Mikrotonale Musik - Diverses

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Nach dem Lesen des folgenden Beitrags von cvinos im Thread Zahl möglicher Kompositionen - endlich? hatte ich mir überlegt, dass man mal einen Thread zum Thema Mikrotonale Musik öffnen könnte, in dem man über unterschiedliche Bereiche diskutieren kann. Für spezielle Bereiche kann man jederzeit einen neuen Thread öffnen. Hier der Beitrag:

Ich würde das letzte obige Statement von Dux grob so formulieren: In der westlichen tonalen Musik und seinen 12-Tonsystemen gibt es sehr viele ähnliche Kompositionen, die sich sicherlich in ihren Varianten und Arten Kategorisieren lassen, die aber relativ gesehen nicht sonderlich viele Unterschiede untereinander aufweisen. Dies ist sicherlich auf die gemeinsamen Tonsysteme sowie die vorherrschenden und überall wiederholten und weitergegebenen Regelwerke zurückzuführen, wobei letztere mitunter viel zu einseitig verfolgt werden und teilweise als unumgänglich dargestellt werden.

Um etwas Anderes zu hören, auch anderes als zum Beispiel Jazz, sollte man sich einmal die Zeit nehmen, sich mit sogenannter "Mikrotonaler Musik" auseinander zu setzen. Das ist Musik in anderen Tonsystemen, die andere Intervalle aufweisen. Der Begriff "Mikrotonalität" rührt daher, dass man zunächst versucht hat, den Halbton, den Ganzton oder die Oktave feiner zu unterteilen. Wirklich passend ist der Begriff natürlich nur in dem Zusammenhang, im direkten Bezug auch auf das gleichmäßig temperierte 12-Tonsystem.

Für mich ist es in letzter Zeit wie ein Lichtblick: endlich finde ich Musik, die mir Neues und mehr geben kann, die wirklich mal weitere Gefühls- und Gedankenbereiche anspricht und die ungemein spannend ist.

Ich empfehle daher mal ein paar Komponisten in der zeitgenössischen Klassik, welche mikrotonale Werke komponiert haben, die auch aufgeführt und aufgenommen wurden:

Iannis Xenakis
György Ligeti
Julián Carrillo
Iwan Wyschnegradsky

Hier gibt es eine Auflistung einiger solcher Tonsysteme mit weiteren Komponisten:

http://www.ekmelic-music.org/system.htm

Ein sehr schönes Stück, um in die Materie einzusteigen, ist zum Beispiel die "Sonata for Solo Viola" von Ligeti.

Diese Musik existiert in Europa schon eine ganze Weile, nur wird sie leider nicht fair genug behandelt, als dass viele Menschen davon etwas mitbekommen würden. Dabei sind die Möglichkeiten sehr weitreichend und die Ergebnisse überzeugen schnell.

Interessanter Weise gibt es seit den 60ern und 70ern zwei unterschiedliche Richtungen in der Mikrotonalen Musik. Die einen versuchen, frei zu sein und neue Bereiche zu erforschen, während sie sich auch mit dem Bau von neuen Instrumenten beschäftigen. Die anderen versuchen, Mikrointervalle zu nutzen, um möglichst nah an die reine Intonation und ihre Verwandten heranzukommen: so wurde zum Beispiel ein Computer-gestütztes Klavier entwickelt, welches automatisch Kontext-abhängig berechnet, welche "Variante" des gerade im Sinne des 12-Tonsystems gemeinten Intervalls die optimale ist, und den entsprechenden Ton dann spielt. Mittlerweile gibt es so etwas auch als mehr oder weniger gute Computerprogramme für Jedermann. Zwischen den beiden Lagern gibt es zuweil sehr interessante Diskussionen. Ich verweise auf das Buch Musik Konzepte Sonderband: Musik der anderen Tradition - Mikrotonale Tonwelten. http://www.amazon.de/Tradition-Mikrotonale-Tonwelten-Musik-Konzepte-Sonderband/dp/3883777021

Ein paar Kommentare dazu:

Für mich ist es in letzter Zeit wie ein Lichtblick: endlich finde ich Musik, die mir Neues und mehr geben kann, die wirklich mal weitere Gefühls- und Gedankenbereiche anspricht und die ungemein spannend ist.
Ja, so in etwa empfinde ich das auch. Was mir allerdings fehlt sind ein paar "Werkzeuge", um diese Freiheit ausleben zu können. Für den Anfang ist scala sehr brauchbar - ein Programm, mit dem man unterschiedliche Tonräume erzeugen und via MIDI abspielen kann (die mikrotonalen Abweichungen werden über pitch shifts erreicht, was sich manchmal etwas unschön anhört). Außerdem ist es möglich, die Noten eines Stücks in Textdateien zu speichern, und diese dann in eine MIDI-Sequenz umzuwandeln. Das ist allerdings recht unübersichtlich, da die Spuren nacheinander bearbeitet werden.
Was ich noch suche sind ein mikrotonales Notensatzprogramm (nein, kein Notensatzprogramm das sich darauf beschränkt, das Einfügen von Vierteltönen zu ermöglichen), und einen Software-Synthesizer, den man mit beliebigen Frequenzen ansteuern kann (am besten von einem anderen Programm aus). Falls irgendwer Lust hätte so etwas zu programmieren, würde ich mich gerne an dem Projekt beteiligen. ;)
Ansonsten bin ich noch an mikrotonalen Instrumenten, und deren Bau interessiert. Ich habe auch eine bundlose E-Gitarre bei mir rumstehen, bei der ich Bünde basierend auf der 53-Stufigen Stimmung markieren (also nur visuell) wollte, allerdings suche ich immer noch nach einem Verfahren, das relativ genau ist (dem Verwenden der theoretischen mathematischen Mensur vom Oktavpunkt aus stehe ich eher skeptisch gegenüber, außerdem hätte ich gerne schräge Bünde). Siehe auch:

http://www.novaxguitars.com/ (schräge Bünde)
http://www.truetemperament.com/site/index.php (Bünde, die auf jede Saite einzeln abgestimmt sind)
http://www.buzzfeiten.com/ (Buzz-Feiten Tuning)
http://infohost.nmt.edu/~jstarret/guitar.html ("normale" Gitarren in mikrotonale Gitarren umwandeln, Berechnung der theoretischen mathematischen Mensur)


Mit Komponisten mikrotonaler Musik habe ich mich noch nicht so viel beschäftigt. Von den von dir genannten sagt mir Iannis Xenakis etwas, ich werde mich die Tage evtl. mal etwas umhören. Insbesondere mit Harry Partch muss ich mich noch beschäftigen, der ja als Pionier der mikrotonalen Musik gilt.

Interessanter Weise gibt es seit den 60ern und 70ern zwei unterschiedliche Richtungen in der Mikrotonalen Musik. Die einen versuchen, frei zu sein und neue Bereiche zu erforschen, während sie sich auch mit dem Bau von neuen Instrumenten beschäftigen. Die anderen versuchen, Mikrointervalle zu nutzen, um möglichst nah an die reine Intonation und ihre Verwandten heranzukommen: so wurde zum Beispiel ein Computer-gestütztes Klavier entwickelt, welches automatisch Kontext-abhängig berechnet, welche "Variante" des gerade im Sinne des 12-Tonsystems gemeinten Intervalls die optimale ist, und den entsprechenden Ton dann spielt. Mittlerweile gibt es so etwas auch als mehr oder weniger gute Computerprogramme für Jedermann. Zwischen den beiden Lagern gibt es zuweil sehr interessante Diskussionen. Ich verweise auf das Buch Musik Konzepte Sonderband: Musik der anderen Tradition - Mikrotonale Tonwelten. http://www.amazon.de/Tradition-Mikrotonale-Tonwelten-Musik-Konzepte-Sonderband/dp/3883777021
Da würde ich mich eher zum ersten Lager zählen; erstens möchte ich immer wissen was ich mache, und die Entscheidungen keinem Programm überlassen, und zweitens bin ich skeptisch gegenüber dem Zusammenspiel zwischen mehreren Instrumenten, auch wenn oft behauptet wird dass es gut funktioniert (skeptisch in dem Sinne, dass man Potential ungenutzt lässt, nicht dass es schlecht klingt). Diese Einstellung hängt allerdings mit meinen persönlichen Präferenzen zusammen, und für viele sind computergestützte Instrumente sicher eine tolle Errungenschaft. ;)

Hier gibt es eine Auflistung einiger solcher Tonsysteme mit weiteren Komponisten:

http://www.ekmelic-music.org/system.htm
Wahrscheinlich hat das folgende nichts damit zu tun, warum du den Link aufgeführt hast, aber ich kann das trotzdem nicht unkommentiert lassen:

3. Untertonreihe

Die Untertonreihe entspricht der Umkehrung der Naturtonreihe. Die Intervallfolge ist die gleiche, sie wird jedoch von oben nach unten geführt, mit der Konsequenz, dass der Grundton oben steht und die Tonstufen nach unten immer kleiner werden.
Da wir es gewohnt sind, den Grundton von unten zu hören, sind die Intervalle der Untertonreihe mit Ausnahme der Oktaven dissonant. Selbst die Unterquinte (= Quarte) ist eine Dissonanz, wenn der untere Ton als Grundton angesehen wird. Die Untertonreihe ist fiktiv, d.h. sie existiert real physikalisch nicht, doch da ihre Intervalle die gleichen wie die der Naturtonreihe sind, sind die aus ihnen gebildeten Mehrklänge Umkehrungen der natürlichen Akkorde und können musikalisch verwendet werden. Als solche haben sie alle Moll-Charakter — Moll wird also nicht allein durch die Umkehrung der Folge große Terz - kleine Terz erzielt, sondern durch jede Umkehrung von Intervallen aus der Naturtonreihe.
Ich finde es schade wie verkehrt die Untertonreihe meist dargestellt wird, da es scheinbar kaum jemanden gibt, der das Konzept dahinter verstanden hat.

Zuerst einmal: Ja, die Untertonreihe ist zunächst einmal ein Konstrukt, da mit der Grundfrequenz eines Tones keine Untertöne mitschwingen (oder nur leise, wenn man manchen Quellen glaubt). Sie als "fiktiv" zu bezeichnen, weil sie angeblich "real physikalisch nicht existiert" ist aber falsch: Sie beschreibt einen existierenden physikalisch-akustischen Zusammenhang, man muss sie nur richtig interpretieren: Es handelt sich nämlich um die Reihe der Grundfrequenzen, die den Ausgangston der Reihe (= Referenzton) als Oberton besitzen. Der n-te Unterton der Reihe ist also der Ton, dessen n-ter Oberton der Referenzton ist. Aus diesem Grund ist es auch irreführend, von dem "Grundton" der Untertonreihe zu sprechen - es ist viel mehr ein Oberton, und die Töne der Untertonreihe sind dessen Grundtöne. Allen Untertönen gemein ist, dass sie nicht nur den Referenzton als Oberton besitzen, sondern auch dessen Obertöne, wodurch sich einige Obertöne überlagern, und es zu weniger Schwebungen zwischen den Obertönen kommt. Während hinter der Obertonreihe also das Konzept steht, dass man mehrere Töne als einen Ton (den Grundton) mit Obertonvorrat hört, steht hinter der Untertonreihe ein harmonisches Prinzip, mehrere Töne zusammen klingen zu lassen, ohne dass man sie als einen Ton hört. Die Obertonreihe steht also für Einfachheit und Schlichtheit, während die Untertonreihe für Vielfallt steht, wodurch letztere zwar nicht ganz so harmonisch ist wie erstere, hinter der aber dennoch ein harmonisches Prinzip steckt.

Insbesondere der Teil
Da wir es gewohnt sind, den Grundton von unten zu hören, sind die Intervalle der Untertonreihe mit Ausnahme der Oktaven dissonant. Selbst die Unterquinte (= Quarte) ist eine Dissonanz, wenn der untere Ton als Grundton angesehen wird.
ergibt für mich recht wenig Sinn: Warum soll die Quarte C' - F' in der Untertonreihe von c = c C F' C' ... nun dissonant sein? Und warum wird ausgerechnet die Quarte betont, wo doch die essenzielle harmonische Beziehung die zu c ist (der gemeinsame Oberton), also C' - c und F' - c.


Zum Thema Reine Stimmung, Harmonischer Dualismus von Dur und Moll, und Ober-/Untertonreihe kann ich übrigens die Bücher von Martin Vogel empfehlen - insbesondere "Die Lehre von den Tonbeziehungen" und "Die Naturseptime". Auch mikrotonale Musik als Annäherung der 7-Limit Reinen Stimmung wird behandelt, insbesondere 31et (nur angeschnitten), 53et und 171et (et = equal temperament, also gleichstufige Stimmung mit Einteilung der Oktave in n gleiche Teile).
 
Eigenschaft
 
Zuletzt bearbeitet:
Zur Untertonreihe: Sie ist auch durchaus ein physikalisch erlebbares Phänomen, wenn auch nicht so häufig zu hören wie die Obertonreihe. Dass in einem Ton keine Untertöne mitschwingen ist gleichfalls nicht -ganz- eindeutig: Ein 1000 Hz Ton, welchen ich mal vereinfachend als Kette von Druckimpulsen mit einer Millisekunde Abstand beschreibe, hat ja durchaus auch Druckimpulse im doppelten Abstand (2 ms), im dreifachen, vierfachen, fünffachen, etc., d.h. er "enthält" auch einen 500 Hz Ton, einen 333 Hz Ton, einen 250 Hz Ton und so weiter - also die Untertonreihe. Und das gilt selbst für Sinustöne. Nur hören wir diese Untertöne im Normalfall natürlich nicht, weil sie sich nicht durch eine andere Amplitude vom "Grundton" abheben.

Man kann jedoch mittels einiger instrumentaler Spieltechniken durchaus bestimmte Untertöne aus einem Ton herausschälen, indem man die Schwingungen welche -nicht- zu diesem Unterton gehören abdämpft. Wenn man beispielsweise nur einen von je drei Schwingungen eines Instrumentaltons voll ertönen lässt, ertönt die Duodezime unter dem gespielten Ton (also der 2. Unterton). Dies kann man insbesondere auf Streichinstrumenten (v.A. Cello und Kontrabass) durch Spielen mit extremem Bogendruck erreichen, wobei der Bogendruck dafür sorgt, dass die Saite in 1/2, 2/3, 3/4 etc. der Fälle am Bogen kleben bleibt und nicht frei durchschwingt. Es ist allerdings eine sehr schwer zu beherrschende Technik und Untertöne über den ersten hinaus sind kaum auf Anhieb zu treffen.
 
Klingt ziehmlich interessant, was du da erzählst! Dass es am Besten mit niedrigen Frequenzen klappt (Bass, Cello) würde Sinn machen. Ob es sich dabei um eine ähnliche Technik wie bei Untertongesängen handelt?

Ich dachte übrigens zuerst, du wolltest auf Kombinationstöne hinaus, also z.B. Basstöne, die sich während dem Spielen eines Intervalls auf einem Streichinstrument erzeugen lassen. Mit diesem Phänomen kenne ich mich aber leider auch noch nicht so gut aus. Ich weiß nur, dass Streicher anhand der Kombinationstöne erkennen können, wenn sie bestimmte Intervalle korrekt gespielt haben (z.B. g - h -> G', oder g - b -> Es', wenn ich mich nicht irre).
 
Ich mache mal mit einer Auflistung bekannter Stimmungen weiter, und wie bestimmte gleichstufige Stimmungen mit diesen vergleichbar sind. Zu den historischen Hintergründen sage ich mal nichts, dafür fehlt mir die Zeit, und teilweise auch das Wissen - auch wenn es sicher nicht irrelevant ist. ;)

  • Pythagoreische Stimmung:
    Erhält man durch Stapelung von Quinten mit reinem Stimmungverhältnis 3:2, und durch Oktavgleichheit, d.h. es gibt auch die Oktavverschiebungen der durch Quintstapelung erhaltenen Intervalle. Die pythagoreischen Terzen und Sexten sind nicht sehr konsonant, da sie durch Quintstapelung erzeugt wurden (kleine Terz: 32:27 statt 6:5, große Terz: 81:64 statt 5:4). Den Tonraum kann man sich (bei Oktavgleichheit) als Töne/Intervalle auf einer Quintachse vorstellen, bei der die #-chen nach rechts und die b-chen nach links bis ins Unendliche zunehmen (in der Praxis: oft eine Beschränkung auf 12 Töne), statt wie im Quintenzirkel ineinander überzugehen (-> keine enharmonische Verwechslung F# = Gb möglich!). Die kleinen Sekunden sind etwas kleiner, und die übermäßigen Primen etwas größer als in der 12-Stufigen Stimmung, man hat also stärkere Leittöne.
  • 12-Stufige / "Gleichstufige" / temperierte Stimmung (nicht wohltemperiert!):
    Die am meisten verbreitete(?) Stimmung in der westlichen Welt (vermute ich zumindest :rolleyes:). Sie basiert auf der (auf logarithmischer Ebene) gleichmäßigen Teilung der Oktave in 12 Teile, so dass 12 gleich große Schritte (-> Halbtöne) eine Oktave ergeben. Man kann sie sich auch als eine Art pythagoreische Stimmung vorstellen, bei der die Quinte um ca. 2 Cent verkleinert wurde, so dass 12 Quinten 7 Oktaven entsprechen (statt 7 Oktaven und einem pythagoreischen Komma 23,46 Cent). Das pythagoreische Komma wird also sozusagend auf 12 Quinten aufgeteilt, und jede Quinte um 23,46/12 Cent erniedrigt. Quinte, Quarte, Ganzton und kleine Septime sind recht nah an den Intervallen der pythagoreischen Stimmung. Die Terzen liegen etwas näher an den reinstimmigen Terzen 5:4 bzw. 6:5, unterscheiden sich aber immer noch um 14 bzw. 16 Cent von diesen (entsprechend die Sexten). Beherrscht man die Notenschrift, so ist die pythagoreische Stimmung recht intuitiv, da jedem Notennamen genau ein Ton zugeordnet ist, und umgekehrt.
  • Reine (Quint-Terz-) Stimmung:
    Erweitert man die pythagoreische Stimmung um das Intervall der großen Terz 5:4, so wird aus der Quintachse ein Quint-Terz-Raster, genannt "Tonnetz". In dieser Stimmung gibt es sowohl die reinstimmige große Terz 5:4 (= 80:64), als auch die pythagoreische große Terz 81:64. Der Unterschied zwischen beiden Intervallen ist (81:64)/(80:64) = 81:80 = 21,5 Cent, das sogenannte syntonische Komma. In der üblichen Notenschrift notierte Töne können in dieser Stimmung um ein syntonisches Komma (oder mehr) abweichen, weswegen entweder der Musiker die Noten interpretieren, oder die Notation erweitert werden muss. Als Erweiterung reichen die zusätzlichen Versetzungszeichen / und \, die eine Erhöhung bzw. Erniedrigung um ein syntonisches Komma gegenüber den pythagoreischen Noten / Intervallen bewirken. Z.B. sorgt die Notation C E\ G dafür, dass die Terzen C - E\ und E\ - G ein Verhältnis von 5:4 bzw. 6:5 haben, statt 81:64 bzw. 32:27. Z.B. lässt sich die C-Dur-Leiter als C D E\ F G A\ B\ C notieren, die parallele a-Moll-Tonleiter als A\ B\ C D\ E\ F G A\ (man beachte, dass D um ein syntonisches Komma abweicht, je nachdem ob es eine Quinte 3:2 über G, oder unter A\ liegt). Kurz gesagt: Die reine Stimmung ist etwas komplizierter, und manchmal muss man bei der Interpretation auch Kompromisse eingehen, wer den Aufwandt nicht scheut wird aber mit sehr schönen Harmonien belohnt. :)
  • p-Limit Reine Stimmung:
    Wie gesagt lassen sich reinstimmige Intervalle als Bruch x/y ausdrücken. Zerlegt man x und y in Primfaktoren, so kann man die Primfaktoren mit Obertönen assoziieren, und sich jedes Intervall als Kombination von Obertönen vorstellen. "p-Limit Reine Stimmung" heißt, man verwendet nur die Obertöne bis zur Primzahl p zur Konstruktion von Intervallen. Die pythagoreische Stimmung könnte man z.B. als 3-Limit reine Stimmung bezeichnen, weil die einzigen vorkommenden Primfaktoren 2 und 3 sind. In der reinen Quint-Terz-Stimmung kommen 2, 3 und 5 in den Intervallverhältnissen vor (z.B. 10:9 = 2*5:3*3 für den kleinen Ganzton D - E\), d.h. es handelt sich um eine 5-Limit reine Stimmung. Bei einer 7-Limit reinen Stimmung gäbe es zusätzlich noch die Naturseptime 7:4, und weitere septimale Intervalle.
  • Mitteltönige Stimmung:
    Meist versteht man darunter die 1/4-Komma Mitteltönige Stimmung, bei der die Quinte um 1/4 des syntonischen Kommas (ca. 5 Cent) erniedrigt wird, so dass 4 Quinten eine große Terz 5:4 (statt 81:64) und 2 Oktaven ergeben. Genau wie die pythagoreische Stimmung reicht eine Quintachse und Oktavverschiebungen/-gleichheit aus, um sich den Tonraum vorstellen zu können, und das übliche Notensystem ist ohne Probleme anwendbar. Neben der großen Terz 5:4 gibt es auch die übermäßige Sexte, die sich kaum von der Naturseptime 7:4 unterscheidet. Der einzige nennenswerte Nachteil an dieser Stimmung ist wohl die um 5 Cent zu kleine Quinte, was man allerdings auch nicht unterschätzen sollte, da Abweichungen der Quinte stärker ins Gewicht fallen als etwa bei den Terzen / Sexten. Die charakteristischen mitteltönigen Quinten können allerdings auch gerade ein Grund dafür sein, weswegen man eine Mitteltönige Stimmung bevorzugt.
    Eine weitere Variante ist die 1/3-Komma Mitteltönige Stimmung, bei der die Quinte um 1/3 syntonisches Komma (ca. 7 Cent) erniedrigt wird. Dadurch haben die kleinen Terzen ein Verhältnis von 6:5, Quinte und große Terz sind 7 Cent zu klein.
  • Schismatische Stimmung:
    Das Schisma bezeichnet den Unterschied zwischen dem pythagoreischen und dem syntonischen Komma, der mit 2 Cent recht klein ist. Ignoriert man das Schisma, so lässt sich zum Beispiel die verminderte Quarte der pythagoreischen Stimmung mit der großen Terz 5:4 "gleichsetzen" (b4 "=" 3\). Auf diese Art lässt sich z.B. die pyth. Stimmung als Schismatische Stimmung, also als Annäherung an die reine Quint-Terz-Stimmung verwenden; man muss sich dazu allerdings etwas weiter auf der Quintachse bewegen.

...nun zu einigen m-Stufigen Stimmungen (Einteilung der Oktave in m gleiche Teile, auch m-et oder m-tet = m tone equal temperament):

  • 9et:
    An und für sich wahrscheinlich nichts besonderes, aber die Annäherung an die septimale kleine Terz ist hier recht gut, was bewirkt dass in m-Stufigen Stimmungen, bei denen m ein Vielfaches von 9 ist, die Naturseptime 7:4 in etwa so gut angenähert ist wie die Quinte 3:2 (also entweder sind beide Intervalle gut angenähert, oder beide sind es nicht).
  • 17et:
    Harmonisch nichts besonderes, aber durch die etwa 4 Cent zu große Quinte ergibt sich eine noch brauchbare Stimmung, die an die pyth. Stimmung erinnert, aber noch schärfere Leittöne (kleine Sekunden) besitzt. Diese sind zwar nicht ganz so klein wie die Vierteltöne in 24et, sind dafür aber in den (17-tönigen) Quintenzirkel integriert. Übermäßige Sekunde und verminderte Quarte sind in dieser Stimmung gleich groß, und entsprechen einer neutralen Terz (teilt die Quinte exakt in der Mitte). Der Vorteil dieser Stimmung liegt also insbesondere im melodischen Bereich (wobei mir die etwas größere #4 auch als Klang recht gut gefällt).
  • 19et:
    Die kleinen Terzen sind quasi reinstimmig (6:5), und ergeben sich durch Stapelung von 3 Quarten - es handelt sich also im Prinzip um eine 1/3-Komma Mitteltönige Stimmung. Eine Klaviertastatur kann man sich so vorstellen, dass aus jeder schwarzen Taste 2 werden, und zwischen E/F und B/C je eine schwarze Taste hinzukommt.
  • 22et:
    Eine Annäherung an die reine Quint-Terz-Stimmung, die zwar nicht gerade hervorragend ist, aber die sehr gut geeignet ist, sich bei kleiner Skalengröße mit dem prinzipiellen Aufbau der reinen Stimmung zu beschäftigen, da z.B. die große Terz in zwei unterschiedlich große Ganztöne geteilt wird, und es Wolfsquinten gibt.
  • 24et:
    Die bekannte Erweiterung von 12et um Vierteltöne. Harmonisch wäre zu sagen, dass der 11. Partialton (551 Cent + 3 Okt.) sehr gut angenähert wird, der 13. ok (841 Cent + 3 Okt., aka. neutrale Sexte), und die Naturseptime zumindest etwas besser als in 12et, aber nicht wirklich zufriedenstellend - es ergeben sich diesbezüglich also nicht so viele offensichtlich erkennbare Vorteile. Die melodischen Vorteile dürften klar sein, und die neutralen Terzen / Sexten sind auch nicht uninteressant.
  • 29et:
    Eine recht gute Annäherung an die pyth. Stimmung, bei der die kleine Sekunde größer ist als die übermäßige Prime (-> schärfere Leittöne), und die besser angenäherte Quinten besitzt als 12et oder 17et. Theoretisch ist sie auch als schismatische Stimmung verwendbar, allerdings nicht so gut, und ich würde da eher bis 41et oder (vorzugsweise) 53et gehen.
  • 31et:
    Die großen Terzen sind quasi reinstimmig (5:4), und ergeben sich durch Stapelung von 4 Quinten - es handelt sich also im Prinzip um eine (1/4-Komma) Mitteltönige Stimmung. Eine Klaviertastatur könnte ähnlich wie bei der 19-Stufigen Stimmung aussehen, nur dass man die Anzahl der schwarzen Taste verdoppeln müsste (also 5x 4 und 2x 2 schwarze Tasten).
  • 34et:
    Eine Annäherung an die reine Quint-Terz-Stimmung, die insbesondere bei der großen Terz gut ist. Die Quinte ist die von 17et, liegt also etwa 4 Cent zu hoch, womit sie noch akzeptabel ist.
  • 36et:
    Hier ist die Naturseptime recht gut angenähert (<- enthält 9et), das Intervall mit 833 Cent ist eine gute Annäherung an die neutrale Sexte 13:8, und eine exzellente Annäherung des goldenen Schnitts (-> dürfte also insbesondere für Mathematiker interessant sein ^^).
  • 41et:
    Relativ ähnlich wie 53et, allerdings mit etwas schlechter angenäherter Quinte, schlechter angenäherter großer Terz (aber immer noch wesentlich besser als in 12et), dafür mit besser angenäherter Naturseptime. Da die Naturseptime in 53et aber nicht so "stark" abweicht wie die (wichtigere) große Terz in 41et, würde ich 53et bevorzugen.
  • 53et:
    Eine besonders gute Annäherung an die reine Quint-Terz-Stimmung. Der kleinste Intervallschritt liegt relativ genau zwischen dem pythagoreischen und dem syntonischen Komma, und kann als beides verwendet werden, weswegen wir eine Schismatische Stimmung haben (b4 = 3\). Auch die Naturseptime ist recht gut angenähert, und man kann den kleinsten Intervallschritt auch als Leipziger Komma deuten (64:63 = 27 Cent, Unterschied zwischen 16:9 und 7:4), wodurch einige weitere Intervallgleichsetzungsmöglichkeiten entstehen.
  • 72et:
    Als kgV von 24 und 36 hat diese Stimmung natürlich alle Vorzüge dieser enthaltenen Stimmungen (inkl. 12et), und bietet außerdem noch eine gute Annäherung an die große Terz auf der 23. Stufe, womit man eine Art 13-Limit reine Stimmung hat, die viele Obertöne gut annähert, wenn auch nicht perfekt (insbesondere die um 2 Cent zu kleine Quinte ist bei dieser Größenordnung etwas Schade, erlaubt allerdings auch gleichzeitig die Verwendung als 12et).
  • 171et:
    171 = 9*19. 9et hat eine ausgezeichnete Annäherung an die septimale kleine Terz (7:6 = Unterschied zwischen Naturseptime 7:4 und reiner Quinte 3:2), 19et nähert die kleine Terz 6:5 exzellent an (Unterschied zwischen reiner Quinte und großer Terz). Da in 171et die reine Quinte "zufällig"(?) sehr gut angenähert ist, und wegen den gerade erwähnten Eigenschaften, sind auch die große Terz 5:4 und die Naturseptime 7:4 etwa gleich gut angenähert, weswegen wir hier eine ausgezeichnete 7-Limit reine Stimmung haben. Ein Intervallschritt von 3 steht für das pyth. und das synt. Komma (-> Schismatische Stimmung), das Leipziger Komma wird durch 4 Schritte repräsentiert. Wir haben hier also eine 7-Limit Reine Stimmung (mit schismatischer Gleichsetzung) und eine 1/3-Komma Mitteltönige Stimmung in einem.
  • 200et:
    Die Quinte ist noch besser angenähert als in 53et, die (aus schismatischer Gleichsetzung resultierende) große Terz allerdings nicht ganz so gut. Für die Naturseptime gibt es gleich 2 etwa gleichwertige Kandidaten, da für das Leipziger Komma sowohl der Intervallschritt von 4 (24 Cent, entspricht Annäherung von pyth. / synt. Komma) als auch der von 5 (30 Cent) in Frage kommt. Interessant wird die Stimmung dadurch, dass sie neben der Annäherung an die reine Quinte auch eine an die (1/4-Komma) mitteltönige Quinte besitzt, was hier eine gewisse Flexibilität ermöglichen könnte.
  • 1200et:
    Die sog. Cent-Stimmung, bei der jeder Intervallschritt 1 Cent entspricht - eine Größenordnung, bei der der kleinste Näherungsfehler bei einem einzelnen Intervall selbstverständlich max. 0,5 Cent betragen kann. Enthält z.B. 24et und 200et, aber nicht 72et. Nur, um sie mal erwähnt zu haben ... ;)

So, das mal als kleiner Überblick - es gibt natürlich noch mehr Stimmungen, und nicht nur Gleichstufige, und dadurch dass ich die Auswahl der genannten Stimmungen getroffen habe ist diese natürlich gewissermaßen willkürlich. Es geht hier übrigens im Wesentlichen um kurze Beschreibungen der Stimmungen, und es kann sein dass manche einen besseren Eindruck machen als andere obwohl es nicht so sein sollte, weil ich wichtige Merkmale (die mir evtl. auch nicht bekannt sind) weggelassen habe - also seid erst mal vorsichtig mit vorschnellen Schlussfolgerungen, und verschafft euch selbst einen Eindruck (z.B. mit scala). Es ist natürlich auch möglich dass mir Fehler unterlaufen sind, außerdem habe ich mir oft nicht die Zeit genommen, die konkreten Abweichungen von Intervallen zu nennen, wofür ich mich entschuldigen möchte.
 
Martin Vogel ist kaum geeignete Lektüre, sorry! Ein Komponist mit kruden Theorien, dem die musikalische Moderne bzw. Neue Musik nicht gefiel. Das von cvinos empfohlene Buch ist schon eher empfehlenswert, aber man darf nicht vergessen, das (wie bei Musik Konzepte-Bänden üblich) immer nur ein Ausschnitt präsentiert wird. Der Titel "Mikrotonale Inseln" wäre demnach weit treffender ;)

"Mikrotonale Welten" präsentiert vor allem Bewegungen, die besonders reine Intervalle verwenden wollen. Genauso gibt es natürlich Strömungen, denen das völlig schnuppe ist oder die eben besonders dissonante bzw. andere Intervalle verwenden möchten. Und noch viele weitere.

Somit gibt es nicht nur unterschiedliche Unterteilungen der Oktave (bzw. sogar "Systeme", welche die Oktave ebenfalls nicht als gegeben erachten), sondern auch unterschiedliche Anschaungen, Ziele, Kompositionstechniken.

Ich glaube, über letzteres zu unterhalten, ist lohnender, und wenn auch nur um zu verstehen, das eine Annäherung an bestimmte "reine" Intervalle (wie in vielen von Dir aufgezählten Systemen - woher stammt die Liste eigentlich?) nicht unbedingt etwas erstrebenswertes sein muss.

Darin ist auch (als Niveau-Schlusslicht) ein Vortrag von Martin Vogel, der da erzählt, er möchte sein Geld nicht auf die Vierteltonmusik setzen (werde wörtliche Zitate nachliefern).

HëllRÆZØR schrieb:
Ich finde es schade wie verkehrt die Untertonreihe meist dargestellt wird, da es scheinbar kaum jemanden gibt, der das Konzept dahinter verstanden hat.

Ich kann an dieser "Darstellung" nichts falsches lesen. Das Konzept dürfte allen klar sein, nur ist die Untertonreihe etwas, das es in der Natur nicht gibt. Untertongesang und Resonanz sind Spezialfälle, die obendrein mit der Untertonreihe ebenfalls wenig zu tun haben. Die Untertonreihe wurde als Gegenstück zur Obertonreihe erfunden, um ein System, das auf äusserst wackeligen Beinen steht, mit weiteren Pseudofakten aufzuwerten und scheinbar theoretisch zu begründen.
Auch, um die tonale Musik als besonders natürlich oder rein zu darstellen zu können. Bzw. als natürlicher, reiner und als höherwertiger, als andere Systeme (z.B. anderer Kulturen). Dabei wird von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen, und die Übereinstimmung mit von diversen Musikern/Theoretikern wertend als gut befundener Klänge mit der Obertonreihe ist rein zufällig, genau wie mit der Untertonreihe (in Wirklichkeit geht es nur um Einfachheit oder Kompliziertheit der Schwingungsverhältnisse, welche problemlos Dur und Moll als "konsonanter" erklären, als andere Akkorde aus 3 Tönen bestehend - das nur nebenbei!).

Folgenden Absatz:

HëllRÆZØR schrieb:
Während hinter der Obertonreihe also das Konzept steht, dass man mehrere Töne als einen Ton (den Grundton) mit Obertonvorrat hört, steht hinter der Untertonreihe ein harmonisches Prinzip, mehrere Töne zusammen klingen zu lassen, ohne dass man sie als einen Ton hört. Die Obertonreihe steht also für Einfachheit und Schlichtheit, während die Untertonreihe für Vielfallt steht, wodurch letztere zwar nicht ganz so harmonisch ist wie erstere, hinter der aber dennoch ein harmonisches Prinzip steckt.

stellst Du zu dem einfach so hin, ohne irgendeine Schlussfolgerung zu ziehen. Aber zumindest hast Du erkannt, das die Obertonreihe als ein (musikalischer) Ton gehört wird, derweil eine Untertonreihe als Akkord aus vielen Tönen gehört wird. Du hast also im Gegensatz zu Riemann das Ohr bzw. Gehirn nicht ignoriert.

Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, als Musiker Material zu sammeln, aus der Obertonreihe Töne zu pflücken. Auch diese dann zu spiegeln, ist ebenso legitim, wie alles andere, was sich mit beliebigen Tönen anstellen lässt. Solange man sich darüber bewusst ist, das man etwas willkürliches macht.

Aber mit viel Gewalt ein allgemeingültiges System, eine Weltanschauung abzuleiten, ist sehr fraglich. Und die bis heute (mehr als hundert Jahre später) reichenden Konsequenzen sehr betrüblich.

Davon abgesehen finde ich es natürlich extrem begrüssenswert, wenn mit diesem Thread einmal mehr auch fortschrittlichere Musik (=Musik die nicht auf einem über hundert Jahre alten System beruht) einen Platz auf musiker-board.de findet! ;)

 
Zuletzt bearbeitet:
Hi,
Martin Vogel ist kaum geeignete Lektüre, sorry! Ein Komponist mit kruden Theorien, dem die musikalische Moderne bzw. Neue Musik nicht gefiel. Das von cvinos empfohlene Buch ist schon eher empfehlenswert, aber man darf nicht vergessen, das (wie bei Musik Konzepte-Bänden üblich) immer nur ein Ausschnitt präsentiert wird. Der Titel "Mikrotonale Inseln" wäre demnach weit treffender ;)
Martin Vogel legt hauptsächlich Wert auf Harmonien / Konsonanz, und mit diesem Hintergrund muss man seine Bücher lesen. Ich bin auch nicht mit allem einverstanden, was er schreibt (aber das bin ich in den wenigsten Fällen, wenn es um Musiktheorie-Bücher geht), aber ich denke ich habe sehr viel von ihm gelernt. Welche "kruden Theorien" meinst du genau? Vom Harmonischen Dualismus von Dur und Moll und den Betrachtungen zur Untertonreihe halte ich recht viel. Über Eulers Gradus Suavitatis (Funktion zur "Konsonanzberechnung") und Vogel's Modifikation bin ich geteilter Meinung - interessant allemal, allerdings erscheint mir das Konzept etwas schwammig, und für die Praxis nur bedingt geeignet.

"Mikrotonale Welten" präsentiert vor allem Bewegungen, die besonders reine Intervalle verwenden wollen. Genauso gibt es natürlich Strömungen, denen das völlig schnuppe ist oder die eben besonders dissonante bzw. andere Intervalle verwenden möchten. Und noch viele weitere.

Somit gibt es nicht nur unterschiedliche Unterteilungen der Oktave (bzw. sogar "Systeme", welche die Oktave ebenfalls nicht als gegeben erachten), sondern auch unterschiedliche Anschaungen, Ziele, Kompositionstechniken.

Ich glaube, über letzteres zu unterhalten, ist lohnender, und wenn auch nur um zu verstehen, das eine Annäherung an bestimmte "reine" Intervalle (wie in vielen von Dir aufgezählten Systemen - woher stammt die Liste eigentlich?) nicht unbedingt etwas erstrebenswertes sein muss.
Klingt gut, jetzt bin ich noch ein bisschen neugieriger. Über die Stichworte "Anschauungen, Ziele, Kompositionstechniken" lohnt es sich natürlich, sich zu unterhalten.

Die Liste habe ich selbst erstellt, und ist einfach eine Liste von wohltemperierten Stimmungen, mit denen ich mich mehr oder weniger beschäftigt habe, und ist deshalb - wie gesagt - ein wenig willkürlich. Skalen wie die Bohlen Pierce scale (basiert auf Einteilung der "Tritave" = reine Duodezime / 3. Partialton), oder Harry Partch scales (-> Tonalitätsdiamanten) habe ich mal beiseite gelassen, weil ich auch gerade nicht so viel Zeit hatte, und mich noch nicht so viel damit beschäftigt habe.

Darin ist auch (als Niveau-Schlusslicht) ein Vortrag von Martin Vogel, der da erzählt, er möchte sein Geld nicht auf die Vierteltonmusik setzen (werde wörtliche Zitate nachliefern).
Wie gesagt - er hat andere Zielsetzungen, und scheinbar auch ein besonders empfindliches Gehör, was "Dissonanzen" anbelangt. Aber wenn man mit seinen Ansichten über Vierteltöne nichts anfangen kann heißt das nicht, dass man von ihm nichts lernen kann.

Ich kann an dieser "Darstellung" nichts falsches lesen. Das Konzept dürfte allen klar sein, nur ist die Untertonreihe etwas, das es in der Natur nicht gibt. Untertongesang und Resonanz sind Spezialfälle, die obendrein mit der Untertonreihe ebenfalls wenig zu tun haben. Die Untertonreihe wurde als Gegenstück zur Obertonreihe erfunden, um ein System, das auf äusserst wackeligen Beinen steht, mit weiteren Pseudofakten aufzuwerten und scheinbar theoretisch zu begründen.
Auch, um die tonale Musik als besonders natürlich oder rein zu darstellen zu können. Bzw. als natürlicher, reiner und als höherwertiger, als andere Systeme (z.B. anderer Kulturen). Dabei wird von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen, und die Übereinstimmung mit von diversen Musikern/Theoretikern wertend als gut befundener Klänge mit der Obertonreihe ist rein zufällig, genau wie mit der Untertonreihe (in Wirklichkeit geht es nur um Einfachheit oder Kompliziertheit der Schwingungsverhältnisse, welche problemlos Dur und Moll als "konsonanter" erklären, als andere Akkorde aus 3 Tönen bestehend - das nur nebenbei!).
Nichts Falsches? Es wurde behauptet dass die Intervalle der Untertonreihe mit Ausnahme der Oktaven dissonant sind, obwohl es sich um die gleichen Intervalle wie in der Obertonreihe handelt. Den exakten Gedankengang kann ich immer noch nicht nachvollziehen, auch wenn ich grob erahnen kann, welche Denkfehler(?) gemacht wurden. Die Untertonreihe ist eine Möglichkeit, andere Kulturen erst zu VERSTEHEN, da unsere westliche Kultur eher auf die Obertonreihe fixiert ist (s. z.B. Vogel's Betrachtungen der Untertonreihe als äquidistante Teilung einer Saite / Luftsäule). Bei der Konsonanz von Akkorden geht es des Weiteren nicht nur um einfache Verhältnisse der Grundfrequenzen, sondern auch um evtl. Spannungen zwischen den Obertönen, und die werden beim Konzept der Untertonreihe dadurch reduziert, dass sich viele Obertöne überlagern (der Referenzton und alle seine Obertöne sind Obertöne aller Töne der Untertonreihe) Ich denke allerdings, dass es neben Ober- und Untertonreihe weitere konsonante Konstruktionsprinzipien gibt, und sehe diese nicht als absolute Kriterien an. Du kritisierst, dass bei Betrachtungen der Ober- und Untertonreihe Dur- und Moll-Dreiklang besser wegkommen als einige andere Dreiklänge - hast du zufällig ein Beispiel für einen Akkord, von dem du denkst dass er dadurch ungerechter Weise benachteiligt ist? "Tonale Musik" (falls es um die klassische europäische Musik geht) kommt bei dualistischer Betrachtung übrigens auch nicht so "natürlich" weg - insbesondere was die Verwendung der Molltonart anbelangt, aber auch sonst ist da recht viel Willkür erkennbar. Wie gesagt, nenn mal ein paar konkrete Beispiele, anhand denen man das durchdiskutieren kann. ;)

Folgenden Absatz:
Während hinter der Obertonreihe also das Konzept steht, dass man mehrere Töne als einen Ton (den Grundton) mit Obertonvorrat hört, steht hinter der Untertonreihe ein harmonisches Prinzip, mehrere Töne zusammen klingen zu lassen, ohne dass man sie als einen Ton hört. Die Obertonreihe steht also für Einfachheit und Schlichtheit, während die Untertonreihe für Vielfallt steht, wodurch letztere zwar nicht ganz so harmonisch ist wie erstere, hinter der aber dennoch ein harmonisches Prinzip steckt.

stellst Du zu dem einfach so hin, ohne irgendeine Schlussfolgerung zu ziehen. Aber zumindest hast Du erkannt, das die Obertonreihe als ein (musikalischer) Ton gehört wird, derweil eine Untertonreihe als Akkord aus vielen Tönen gehört wird. Du hast also im Gegensatz zu Riemann das Ohr bzw. Gehirn nicht ignoriert.

Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, als Musiker Material zu sammeln, aus der Obertonreihe Töne zu pflücken. Auch diese dann zu spiegeln, ist ebenso legitim, wie alles andere, was sich mit beliebigen Tönen anstellen lässt. Solange man sich darüber bewusst ist, das man etwas willkürliches macht.

Aber mit viel Gewalt ein allgemeingültiges System, eine Weltanschauung abzuleiten, ist sehr fraglich. Und die bis heute (mehr als hundert Jahre später) reichenden Konsequenzen sehr betrüblich.

Davon abgesehen finde ich es natürlich extrem begrüssenswert, wenn mit diesem Thread einmal mehr auch fortschrittlichere Musik (=Musik die nicht auf einem über hundert Jahre alten System beruht) einen Platz auf musiker-board.de findet! ;)
Ich würde schon sagen dass ich meine Schlussfolgerungen in dem Absatz gezogen habe, allerdings keine all zu drastischen. Deinen restlichen Aussagen hier kann ich nur zustimmen, und ich halte auch nicht all zu viel von absoluten Weltanschauungen. Ich weiß auch dass Konsonanz längst nicht alles ist (ich höre u.a. recht gerne unterschiedliche Metal-Richtungen ^^), und finde auch gleichstufige Stimmungen wie 17et oder 23et recht interessant. Dass ich mich hauptsächlich auf Harmonien beziehe hängt wohl auch damit zusammen, dass ich mich mit diesem Thema einfach mehr beschäftigt habe, und ich z.B. bei Melodik nur nach persönlichem Geschmack gehen könnte, da ich mich mit diesem Bereich in Bezug auf mikrotonale Musik noch nicht so stark auseinandergesetzt habe (ich kenne grob das Konzept von Wilson's Moments of Symmetry (MoS), allerdings auch nicht viel).


Vielen Dank übrigens für deine Kritik, ich schätze das bietet erst mal einiges an Diskussionsmaterial. :great:
 
Hallo, ich schreib erstmal etwas zum Thema Untertonreihe, insbesondere, weil ein Missverständnis dort entstanden ist.

Ich bezog mich nicht speziell auf cvinos, sondern auf "meist". "Ich finde es schade wie verkehrt die Untertonreihe meist dargestellt wird" hast Du geschrieben, und das habe ich zitiert ;)

Die Untertonreihe ist eine Möglichkeit, andere Kulturen erst zu VERSTEHEN, da unsere westliche Kultur eher auf die Obertonreihe fixiert ist.

Dieser Satz überrascht mich. Welche Kultur verwendet denn eine Spiegelung der Obertonreihe als Grundlage für ein System?

Bei der Konsonanz von Akkorden geht es des Weiteren nicht nur um einfache Verhältnisse der Grundfrequenzen, sondern auch um evtl. Spannungen zwischen den Obertönen

Das ist eine Behauptung, die nicht zu halten ist. Denn erstens werden die Obertöne ja vom Ohr ausgeblendet, und zweitens stören "uns" die schrecklichen "Obertondissonanzen" der temperierten Stimmung ja auch nicht.

Ich denke allerdings, dass es neben Ober- und Untertonreihe weitere konsonante Konstruktionsprinzipien gibt, und sehe diese nicht als absolute Kriterien an.

Cool ;)

Du kritisierst, dass bei Betrachtungen der Ober- und Untertonreihe Dur- und Moll-Dreiklang besser wegkommen als einige andere Dreiklänge - hast du zufällig ein Beispiel für einen Akkord, von dem du denkst dass er dadurch ungerechter Weise benachteiligt ist?

Nein, das hast Du falsch verstanden, oder ich habe mich ungenau ausgedrückt. Was ich sagen wollte, war: Dur und Moll sind die konsonantesten Klänge mit drei Tönen. Und diesen Sachverhalt kann man sehr leicht aus den Frequenzverhältnissen der (mus.) Töne zueinander ableiten.

Oder: man konstruiert ein grosses Gedankengebäude um die (unhörbare) Obertonreihe, findet zufällige übereinstimmungen. Nur das arme Moll kommt nicht vor. Also stellt man etwas auf dem Kopf, um etwas zu erhalten, das mit dem Originalgegenstand (Obertonreihe) nun gar nichts mehr zu tun hat und völlig anders vom Ohr verarbeitet wird (bzw. nicht zu mus. Ton + Klang dekodiert werden kann). Und die einzige Motivation dafür ist, wie schon gesagt, ein System als besonders natürlich/natur/gott-gegeben darzustellen. Das erklärt auch die grosse Gewalt und Widersprüchlichkeit dieser sehr unwissenschaftlichen "Theorien".

Dabei wäre erstere Methode doch ebenso natürlich, da sie einfach nur auf mathematischen Verhältnissen beruht. Aber Riemann stammte wohl schon aus der Zeit, in der die Mathematik als widernatürlich verachtet wurde, und/oder als Grundlage für Künste nicht ausreichend menschlich erschien.

Kurz zu Vogel: Du hast recht: Als eine mögliche Richtung von vielen kann man Vogel natürlich lesen, wenn man kritisch bleibt.

... Ich werde dann mal versprochenes Vogel-Zitat heraussuchen sowie knapp etwas über Ligetis Konzepte schreiben und das evtl. einer anderen Richtung Gegenüberstellen.
 
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Hallo, ich schreib erstmal etwas zum Thema Untertonreihe, insbesondere, weil ein Missverständnis dort entstanden ist.

Ich bezog mich nicht speziell auf cvinos, sondern auf "meist". "Ich finde es schade wie verkehrt die Untertonreihe meist dargestellt wird" hast Du geschrieben, und das habe ich zitiert ;)
Ah, ok. Wobei das Zitat nicht von cvinos selbst war, sondern nur auf der von ihm verlinkten Seite. Es sind halt meine Erfahrungswerte, dass die Untertonreihe oft z.B. als "rein mathematisches Konstrukt" bezeichnet wird, und man bemängelt dass es keine Untertöne gibt, die mit dem Grundton mitschwingen. Aber zum ersten ist es kein rein mathematisches Konstrukt, sondern beschreibt ein Obertonverhältnis, dass Töne dieser Reihe besitzen (der Referenzton der Untertonreihe ist im Obertonvorrat von jedem seiner Untertöne enthalten). Was auch immer man aus diesem Zusammenhang schließt, er beschreibt einen Zusammenhang mit der Obertonreihe, und ist alles andere als "rein mathematisch". Was den zweiten Kritikpunkt anbelangt: Das mag stimmen, aber man sollte nichts schlecht machen, nur weil man die falschen Erwartungen stellt.

Dieser Satz überrascht mich. Welche Kultur verwendet denn eine Spiegelung der Obertonreihe als Grundlage für ein System?
Du wirst überrascht sein, wie einfach man auf die Untertonreihe kommt. Teilt man eine Saite in n gleiche Teile ein (-> äquidistante Teilung einer Saite), so ergeben sich die Saitenlängen l= nl/n, (n-1)l/n, (n-2)l/n, ... , 3l/n, 2l/n, l/n. Benennen wir die Frequenz des kürzesten Saitenabschnitts l/n mit f, so ergeben sich (bilde den Kehrwert, und ersetze n/l durch f) die Frequenzen n/f, (n-1)/f, (n-2)/f, ... , f/3, f/2, f. Es ergibt sich also eine n-tönige Untertonreihe, wobei der Referenzton f der mit der kürzesten Saitenlänge l/n ist, und die Leersaite (Saitenlänge l) der n-te Unterton dieser Reihe. Die alten Griechen haben (zeitweise) diese Art der Einteilung verwendet, und das dürfte auch mit ein Grund sein warum sie abwärts sangen. Die symmetrische Einteilung einer Saite in n gleiche Teile dürfte recht häufig bei einfachen Kulturen erfolgt sein, die sonst keine musikalischen Anhaltspunkte haben und erst einmal ausprobieren. Somit dürften die Ursprünge vieler Kulturen in der Untertonreihe zu finden sein. Man erhält sie übrigens auf ähnliche Art, wenn man eine Luftsäule (-> Blasinstrumente) in n gleiche Teile teilt.
( auf diese Zusammenhänge bin ich übrigens durch Martin Vogel aufmerksam geworden ;) )

Bei der Konsonanz von Akkorden geht es des Weiteren nicht nur um einfache Verhältnisse der Grundfrequenzen, sondern auch um evtl. Spannungen zwischen den Obertönen
Das ist eine Behauptung, die nicht zu halten ist. Denn erstens werden die Obertöne ja vom Ohr ausgeblendet, und zweitens stören "uns" die schrecklichen "Obertondissonanzen" der temperierten Stimmung ja auch nicht.
Ja, diese etwas misslungene Formulierung war auch der Grund, warum ich heute noch einmal ins Forum geschaut habe, um mich zu korrigieren - auch bei einfachen Intervallverhältnissen überlagern sich Obertöne, und nicht nur bei Akkorden, die aus Ober- und Untertonreihe hergeleitet wurden.
(ja, ab und zu schreibe ich einnfach Mist)

Zu deinem Punkt: Die Obertondissonanzen sind stärker, je größer die Unterschiede und je wichtiger der Oberton. Weiterhin spielt es eine große Rolle, welches Instrument man verwendet (-> Obertonintensitäten). Die Quinte ist ja auch nicht so schlecht in 12et angenähert, deshalb sind die Obertondissonanzen auch kaum bemerkbar. Die wesentlich schlechter angenäherte große Terz (und Kombinationen / Umkehrungen, die sich aus Quinte und großer Terz ergeben) macht sich da schon eher bemerkbar, was allerdings stark vom Instrument abhängig ist. Auf einer verzerrten E-Gitarre klingt ein Dur- oder Moll-Dreiklang nun mal nicht wirklich konsonant, auf einem Klavier dagegen ist es bei weitem nicht so extrem, wenn auch nicht optimal. Ein gutes Beispiel ist auch die Bohlen Pierce scale, die keine Oktave besitzt, und deshalb z.B. für Klarinetten gut geeignet, deren Oktaven im Obertonspektrum nicht so stark sind. Noch ein Beispiel: Einige Arpeggien, bei denen die Töne lange nachklingen klingen in der Form angenehm, als gleichzeitig gespielter Akkord allerdings eher weniger. Ein Grund dafür kann sein, dass die Obertöne schneller abklingen als die Grundfrequenz, während die Obertöne beim gleichzeitigen Anspielen eine wesentlich größere Bedeutung haben, da sie viel lauter sind (wenn du willst kann ich dir hier mal ein anschauliches Beispiel raussuchen). Ich könnte hier noch weitere Beispiele nennen, die darauf hindeuten dass Obertondissonanzen eine wichtige Rolle spielen. Letztlich weiß ich dies nicht mit absoluter Gewissheit, aber ich denke es spricht einiges dafür. Ich denke unsere Annahmen dürften aber zu ähnlichen Ergebnissen führen, da sich bei einfachen Stimmungsverhältnissen auch Obertöne überlagern, und Obertondissonanzen reduziert werden. ;)

Nein, das hast Du falsch verstanden, oder ich habe mich ungenau ausgedrückt. Was ich sagen wollte, war: Dur und Moll sind die konsonantesten Klänge mit drei Tönen. Und diesen Sachverhalt kann man sehr leicht aus den Frequenzverhältnissen der (mus.) Töne zueinander ableiten.
Klar, das ist natürlich durchaus eine vertretbare Sichtweise. Ich finde allerdings die Ober- / Untertonbetrachtungen recht praktisch, um leicht zu sehen in welcher Oktavlage / Umkehrung ein Dur- oder Moll-Dreiklang besonders konsonant ist, und da sieht man beim Moll-Dreiklang große Unterschiede zur musikalischen Praxis, und dass Moll oft dissonanter verwendet wird als nötig (hat natürlich auch Vorteile, ein "fröhliches" und ein "trauriges" Tongeschlecht zu haben ^^).

Dass Dur und Moll die konsonantesten Dreiklänge sind kann sein, aber ein sus2 in günstiger Oktavlage (z.B. als C - G - d, oder am Besten eine Duodezime zwischen jedem Ton) kommt von der Konsonanz zumindest sehr nah dran. Ich denke an diesem Beispiel sieht man auch, dass Konsonanz nicht alles ist, und es dem "sus2" ein wenig an "Farbe" fehlt (Konsonanz heißt in erster Linie auch nur "einfach", und nicht "schön bunt", und muss nicht gleichbedeutend mit "klingt besser" sein ^^).

Oder: man konstruiert ein grosses Gedankengebäude um die (unhörbare) Obertonreihe, findet zufällige übereinstimmungen. Nur das arme Moll kommt nicht vor. Also stellt man etwas auf dem Kopf, um etwas zu erhalten, das mit dem Originalgegenstand (Obertonreihe) nun gar nichts mehr zu tun hat und völlig anders vom Ohr verarbeitet wird (bzw. nicht zu mus. Ton + Klang dekodiert werden kann). Und die einzige Motivation dafür ist, wie schon gesagt, ein System als besonders natürlich/natur/gott-gegeben darzustellen. Das erklärt auch die grosse Gewalt und Widersprüchlichkeit dieser sehr unwissenschaftlichen "Theorien".

Dabei wäre erstere Methode doch ebenso natürlich, da sie einfach nur auf mathematischen Verhältnissen beruht. Aber Riemann stammte wohl schon aus der Zeit, in der die Mathematik als widernatürlich verachtet wurde, und/oder als Grundlage für Künste nicht ausreichend menschlich erschien.
Ich denke gerade weil die Obertonreihe nicht bewusst wahrgenommen wird und zum Grundtonempfinden beiträgt, ist sie ein interessantes Konzept, das zumindest Beachtung verdient. Was man daraus macht ist eine andere Sache, und die Dur-Tonleiter kann man wohl kaum als "natürlich/gottgegeben" bezeichnen, und sie ist auch keine direkte Ableitung aus der Obertonreihe (Letzteres schreibt übrigens auch Martin Vogel, um ihn hier ein bisschen zu verteidigen). Die Untertonreihe ist natürlich nichts "gottgegebenes/natürliches", hat aber interessante akustische Eigenschaften und spielt (vermutlich) bei einigen einfachen Kulturen eine Rolle, und sollte deshalb m.E. auch nicht als willkürliches Konstrukt abgestempelt werden. Dass die Untertonreihe nichts mit der Obertonreihe zu tun hat möchte ich stark bestreiten - auch wenn die genaue Bedeutung der Zusammenhänge alles andere als trivial ist. Dass die Untertonreihe direkt betrachtet nichts Natürliches ist, würde ich auch behaupten (außer es geht darum, wie "natürlich" (oder eher wahrscheinlich) es ist dass ein Mensch erst einmal eine Saite in n gleiche Teile einteilt, und so auf die Untertonreihe stößt).
 
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Meines Erachtens ist die Untertonreihe zunächst mal ein mathematisches Konstrukt, was ich aber nicht weiter tragisch finde, sondern eher gut. Einige mathematische Zusammenhänge bestehen zu der Obertonreihe des Referenztons. Darüber hinaus lohnt sich auch eine mathematische Betrachtung der Obertonreihen der einzelnen Untertöne. Gegen eine umfangreiche akustische Analyse der Untertonreihe habe ich auch nichts einzuwenden.

Allerdings, für mich ist der Aspekt der Legitimation von Moll durch die Untertonreihe, also der zentrale Punkt des Dualismus, nicht sehr ansprechend. Wie ich an anderer Stelle auch schon bemerkt hatte, befindet sich der Moll-Dreiklang bereits in der Obertonreihe. Wenn einem nun etwas daran liegt, die Intervall-Kombination "Moll-Dreiklang" aus der Obertonreihe abzuleiten (egal zu welchem Zweck), dann sehe ich dort überhaupt kein Problem. Es heißt immer wieder, dass der Moll-Dreiklang in der Obertonreihe aber von anderen Obertönen "unterbrochen" wird. Das mag stimmen, wenn alle Obertöne erklingen, jedoch ist es sehr fraglich, warum das ein Problem darstellen soll. Wenn alle Obertöne erklingen, dann ist auch der Dur-Dreiklang selbst gestört, ohne dass er von anderen Obertönen "unterbrochen" werden muss.

Alle Klänge sind Kombinationen aus 1 bis n Intervallen. Für mich spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Intervalle aus der Obertonreihe stammen, oder nicht. Ich habe gegen die Ableitung aus der Obertonreihe nichts einzuwenden, allerdings sehe ich dass diese Ableitung überbewertet und missbraucht wird, um alte Systeme zu Legitimieren und als "Gott-gegeben", "besonders rein" oder "das einzig wahre" darzustellen. Dies halte ich für falsch und sehr bedenklich, und da stimme ich Alff Orden voll und ganz zu.

Es wäre schön, wenn die Obertonreihe in der Lehre in vielen Fällen freier betrachtet würde, anstatt sich auf ein paar Intervalle mit möglichst einfachen Frequenzverhältnissen zu beschränken. Komplexe Intervalle aus der Obertonreihe sollten mehr Beachtung finden, wenn man sie schon analysiert. Ansonsten geht einem viel "Natur" durch die Lappen. Ohnehin ist es falsch, zu behaupten, die einfachen Intervalle seien besonders "natürlich", denn in der Natur gibt es, in Extremen gesprochen, viel mehr Geräusch als "reinen Klang".
 
HëllRÆZØR;4283849 schrieb:
Aber zum ersten ist es kein rein mathematisches Konstrukt, sondern beschreibt ein Obertonverhältnis, dass Töne dieser Reihe besitzen (der Referenzton der Untertonreihe ist im Obertonvorrat von jedem seiner Untertöne enthalten).

Ich frage mal einfach salopp, weil ich immer noch nicht damit zurecht komme, das Du Dinge einfach in den Raum stellst ohne Schlussfolgerungen ;) Also der Grundton der Untertonreihe ist in den Obertönen von auf beliebigen Untertönen neu gebildeten Obertonreihen enthalten. Welche Auswirkungen hat dies in welchem Gebiet der Musik? Oder welche Schlussfolgerungen zieht man dafür in der Praxis?

HëllRÆZØR;4283849 schrieb:
Die alten Griechen haben (zeitweise) diese Art der Einteilung verwendet, und das dürfte auch mit ein Grund sein warum sie abwärts sangen. Die symmetrische Einteilung einer Saite in n gleiche Teile dürfte recht häufig bei einfachen Kulturen erfolgt sein, die sonst keine musikalischen Anhaltspunkte haben und erst einmal ausprobieren. Somit dürften die Ursprünge vieler Kulturen in der Untertonreihe zu finden sein.

Die Gründe für die Einteilung der Saiten usw. usf. hast Du genannt. Aber dann schreibst Du, der Ursprung wäre plötzlich in der Untertonreihe zu finden?

Die Menschen sind damals nicht auf die Untertonreihe gestossen, sondern auf eine beliebige Reihe von Tönen, mehr nicht. Alles weitere ist nun mal eine Konstruktion ... die Obertonreihe zu spiegeln und zufällig dieselben mathematischen Verhältnisse zu erhalten.

 
Hallo,

zuerst einmal ein großes Lob, dass ihr meine Beiträge kritisch betrachtet und Fragen stellt! ;)

Meines Erachtens ist die Untertonreihe zunächst mal ein mathematisches Konstrukt, was ich aber nicht weiter tragisch finde, sondern eher gut. Einige mathematische Zusammenhänge bestehen zu der Obertonreihe des Referenztons. Darüber hinaus lohnt sich auch eine mathematische Betrachtung der Obertonreihen der einzelnen Untertöne. Gegen eine umfangreiche akustische Analyse der Untertonreihe habe ich auch nichts einzuwenden.
Sie zunächst einmal als mathematisches Konstrukt zu bezeichnen ist völlig in Ordnung, solange man nicht ausschließt dass aus diesen Zusammenhängen eine akustische Bedeutung resultiert. Es ging mir nur darum zu betonen, dass es sich m.E.n. nicht um ein rein mathematisches Konstrukt handelt. ;)

Allerdings, für mich ist der Aspekt der Legitimation von Moll durch die Untertonreihe, also der zentrale Punkt des Dualismus, nicht sehr ansprechend. Wie ich an anderer Stelle auch schon bemerkt hatte, befindet sich der Moll-Dreiklang bereits in der Obertonreihe. Wenn einem nun etwas daran liegt, die Intervall-Kombination "Moll-Dreiklang" aus der Obertonreihe abzuleiten (egal zu welchem Zweck), dann sehe ich dort überhaupt kein Problem. Es heißt immer wieder, dass der Moll-Dreiklang in der Obertonreihe aber von anderen Obertönen "unterbrochen" wird. Das mag stimmen, wenn alle Obertöne erklingen, jedoch ist es sehr fraglich, warum das ein Problem darstellen soll. Wenn alle Obertöne erklingen, dann ist auch der Dur-Dreiklang selbst gestört, ohne dass er von anderen Obertönen "unterbrochen" werden muss.
Ich denke wir haben hier relativ unterschiedliche Auffassungen vom Dualismus. Für mich ist es eine Art Philosophie, die einem hilft Klänge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, und Inspiration für Kompositionen zu liefern. Des Weiteren hat das klassische Moll mit dem dualistischen nur den Dreiklang gemeinsam, und wer auch immer versucht das klassische Moll mit dem Dualismus zu "legitimieren" (ich hasse dieses Wort!), der schadet damit dem Dualismus mehr als er nützt.

Fakt ist, dass man beim Moll-Dreiklang als Teil der Untertonreihe schnell sieht, dass die konsonantesten Intervalle von der Quinte ausgehen (bzw. von dem Ton zwei Oktaven über der Quinte, wenn man auch akkordfremde Töne zulässt). Und das ist m.M.n. eine der wichtigsten Erkenntnisse des Dualismus. Das wäre übrigens ein direkter Nutzen, den Moll-Dreiklang als Teil der Untertonreihe zu betrachten.

Alle Klänge sind Kombinationen aus 1 bis n Intervallen. Für mich spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Intervalle aus der Obertonreihe stammen, oder nicht. Ich habe gegen die Ableitung aus der Obertonreihe nichts einzuwenden, allerdings sehe ich dass diese Ableitung überbewertet und missbraucht wird, um alte Systeme zu Legitimieren und als "Gott-gegeben", "besonders rein" oder "das einzig wahre" darzustellen. Dies halte ich für falsch und sehr bedenklich, und da stimme ich Alff Orden voll und ganz zu.

Es wäre schön, wenn die Obertonreihe in der Lehre in vielen Fällen freier betrachtet würde, anstatt sich auf ein paar Intervalle mit möglichst einfachen Frequenzverhältnissen zu beschränken. Komplexe Intervalle aus der Obertonreihe sollten mehr Beachtung finden, wenn man sie schon analysiert. Ansonsten geht einem viel "Natur" durch die Lappen. Ohnehin ist es falsch, zu behaupten, die einfachen Intervalle seien besonders "natürlich", denn in der Natur gibt es, in Extremen gesprochen, viel mehr Geräusch als "reinen Klang".
Ich glaube über den Punkt der "Legitimation", brauchen wir nicht großartig zu diskutieren, oder ob etwas "gottgegeben/natürlich" ist - ich denke da sind wir alle der selben Ansicht. "Natürlich" ist auch ein viel zu schwammiger Begriff, und legitim ist alles! :D

Dass es nicht nur auf Konsonanz (Einfachheit der Klänge) ankommt, sondern auch Klangfarben wichtig sind, schrieb ich ja bereits. Selbst Harmonie muss kein zentraler Bestandteil eines Musikstücks sein, und Dissonanzen sind das Chilli in der Suppe ^^.

So, nun zu Alff...
 
Ich frage mal einfach salopp, weil ich immer noch nicht damit zurecht komme, das Du Dinge einfach in den Raum stellst ohne Schlussfolgerungen ;) Also der Grundton der Untertonreihe ist in den Obertönen von auf beliebigen Untertönen neu gebildeten Obertonreihen enthalten. Welche Auswirkungen hat dies in welchem Gebiet der Musik? Oder welche Schlussfolgerungen zieht man dafür in der Praxis?
Hui, da gibt es einige nützliche Schlussfolgerungen, die man ziehen kann. Aber zuerst einmal: Ich lege sehr viel Wert darauf, von dem Referenzton der Untertonreihe zu sprechen, und nicht von einem "Grundton". Statt dessen betrachte ich jeden Ton der Untertonreihe als einen eigenen Grundton, der in einem einfachen Verhältnis zum Referenzton steht. Während man bei der Obertonreihe einen Grundton und viele Obertöne hat, hat man bei der Untertonreihe viele Grundtöne, die sich einen Oberton (den Referenzton) teilen. Diese Sichtweise finde ich absolut elementar zum Verständnis der Untertonreihe, und ist eine Veranschaulichung dessen, was ich da grob in einem Satz zusammengefasst hatte, und worauf du dich hier beziehst. Schlussfolgerungen sind da einige möglich, hier ein paar als Beispiel:

  • Die klassische Harmonielehre geht davon aus, dass jeder Akkord einen (einzigen) Grundton hat, und basiert stark darauf. Der Dualismus stellt dieses Konzept stark in Frage, was insbesondere die Lage der Töne von Akkorden betrifft, und die Bedeutung der Töne innerhalb der Akkorde. Die Terz des Moll-Dreiklangs sollte für mehr Konsonanz z.B. tiefer liegen.
  • Der Dualismus liefert Inspirationen zum Aufbau neuer Akkorde, was insbesondere bei der Erforschung der unbeschränkten reinen Stimmung hilfreich sein dürfte, während man mit Terzstapelei allein nicht so weit kommt. Natürlich sollte man sich bei der Akkordgestaltung nicht auf diese beiden Reihen beschränken.
  • Spiegelt man Tonkonstellationen (Akkorde, Skalen etc.) in der Tonhöhe, so hat dies im Dualismus besondere Bedeutungen: Was man vorher am Ehesten der Obertonreihe zugeordnet hätte, lässt sich nach der Spiegelung am Ehesten der Untertonreihe zuordnen, und umgekehrt. Was man vorher beidem gleich gut oder gleich schlecht zuordnen konnte, ändert sich auch nach der Spiegelung nicht, usw. Die Intervallverhältnisse ändern sich nicht, nur die Richtung wird umgekehrt (-> ähnliche Konsonanz, aber Vorsicht bei den Unterschieden im Obertonspektrum!). Assoziiert man die Obertonreihe mit (dem dualistischen) Dur und die Untertonreihe mit (dem dualistischen) Moll, so kann man diese Spiegeloperation so interpretieren, dass aus dem Dur-Anteil ein Moll-Anteil wird und umgekehrt, und was gleichermaßen Dur wie Moll war bleibt es auch ("Dur" und "Moll" wie gesagt im dualistischen Sinne, nicht unbedingt im klassischen). Der Moll-Dreiklang ist eine Tonhöhenspiegelung des Dur-Dreiklangs, die Moll-Leiter eine Spiegelung der Dur-Leiter, die Subdominante in Moll eine Spiegelung der Dominante in Dur (aus dem Leitton unter dem Grundton in Dur wird ein Leitton über der Quinte des Moll-Dreiklangs), die vermollte Subdominante in Dur (-> Harmonisch Dur) eine Spiegelung der verdurten Dominante in Moll (-> Harmonisch Moll), MM5 (V. Stufe von Melodisch Moll) eine Spiegelung von Melodisch Moll, der m7b5 (Moll-Dreiklang mit kleiner Septime unter der Quinte) eine Spiegelung des Dom7, usw. usf. - kurz gesagt: Man kann alles spiegeln und mit dem vergleichen, welche Entsprechungen (oder "Einzigartigkeiten" wie Dom7 oder Harmonisch / Melodisch Moll) man in der klassischen Musik hat, erkennen wie willkürlich das alte Verständnis ist, und sich danach hoffentlich etwas freier bewegen, weil man einige neue Möglichkeiten entdeckt hat. ;)
    Natürlich muss man sich hier nicht unbedingt auf europäische Musik beziehen, das war nur als anschauliches Beispiel; Tonhöhenspiegelungen funktionieren natürlich mit jedem Tonmaterial.

...ich finde es jedoch wichtiger, dass man selbst seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen kann. Den Dualismus halte ich für eine sehr brauchbare Philosophie, auf ein weiteres dogmatisches Regelwerk ("Akkorde erhält man durch Terzstapelung von den Tonleiterstufen") kann ich verzichten.

Edit: Ach ja, es ging um Schlussfolgerungen dieses einen Zusammenhangs, nicht um den Nutzen des Dualismus im Allgemeinen. Entschuldige, ich brauche immer etwas länger für meine Beiträge, und komme da schon mal durcheinander. Nimm als Antwort einfach den ersten Punkt, der kritisiert dass man in der klassischen Harmonielehre jeden Akkord wie einen Obertonakkord behandelt, dessen einiger Grundton / tonales Zentrum der tiefste Ton ist, und dass man dort auf die Besonderheiten anderer Akkorde nicht individuell eingeht. Das führt u.a. auch dazu, dass man das c im Am primär als kleine Terz auffasst, statt als große Terz unter der Quinte ("Dur hat eine große Terz, Moll eine kleine").

Die Gründe für die Einteilung der Saiten usw. usf. hast Du genannt. Aber dann schreibst Du, der Ursprung wäre plötzlich in der Untertonreihe zu finden?

Die Menschen sind damals nicht auf die Untertonreihe gestossen, sondern auf eine beliebige Reihe von Tönen, mehr nicht. Alles weitere ist nun mal eine Konstruktion ... die Obertonreihe zu spiegeln und zufällig dieselben mathematischen Verhältnisse zu erhalten.
Diese "beliebige Reihe von Tönen", wie du sie nennst, IST die Untertonreihe (bzw. ein beliebig langer Anfang davon) - deine Aussage ("Die Menschen sind damals nicht auf die Untertonreihe gestossen, sondern auf eine beliebige Reihe von Tönen") ist somit widersprüchlich, und ich weiß nicht was ich dazu noch großartig sagen soll. Dass es keine beliebige Tonfolge ist erkennt man übrigens daran, dass sich immer wieder die Untertonreihe ergibt, egal in wie viele Teile man die Saite einteilt, sie wird lediglich fortgeführt wenn man mehr Töne verwendet. Und auch das haben die alten Griechen erkannt.

Mein Hauptpunkt war übrigens, dass die Untertonreihe für das Verständnis einiger einfacher Musikkulturen (oder den frühen Ursprung weiter entwickelter Kulturen) relevant ist, und dafür spielt es keine Rolle, ob es sich nun um eine willkürliche mathematische Folge handelt, oder nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
...ein kleiner Nachtrag:

HëllRÆZØR;4286864 schrieb:
die Moll-Leiter [ist] eine Spiegelung der Dur-Leiter, [...]

Eigentlich ergibt sich aus der Spiegelung der Dur-Leiter eher eine Art Phrygisch, welches man aus dualistischer sicht allerdings durchaus als "Moll-Leiter" bezeichnen kann, da die Stufen I, IV und V den Referenztönen der (abwärts geführten) Hauptdreiklangsstufen von Moll entsprechen, und das Tonmaterial (selbst in der reinen Stimmung) das der klassischen Moll-Tonleiter ist.

Die Behauptung war zugegebenermaßen zumindest irreführend, wenn nicht gar falsch so wie ich sie vorher formuliert hatte, was mir allerdings erst im Nachhinein aufgefallen war - ich bitte nachträglich um Entschuldigung für die Verwirrung! :rolleyes:
 
Hi! Es ist auf jedenfall sehr gut, wenn man verschiedene Konzepte sachlich diskutieren kann :great: Im schönsten Fall kommt es dann dazu, das beide Seiten neue Erkenntnisse erlangen :)

Folgendes Zitat war an cvinos gerichtet, ich antworte aber trotzdem drauf ;)

Ich denke wir haben hier relativ unterschiedliche Auffassungen vom Dualismus. Für mich ist es eine Art Philosophie, die einem hilft Klänge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, und Inspiration für Kompositionen zu liefern.

Ich glaube, hier ist auch ein Missverständnis entstanden. Beim Dualismus denkt man (im Bezug auf Musik) natürlich sofort an Hugo Riemann, der die tonale Musiktheorie wesentlich geprägt hat, mit einem allerdings äusserst wackeligen Theoriengebäude. Darin wird die Untertonreihe aufgestellt als "Erklärung" von Moll, und jedes Element von Dur bekommt ein dualistisches Gegenstück, usw. usf. ...

Du scheinst dich aber gar nicht auf Riemann zu beziehen, sondern mehr auf die allgemeine Philosophie des Dualismus, sehe ich das richtig?

Jedenfalls habe ich mich beim vorig geschriebenen hauptsächlich auf den Dualismus Riemanns bezogen, und im gleich folgenden Post wahrscheinlich auch hier und da;)
 
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HëllRÆZØR;4286864 schrieb:
Ich lege sehr viel Wert darauf, von dem Referenzton der Untertonreihe zu sprechen, und nicht von einem "Grundton".

Okay, ich hatte das nur mal in gängige Begriffe übersetzt, um sicher zu stellen, das ich Dich richtig verstanden habe :)

Du schreibst nun, das der Dualismus "inspiration zum Aufbau neuer Akkorde" liefert, und da kann ich Dir mein "Problem" mit dieser Sicht schildern.

Ich arbeite ja auch von Fall zu Fall mit solchen Prinzipien, aber ich sehe das nicht als "Dualismus", sondern einfach als eine Spiegelung. Zu meinen frühesten Erfahrungen mit verschiedenen Kompositionstechniken gehört die Zwölftonmethode, zu welcher es auch gehört, das man eine Tonfolge im 12tet in verschiedenen Weisen spiegelt. Nebst dem Krebs (quasi Rückwärts, Spiegel an der Y-Achse) gibt es da die Umkehrung (Spiegel an der X-Achse). Der Unterschied zur althergebrachten Umkehrung ist, das die Spieglung nicht innerhalb einer diatonischen Leiter erfolgt, sondern Intervallgetreu.

Auf diese Weise wird ebenfalls aus einem Dur-Akkord ein Moll-Akkord, verminderter Sept und übermässiger Dreiklang bleibt gleich, usw.

Deshalb denke ich, muss man sich dafür nicht unbedingt auf eine Untertonreihe oder den Dualismus beziehen :)

Meiner Ansicht nach kann man die Obertonreihe gerne kompositorisch verwenden, wie jedes andere Material auch. Und man kann sie natürlich spiegeln, um neue Klänge zu finden. Das ist alles völlig in Ordnung und "legitim" ;)

Ich hole mal etwas aus ... Für mich beruhen Konsonanz und Dissonanz auf der Einfachheit der Zahlenverhältnisse. So ist z.B. Dur der für mich schlicht der konsonanteste Akkord, der sich mit 3 verschiedenen Tönen erzeugen lässt. Das nun Dur mit den Tönen 3,4,5 der Obertonreihe übereinstimmt, ist für mich eine zufällige mathematische Übereinstimmung, mehr nicht. Für mich besteht da ein ebensogrosser bzw. kein Zusammenhang wie zwischen Quinte und tripartiter Duole, oder zwischen Terz und bipartiter Quintole:

Quinte = Duole = 2:3
grosse Terz = Quintole = 5:4

Niemand würde das in Verbindung bringen, trotzdem sind es die selben Zahlenverhältnisse.

Desweiteren besteht zwischen der ganzen tonalen Musik, die bis ca. 1900 in unserem Kulturkreis vorherrschend war, und der Obertonreihe nicht mal eine Ähnlichkeit. Es werden ja bestenfalls nur 5 Töne willkürlich herausgelöst, entlegene werden igonriert oder zurechtgeschustert. Eine "Herleitung" kann somit immer nur mit grosser Gewalt getätigt werden. Um so mehr entlegene Obertöne man nimmt, um so "unnatürlicher", "unharmonischer", "fremder" klingen die Klänge.

Nun muss man sich nur entscheiden, ob man die tonale Musik unserer Kultur als "unnatürlich" und "unharmonisch" betrachtet, oder die Obertonreihe. Da wir in unserem Kulturkreis auf ersteres konditioniert sind, wird natürlich eine Musik, die wirklich auf der Obertonreihe basiert, als "unharmonisch" und "misstönend" (vom Hörer X) bezeichnet werden.

Aber natürlich sehe ich darin kein Problem, und begrüsse eine solche Musik ;) Hier als Beispiel eine Komposition, die von den Naturtönen der Hörner gebrauch macht (lt. Partitur bis zum 15.):
http://www.youtube.com/watch?v=KqVV_CUQzT4

Viele Grüsse ;)
 
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...zuerst zu deinem ersten Beitrag:

Hi! Es ist auf jedenfall sehr gut, wenn man verschiedene Konzepte sachlich diskutieren kann :great: Im schönsten Fall kommt es dann dazu, das beide Seiten neue Erkenntnisse erlangen :)
Ja, dem kann ich nur zustimmen! Mir fehlte auch der Austausch in diesen Bereichen der Musiktheorie, und diese Diskussion hier hat mich in einigen Bereichen zum Nachdenken gebracht, worüber ich sehr dankbar bin.

Ich glaube, hier ist auch ein Missverständnis entstanden. Beim Dualismus denkt man (im Bezug auf Musik) natürlich sofort an Hugo Riemann, der die tonale Musiktheorie wesentlich geprägt hat, mit einem allerdings äusserst wackeligen Theoriengebäude. Darin wird die Untertonreihe aufgestellt als "Erklärung" von Moll, und jedes Element von Dur bekommt ein dualistisches Gegenstück, usw. usf. ...

Du scheinst dich aber gar nicht auf Riemann zu beziehen, sondern mehr auf die allgemeine Philosophie des Dualismus, sehe ich das richtig?

Jedenfalls habe ich mich beim vorig geschriebenen hauptsächlich auf den Dualismus Riemanns bezogen, und im gleich folgenden Post wahrscheinlich auch hier und da;)
Nun ja, was heißt "Missverständnis"? - ich weiß ja selbst nicht einmal, was genau ich mir unter dem Dualismus vorstellen soll :rolleyes:. Den Aspekt des dualistischen Gegenstücks betrachte ich allerdings als wichtigen Bestandteil des Dualismus. Stellt man sich nämlich einen Akkord als Konstellation von Intervallen vor, so hat das Dualistische Gegenstück die selbe Konstellation, nur umgekehrt. Betrachtet man nur die Intervallverhältnisse, so ergibt sich für Ursprungsakkord und dualistisches Gegenstück der gleiche Konsonanzgrad, und die tonalen Zentren (Töne, deren Intervalle zu anderen Akkordtönen besonders konsonant sind) sind spiegelsymmetrisch in der Tonhöhe.

Zum Beispiel enthält der Dur-Dreiklang die Intervalle reine Quinte, gr. Terz und kl. Terz, und vom tiefsten Akkordton (-> tonales Zentrum) gehen die konsonantesten Intervalle aus (Quinte, gr. Terz). Der Moll-Dreiklang enthält die gleichen Intervalle, hat von der Einfachheit der Intervallverhältnisse her also den gleichen Konsonanzgrad, und das tonale Zentrum (von dem die konsonantesten Intervalle ausgehen) ist der höchste Akkordton, also spiegelsymmetrisch zum Dur-Dreiklang. Man könnte als tonale Zentren auch Akkordfremde Töne akzeptieren, die zu den Akkordtönen in konsonantem Verhältnis stehen, aber auch diese wären bei Ursprungsakkord und dualistischem Gegenstück symmetrisch.

Nun ist es allerdings so, dass man von der Einfachheit der Intervalle innerhalb eines Akkordes nicht direkt auf deren Konsonanz schließen kann, da es bedeutende Unterschiede im Obertonspektrum zwischen Ursprungsakkord und dualistischem Gegenstück gibt, was u.a. auch Einfluss auf die Wirkung von deren tonalen Zentren (wie oben definiert) hat. Ich denke, der Aspekt des dualistischen Gegenstücks ist wichtig, wenn es um Konsonanz und (Poly-)Tonalität bei Akkorden geht, auch wenn es über den Dualismus hinausgeht. Er ist aber definitiv nicht das einzige Kriterium, und darf auch nicht überschätzt werden, weswegen man den Dualismus auch nicht als "alleinige, alles erklärende Wahrheit" betrachten sollte, sondern als eine zusätzliche Perspektive. Deshalb halte ich es auch für sinnvoll, so wie Martin Vogel zwischen Grundton (klassisches tonales Zentrum) und Referenzton (dualistisches tonales Zentrum) eines Akkordes zu unterscheiden, damit keine unnötigen Verwirrungen entstehen, und eine multiperspektivische Betrachtung nicht zu umständlich wird.
 
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Du schreibst nun, das der Dualismus "inspiration zum Aufbau neuer Akkorde" liefert, und da kann ich Dir mein "Problem" mit dieser Sicht schildern.

Ich arbeite ja auch von Fall zu Fall mit solchen Prinzipien, aber ich sehe das nicht als "Dualismus", sondern einfach als eine Spiegelung. Zu meinen frühesten Erfahrungen mit verschiedenen Kompositionstechniken gehört die Zwölftonmethode, zu welcher es auch gehört, das man eine Tonfolge im 12tet in verschiedenen Weisen spiegelt. Nebst dem Krebs (quasi Rückwärts, Spiegel an der Y-Achse) gibt es da die Umkehrung (Spiegel an der X-Achse). Der Unterschied zur althergebrachten Umkehrung ist, das die Spieglung nicht innerhalb einer diatonischen Leiter erfolgt, sondern Intervallgetreu.

Auf diese Weise wird ebenfalls aus einem Dur-Akkord ein Moll-Akkord, verminderter Sept und übermässiger Dreiklang bleibt gleich, usw.

Deshalb denke ich, muss man sich dafür nicht unbedingt auf eine Untertonreihe oder den Dualismus beziehen :)
Klar, eine Spiegelung muss man nicht dualistisch interpretieren, auch wenn sie dort eine elementare Bedeutung hat.

Ich hole mal etwas aus ... Für mich beruhen Konsonanz und Dissonanz auf der Einfachheit der Zahlenverhältnisse. So ist z.B. Dur der für mich schlicht der konsonanteste Akkord, der sich mit 3 verschiedenen Tönen erzeugen lässt. Das nun Dur mit den Tönen 3,4,5 der Obertonreihe übereinstimmt, ist für mich eine zufällige mathematische Übereinstimmung, mehr nicht. Für mich besteht da ein ebensogrosser bzw. kein Zusammenhang wie zwischen Quinte und tripartiter Duole, oder zwischen Terz und bipartiter Quintole:

Quinte = Duole = 2:3
grosse Terz = Quintole = 5:4

Niemand würde das in Verbindung bringen, trotzdem sind es die selben Zahlenverhältnisse.
Und genau da sehe ich das Problem: Dass man mit dem Dur-Dreiklang nur die Quinte und die große Terz assoziiert, und die kl. Terz unter den Tisch fallen lässt, als käme es nur auf die Intervalle zum Akkordgrundton an. Betrachtet man alle Intervalle zwischen den Akkordtönen, so sieht man auch dass Dur- und Moll-Dreiklang aus den gleichen Intervallen bestehen, und von den Intervallverhältnissen her (aber nicht unbedingt allgemein betrachtet) gleich konsonant sind.

Einen Beitrag zum Thema Konsonanz von Intervallen / Akkorden schreibe ich nachher noch, das Thema interessiert mich auch brennend, und mir ist aufgefallen dass einige Annahmen, die ich vor Beginn dieses Threads gemacht habe doch nicht so trivial / sicher sind, wie angenommen. :rolleyes:

Ein Zusammenhang zwischen Intervallverhältnissen und Rhythmen besteht mit Sicherheit, genau wie es wichtige Unterschiede gibt.

Desweiteren besteht zwischen der ganzen tonalen Musik, die bis ca. 1900 in unserem Kulturkreis vorherrschend war, und der Obertonreihe nicht mal eine Ähnlichkeit. Es werden ja bestenfalls nur 5 Töne willkürlich herausgelöst, entlegene werden igonriert oder zurechtgeschustert. Eine "Herleitung" kann somit immer nur mit grosser Gewalt getätigt werden. Um so mehr entlegene Obertöne man nimmt, um so "unnatürlicher", "unharmonischer", "fremder" klingen die Klänge.

Nun muss man sich nur entscheiden, ob man die tonale Musik unserer Kultur als "unnatürlich" und "unharmonisch" betrachtet, oder die Obertonreihe. Da wir in unserem Kulturkreis auf ersteres konditioniert sind, wird natürlich eine Musik, die wirklich auf der Obertonreihe basiert, als "unharmonisch" und "misstönend" (vom Hörer X) bezeichnet werden.

Aber natürlich sehe ich darin kein Problem, und begrüsse eine solche Musik ;) Hier als Beispiel eine Komposition, die von den Naturtönen der Hörner gebrauch macht (lt. Partitur bis zum 15.):
http://www.youtube.com/watch?v=KqVV_CUQzT4
Eine Ähnlichkeit zur Obertonreihe sehe ich durchaus, zumindest bei Dur. Die komplette Dur-Leiter von der Obertonreihe abzuleiten ist natürlich Unsinn, da fallen die Töne der Subdominante komplett raus, und insbesondere die Terz der Dominante ist so weit oben in der Obertonreihe (15), dass man sich fragt warum man die ganzen anderen Töne (7,11,13,14=7*2) übersprungen hat. Man kann allerdings jeden Ton der Dur-Tonleiter als Teil eines Dur-Dreiklangs betrachten (S, T, D), und einen einzelnen Dur-Dreiklang als Teil der Obertonreihe zu interpretieren finde ich eher weniger problematisch, insbesondere wenn er z.B. als C' C G c e g gespielt wird (eine Obertonreihe vom 1. bis zum 6. Ton). Dass man bei 5-limit bleibt (nur Primfaktoren bis 5 in Intervallverhältnissen) ist allerdings tatsächlich Willkür; zwar haben höhere Obertöne für gewöhnlich schwächere Intensitäten, und sind somit weniger bedeutend, allerdings ist das nicht Grund genug, so früh schon aufzuhören. ^^

Die Obertonreihe wird meist dann unharmonisch, wenn man die Töne nicht mehr als Teil einer Obertonreihe wahrnimmt. Das kann z.B. bei willkürlicher Selektion, melodischer (statt harmonischer) Integration oder Anwendung von "Oktavgleichheit" (23:16 statt 23:1) passieren. Die Konditionierung spielt natürlich - wie du schon sagst - auch eine wichtige Rolle, insbesondere in einer Kultur, die alles was aus einem gewissen 12-Ton-Rahmen fällt als "schief" empfindet. :D
 
Nun - wie angekündigt - was zur Einfachheit von Frequenzverhältnissen:

Man ist sich ja relativ einig, dass die Konsonanz / Dissonanz eines Intervalls u.a. davon abhängt, wie einfach das Frequenzverhältnis ist (auch Schwebungen und weitere Aspekte sind relevant). Dabei ist allerdings zu beachten, dass nur rationale Intervalle sich als ein Verhältnis p/q ausdrücken lassen (sog. reinstimmige Intervalle), während irrationale Intervalle kein Frequenzverhältnis haben. Da es allerdings nur abzählbar unendlich viele rationale Zahlen gibt, aber überabzählbar unendlich viele irrationale Zahlen ist die Wahrscheinlichkeit gleich 0, dass man in der Praxis tatsächlich ein Intervall der Form p/q erzeugt. Die Konsonanz hängt also nicht direkt vom Verhältnis des Intervalls ab, sondern von dem Verhältnis eines benachbarten Intervalls mit konsonantem Verhältnis p/q, und dem Abstand zu diesem, wobei das Bezugsintervall nicht zu weit entfernt sein darf, und der Abstand für die Dissonanz größer ins Gewicht fallen dürfte, je konsonanter das Bezugsintervall ist.

Als Beispiel seien die reine Quinte und die kl. Terz der 12-Stufigen Stimmung genannt. Die Quinte hat das "Frequenzverhältnis" 1:2^(7/12), etwa 1.498 (700 cent), und liegt recht nahe an der reinstimmigen Quinte 3:2 = 1.5 (etwa 702 cent). Die Konsonanz ergibt sich aus dem einfachen Verhältnis 3:2, verstärkt um eine Dissonanz, die durch den Abstand von etwa 2 cent zustande kommt, und noch einmal wegen dem einfachen Verhältnis 3:2 verstärkt wird. Da der Abstand allerdings sehr klein ist, dürfte die Dissonanz kaum größer sein als bei 3:2.
Auch die kl. Terz aus 12et hat kein rationales Frequenzverhältnis, und liegt mit 300 cent zwischen der pythagoreischen kl. Terz (32:27, 294 cent) und der konsonanten kl. Terz (6:5, 316 cent). Ich denke hier ist es nicht ganz einfach, ob man das Intervall als pyth. kl. Terz 32:27, oder als stark verstimmte Terz 6:5 wahrnimmt - vielleicht eine Mischung aus beidem? Bei der Interpretation 6:5 würde sich jedenfalls der große Abstand bei der Dissonanz stark bemerkbar machen, wenn auch nicht so stark wie bei einer um 16 cent verstimmten Quinte, bei der "das Ohr" wahrscheinlich nicht so tolerant ist (wobei man mit der richtigen Konditionierung / etwas Eingewöhnungszeit fast alles schafft :great: ).

Auch bei abstrakt großen Intervallverhältnissen sollte man nicht vergessen, dass sich "das Gehör" an konsonanteren Nachbarn orientiert. Hier spielt z.B. das Schisma eine Rolle, welches als Unterschied zwischen dem pythagoreischen und dem syntonischen Komma nur etwa 2 cent beträgt, und somit praktisch vernachlässigbar ist. Der Effekt ist, dass man durch Ignorierung des Schisma viele angeblich dissonante Intervalle der pyth. Stimmung in konsonantere Intervalle umdeuten kann. Die pyth. verminderte Quarte z.B. hat das theoretische Verhältnis 8192/6561 (etwa 384 cent), kann wegen der geringen Abweichung von einem Schisma zur großen Terz aber durchaus mit dem konsonanten Verhältnis 5:4 assoziiert werden. Dieser Umstand wird in der Kirnberger Stimmung und in schismatischen Stimmungen genutzt.
Ein weiteres interessantes Mikrointervall ist das septimale Kleisma 225/224 (etwa 7.7 cent), der Unterschied zwischen den meisten praktisch verwendeten verminderten / übermäßigen Intervallen der (5-limit) reinen Stimmung, und einem benachbarten septimalen Intervall. Das septimale Kleisma liegt z.B. zwischen #6 und Naturseptime 7:4, zwischen #2 und sept. kl. Terz 7:6, zwischen b4 und sept. gr. Terz 9:7 und zwischen #4 und Huygens'schem Tritonus 7:5 (auch die Kehrintervalle lassen sich entsprechend umdeuten). Spielt man also in der 5-limit reinen Stimmung einen Dom7 mit #6 statt 7, so hat man eine um nur 7.7 cent abweichende Naturseptime, und der Akkord lässt sich als 4:5:6:7 interpretieren. Besonders interessant wird's in der Zigeuner-Moll-Leiter: lässt man die V. Stufe weg und erlaubt die Ignorierung des sept. Kleisma, so lassen sich alle Töne als ineinander verschachtelten sept. Dom7 4:5:6:7 und als sept. m7b5 1/7:1/6:1/5:1/4 (Moll-Dreiklang mit Naturseptime unter der Quinte) mit gemeinsamer Naturseptime interpretieren.


...ok, soviel zu ein paar Dingen, die man beachten sollte. Aber wie bestimmt man die Konsonanz eines (vollständig gekürzten) Frequenzverhältnisses p/q = f2/f1, und wie die Konsonanz ganzer Akkorde?

Euler definierte den sog. gradus suavitatis, eine Funktion zur Konsonanzbestimmung reiner Intervalle. Für besagte Funktion G gilt:

G(p/q) = G(p*q)

und für a = p1^e1 * p2^e2 * p3^e3 * ... (ganze Zahl, Darstellung als Primfaktorzerlegung mit Primzahlen p1 = 2, p2 =3, p3 = 5, p4 = 7 ...) gilt:
G(a) = 1 + e1*(p1 - 1) + e2*(p2 - 1) + e3*(p3 - 1) + ...

Für die Konsonanzgrad-Ermittlung der großen Terz 5:4 würde man rechnen:
G(5/4) = G(5*4) = G(2^2 * 5^1) = 1 + 2*(2 - 1) + 0*(3 - 1) + 1*(5 - 1) = 1 + 2 + 0 + 4 = 7

Hier wird nicht von Oktavgleichheit ausgegangen, z.B. ist G(5/4) = 7, aber G(5/1) = 5. Die primen Obertöne 2, 3, 5, 7 etc. haben übrigens sich selbst als Konsonanzgrad, also G(2) = 2, G(3) = 3, ... . Was mich nun interessieren würde:
  • Worin denkt ihr liegt die Bedeutung der Funktion G?
  • Was haltet ihr von diesem Verfahren zur Konsonanzgradbestimmung?
  • Falls ihr nicht so viel davon haltet: Wie würdet ihr den Konsonanzgrad definieren, und warum so?
  • Wie könnte man die Funktion nutzen, um die Konsonanz von Akkorden zu bestimmen?

Ich hatte eigentlich noch vor, obige Fragen zu kommentieren, aber jetzt ist es doch was spät geworden, und vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht wenn ich erst einmal eure Antworten abwarte, bevor ich meine Spekulationen dazu los werde. ;)
 
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Da habe ich ja ganz übersehen, das Du schon wieder was neues gepostet hast. Folgendes bezieht sich auf Deinen vorigen Post:

HëllRÆZØR;4377669 schrieb:
Thema Konsonanz von Intervallen / Akkorden

Ich habe mich nochmal etwas mit der These beschäftigt, das die Wahrnehmung von Konsonanz/Dissonanz auf Übereinstimmungen der Obertöne beruht. Ich bezweifle das sehr, und möchte dazu in den Raum werfen, das Zusammenklänge nicht weniger Konsonant oder Dissonant sind, wenn sie mit Sinustönen gespielt werden, also mit reinen Tönen ohne Obertöne, wo folglich also auch nichts mehr oder weniger übereinstimmen kann ;)

Im Gegenteil wirken Zusammenklänge so viel härter und dissonanter. Das merkt man auch im Orchester, wo Klänge*, gespielt von Obertonarmen Instrumente wie den Flöten oder Hörnern wesentlich härter und dissonanter klingen, als wenn sie von den Streichern gespielt werden, die ja reich an Obertönen sind.

(*Das ist immer nicht leicht mit diesen in Musik und Physik verschieden belegten Wörtern wie "Klang"!)

Viele Grüsse!
 
Ich habe mich nochmal etwas mit der These beschäftigt, das die Wahrnehmung von Konsonanz/Dissonanz auf Übereinstimmungen der Obertöne beruht.
"beruht" habe ich nicht geschrieben (oder habe ich das aus Versehen doch getan?). Wie auch immer, ich meinte lediglich, dass ich mir relativ sicher bin dass es dort einen wichtigen Zusammenhang gibt. Ich denke auch dass es weitere Faktoren gibt, die Einfluss auf Konsonanz / Dissonanz haben, und das auch in Bezug auf Sinus-Töne.

[...] Ich bezweifle das sehr, und möchte dazu in den Raum werfen, das Zusammenklänge nicht weniger Konsonant oder Dissonant sind, wenn sie mit Sinustönen gespielt werden, also mit reinen Tönen ohne Obertöne, wo folglich also auch nichts mehr oder weniger übereinstimmen kann ;)

Im Gegenteil wirken Zusammenklänge so viel härter und dissonanter. Das merkt man auch im Orchester, wo Klänge*, gespielt von Obertonarmen Instrumente wie den Flöten oder Hörnern wesentlich härter und dissonanter klingen, als wenn sie von den Streichern gespielt werden, die ja reich an Obertönen sind.

(*Das ist immer nicht leicht mit diesen in Musik und Physik verschieden belegten Wörtern wie "Klang"!)
Dass konsonante Intervalle mit Sinus-Tönen gespielt nicht so angenehm klingen wie mit gewissen akustischen Instrumenten empfinde ich auch. Mit dissonanten Intervallen müsste ich ein wenig experimentieren. Es ist aber gut möglich, dass ich die Art der Zusammenhänge zwischen Obertönen und Konsonanz / Dissonanz ein wenig falsch eingeschätzt habe; ich bedanke mich für dein Feedback! Dass Klangfarbe und Konsonanz / Dissonanz miteinander zusammenhängen, darin sind wir uns aber einig, oder?
 

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