Da ist mir eine ausgedachte Aliensprache lieber. Dazu müsste ich erst mal alles auf Mathematik reduzieren, denn sie ist für mich die universelle Sprache. Meine Intuition sagt, dass es diesen Weg gibt.

Du scheinst meine Beiträge ignoriert zu haben.
Ok, ein drittes Mal:

Deine Intuition täuscht dich nicht.
Alle Verhältnisse der im westlichen System benutzten Töne bzw. die Töne an sich ergeben sich aus der Obertonreihe.
Also schau dir die Obertonreihe rein, wenn du Kopfmässig verstehen willst, woher die Töne kommen und wie sich der Dur-Akkord herleiten lässt.

Letztlich bringt dir all dieses Wissen nichts, um zu komponieren.

Du sagst, deine Melodien klingen nicht gut.
Das führt zurück zur Ausgangsfrage: wozu sind Tonarten gut?

Tonarten dienen zum Verständnis und Beschreibung von Musik, die nach gewissen Regeln aufgebaut ist. Das ist sehr nichtssagend, wenn die Regeln nicht bekannt sind, zumal Musik auch anders aufgebaut werden kann (atonal oder andere Tonsysteme)
Deine Frage wäre besser gewesen, wie man Tonarten benutzt.

Es ist möglich, mit Zufallsdaten Musik per Programm zu erschaffen; also algorithmisch.
Somit gibt es feste Regeln, nach denen immer konsonant (also 'nicht schräg klingende') Musik erzeugt werden kann.
Das klingt dann aber nach eingeschlafenen Füssen, da Musik auch Konsonanz und Dissonanz besteht.
Letztendlich liegt es im Auge des Betrachters - und ist stark vom Zeitgeist und Hörerfahrung geprägt - ob etwas gut klingt oder nicht. Dieses kann durch einen Algorithmus nicht abgebildet werden. Sind die Regeln zu weit gefasst, klingt die generierte Musik wahllos und dissonant; sind die Regeln zu eng, wird es immer voraussehbar und ähnlich klingen.

Genau aus diesem Grund ist ein regelbasierter Ansatz zum Scheitern verurteilt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein guter Vergleich. Ich komme auch aus der Welt der Geometrien und möchte mich nun mit Schwingung und Melodien beschäftigen. Es ist für mich seltsam, warum in der Musikwelt eine Harmonielehre dazu gibt und in der Kunstwelt wohl eher nicht. Es gibt zwar den goldenen Schnitt oder arbeiten mit Newtons Gesetze, aber diese werden wohl nicht so strikt eingehalten. Oder die Literatur für die künstlerischen Geometrien ist untergegangen.

Eine Hörbildung dafür haben, Instrumente beherrschen zu können oder eine dritte Sprache zu erlernen kostet mir doch etwas zuviel Zeit. Da ist mir eine ausgedachte Aliensprache lieber. Dazu müsste ich erst mal alles auf Mathematik reduzieren, denn sie ist für mich die universelle Sprache. Meine Intuition sagt, dass es diesen Weg gibt.

Für mich ist immer noch nicht ganz klar, was du eigentlich willst. Was meinst du damit, dass du dich "mit Schwingung und Melodien" beschäftigen willst? Das klingt für mich eher nach physikalisch-naturwissenschaftlichen Interessen, was alles zu dem von dir verwendeten Begriff "Komponieren" meiner Auffassung nach völlig diametral gelagert ist.

Schaun wir mal, bevor ich weiter dazu aushole, was Schönberg in seinem Musikalischen Gedanken dazu sagt:
[...]
Die Kunst ist verschieden von der Wissenschaft.
Während diese systematisch alle charakteristischen Fälle benötigt,
genügen der Kunst eine Anzahl interessanter: so viele als die Phantasie
verlangt, um sich vom Ganzen ein Bild zu machen; um von diesem zu
träumen. Darum ist auch unter Entwicklung hier niemals zu verstehen, dass
alle Fälle entstehen müssen, sondern bloss einige der interessanten.

[...]

Hätte der Aufbau eines Musikstückes bloß nach den Anforderungen der
Logik zu erfolgen, wie in der Wissenschaft, so wäre es eben nicht Kunst,
sondern Wissenschaft.
Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft
liegt darin, dass selbst dort wo beide dasselbe Gebiet darzustellen
bezweckten, die Wissenschaft bemüht sein muss alle denkbaren Fälle zuumfassen, während sich die Kunst auf die charakteristischen,
zweckdienlichen, oder sonst wie "hinzupassenden" beschränkt. Während
dann die Wissenschaft jeden Fall ins klarste Licht wird setzen müssen, darf
die Kunst zur Erhöhung der Wirkung die Beleuchtungsverhältnisse
verändern. Und während die Wissenschaft durch die Aufstellung und
Anordnung ihrer Grundsätze schon auf ihr alles einschliessende und alles
klärende Ziel zugeht, wird die Kunst ihr Augenmerk darauf wenden, ihr
Hauptsächliches durch die Art der Darstellung in den Vordergrund der
Aufmerksamkeit zu bringen. Gibt die Wissenschaft Tatsachen, die sie nach
gemeinsamen Prinzipien ordnet, so erzeugt die Kunst Bilder, in denen sie
den Tatsachen gemeinsame Prinzipien in freier Weise so zusammenfügt, dass der Sinn des zu Sagenden mit einem Male klar
erfasst werden kann. Sie verfährt hierin, wie das Sprichwort, welches aus
vielen Erfahrungen eine oft magere Weisheit abstrahiert, aber eine deren
Bedeutung sofort und unzweifelhaft auffassbar wird. Und ähnlich verfährt
auch der Aphorismus, in welchem meist eine gewisse Unausgeglichenheit,
Nicht-Ausbalancierung kontrastierender Elemente, eine gewisse
Uebertreibung der Kontraste und die rudimentäre Darstellung der Konflikte
eine Erregung bezweckt, die, wie bei intuitiver Erkenntnis, uns über die
Notwendigkeit hinaushebt, die Details, die Nebenumstände zu prüfen und
die Wirkung einer Offenbarung ausübt.

[...]

Gegenüber der alles-umfassenden wissenschaftlichen Methode der
Darstellung besitzt die Kunst einen Vorteil: sie muss nicht auch die
belanglosen, der uninteressanten Fakten erwähnen. Aber sie ist ihr
gegenüber im Nachteil. Denn während die Wissenschaft ihre Konsequenzen
nicht nur selbst zieht, sondern sie dem Forschenden aufzwingt, lässt die
Kunst dem Beschauer ein weites Feld offen: er mag selbst die Konsequenzen
ziehen, er darf glauben oder zweifeln, er darf sich erwärmen oder kalt
bleiben: die Kunst will nur anregen, Interesse erwecken, zeigen, darstellen -
bilden.

[...]

In einer Komposition steckt immer ein Anteil an subjektivem emotionalen Ausdruck und ein Anteil an abstrakten Ideen und Herangehensweisen. Logik und Intuition sind in einer Komposition beide enthalten, manchmal überwiegt das eine, manchmal das andere. Das hängt auch sehr oft von der jeweiligen kompositorischen Epoche ab - ich werde da in deinem Fall etwa sehr stark an Iannis Xenakis erinnert, der architektonisch-geometrische Ideen in seine Kompositionen einfließen hat lassen. Und gerade Schönberg hat sich ja auch gegen ein idealisiertes, romantisiertes Bild des Komponierenden gewandt, der angeblich nur durch göttliche Eingebung zu seinen Ergebnissen gelangt, und daran erinnert, dass ein Musiker ebenso auf Logik und einen manchmal mehr, manchmal weniger stark wirkenden Formalismus angewiesen ist. György Ligeti meinte in Bezug auf diese Frage überhaupt, dass die Methode "völlig irrelevant" wäre, und nur "das Ergebnis" zählen würde.

Nun würde letzteres eventuell sogar für die Gegebenheit der Möglichkeit einer völlig formalisierten, zu hundert Prozent einer abstrakten mathematischen Idee entspringenden Musik sprechen, also einer Musik, bei der das Ergebnis von Anfang an feststeht und bereits mit dem Grundstrein, der Methode nämlich, festgelegt wird. Wenngleich eine solche Geisteshaltung sich in diesen radikalen Ausmaßen selbst in den wildesten seriellen Blüten des 20. Jahrhunderts - gottseidank! - nie durchgesetzt hat bis zu einem Punkt, an dem sie für das Feld der Neuen Musik maßgebend gewesen wäre, so hat sie zweifelsohne nicht unwesentlichen Einfluss geübt. Vielleicht brachte die Auflösung der Tonalität auch die Notwendigkeit des stärkeren Fokus auf abstrakte Ideen in den Vordergrund, auf der Suche nach gemeinsamen Nennern wie dem aufgegebenen tonalen System (ein solcher gemeinsamer Nenner wurde meines Erachtens nach übrigens bis heute nicht gefunden oder erreicht, oder, um dies zu präzisieren, sagen wir: jedenfalls keiner mit einem entsprechenden Potential, aus dem nachkommende Generationen von Komponisten in absehbarer Zeit schöpfen könnten wie zu Zeiten der großen Romantiker).

Doch, um zurück zum Punkt zu kommen: selbst die strengsten Postulierenden einer formalized Music, einer völligen Formalisierung der Musik unter dem Gesichtspunkt abstrakter Ideen, weniger schöpferischer Intuition, diese erbittertsten Gegner musikalischer Rhetorik und Subjektivität, selbst diese Leute haben ihren Gedanken nie bis zu einem Punkt getrieben, an dem die Sprachähnlichkeit der Musik den Zahlen und Mustern das Feld völlig überlassen hätte. Weil sie alle irgendwann begriffen hatten, dass eine Musik, der man jegliches menschliche Antlitz, welches sich in Emotionen oder der liebgewonnenen, aber absurderweise immer öfter belächelten Rhetorik äußert(e), nähme, schon bald an einem Punkt angelangen würde, an der sie sich jegliches Zieles, wie auch immer dieses definiert sein möge, beraubt sähe und zu einer Sache zusammenschrumpfen würde, der nur mehr der Selbstzweck bleibt. Geometrie wird geschaffen nicht um ihrer selbst willen, sondern zum Zwecke der Übertragung auf die Umwelt. So verhält es sich nunmal auch mit der Musik.

Ohne musikalischen Hintergrund, ohne Kenntnisse der musikalischen Idee an sich, ohne diese wirst du in deinem Versuch, Musik unter der Beachtung ebendieser erläuterten Gesichtspunkten zu machen, gnadenlos scheitern. Ebenso wie wohl jemand scheitern würde, der einen Roman, wie die Musik ebenfalls Zeugnis emotionaler Momente, nach mathematischen Gesichtspunkten entwerfen wollte.

Daher mein Rat an dich: lass die Finger davon. Ich kenne kaum jemanden, dem alleine schon durch seine Auffassungsweise der Musik der erfolgreiche Zugang zu selbiger eher verwehrt wäre als dir.
 
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