Oh Mensch, wer hÀtte gedacht, dass der Thread in meiner Abwesenheit so eskaliert? Ich hatte eigentlich erwartet, dass nach Antipastis Aussage "Zum Thema Hypnose wird hier keine so richtig mitreden können." erstmal eine Weile nichts mehr kommt und beschlossen noch ein paar "Versuchsdaten" zu sammeln.
Ich kann leider ob der Masse nicht auf jeden Beitrag einzeln eingehen, aber ich will versuchen euch so gut es geht einen Einblick in Hypnose, wie ich sie verstehe, zu vermitteln.
ZunÀchst mal sollten wir vielleicht klÀren wo die Unterschiede zwischen Showhypnose auf der einen und therapeutischer Hypnose sowie (allgmein formuliert) Coaching-Hypnose auf der anderen Seite liegen, was genau man da anders macht.
Wie funktioniert Hypnose noch gleich? Es ist ein Zustand fokussierter Aufmerksamkeit. Wie fokussiert man Aufmerksamkeit? Indem man einen starken Reiz erzeugt und alle anderen Reize ausblendet. Bekanntes Beispiel: "Schau nur auf das Pendel..."
Bei der Geschichte mit dem Pendel wird ein starker visueller Reiz geboten und es wird fĂŒr das Gehirn sehr schnell sehr anstrengend dem Pendel zu folgen. SchlieĂt der Hypnotisand dann die Augen, kehrt sich die vormals auf das Pendel gebĂŒndelte Aufmerksamkeit nach innen und folgt der Stimme des Hypnotiseurs.
(Bitte NICHT nachmachen! Warum lest ihr weiter unten!)
Fangen wir zunĂ€chst mal mit der Showhypnose an. Das Ziel der Showhypnose liegt natĂŒrlich im Namen und ein Showhypnotiseur will (und muss) natĂŒrlich entertainen. Viel beeindruckender als den Hypnotisanden jeweils zwei Minuten auf das Pendel gucken zu lassen sind z.B. Blitzinduktionen mit dem man dem Publikum gut die vermeintliche Macht des Hypnotiseurs demonstrieren kann.
Das sieht dann so aus:
http://www.youtube.com/watch?v=JuFWJDnJ6Yc
Warum funktioniert sowas ĂŒberhaupt? Der Trick basiert darauf das Gehirn kurze Zeit mit einem starken Stimulus zu erschrecken. Sobald der Stimulus dann fehlt, versucht sich das Gehirn neu zu orientieren und der Befehl "Schlaf!" sorgt dafĂŒr, dass das Gehirn nicht in den Wachzustand zurĂŒckkehrt sondern aus dem Schreck gleich in Tiefenentspannung geht.
Das ist an sich noch nichts verwerfliches und wird von Therapeuten oft benutzt um kostbare Zeit in der Sitzung zu sparen - wenn der Hypnotisand bereits gute Hypnotisierbarkeit gezeigt hat und keine Ablehnung gegen die (oder Angst vor der) Hypnose hat.
In der Situation im Video sind die Kandidaten sowieso schon etwas nervös, weil sie ja vor einer Menschengruppe sitzen. Dann kommt da dieser Kerl der extrem dicht vor einem steht und einem unkomfortabel lange die Hand gibt wĂ€hrend er einen mit Fragen verwirrt. Er ĂŒberschreitet ganz bewusst die Grenze des AbstandsbedĂŒrfnisses und erzeugt so mehr Stress. All das verstĂ€rkt den Stimulus der nun folgt.
Irgendwann kommt dann der Punkt wo der Blick des Hypnotisanden abschweift, worauf der Hypnotiseur krĂ€ftig (in meinen Augen zu krĂ€ftig) am Arm zieht und den Schlafbefehl (In diesem konkreten Fall wĂŒrde ich nicht mehr von einer Suggestion reden) gibt. Das Gehirn freut sich ĂŒber die Pause und geht in Trance.
Gut zu sehen ist auch, dass es bei dem letzten MĂ€dchen nicht geklappt hat. Ihre Körpersprache hat von Anfang an angezeigt, dass sie nicht mitspielen wird. Ihr Körperspannung bleibt auch nach dem Schlafbefehl unverĂ€ndert und der Hypnotiseur benutzt extra viel Kraft um ihren Kopf in den SchoĂ zu drĂŒcken.
Ich glaube ihr seht schon, warum ich mit sowas nicht einverstanden bin, oder? Mir widerstrebt es, Menschen so meinen Willen aufzuzwingen.
Weiter gehts mit der therapeutischen Hypnose. Im therapeutischen Umfeld gibt es eine ganze Reihe von Kontraindikationen bei denen man keinesfalls mit Hypnose arbeiten sollte. DrogenabhĂ€ngige oder geistesgestörte Personen z.B. reagieren aufgrund ihrer verĂ€nderten Hirnfunktion absolut unvorhersehbar und gehören deshalb in die HĂ€nde von absoluten Fachleuten. Und damit meine ich nicht Psychotherapeuten sondern Ărzte!
Gute Einsatzmöglichkeiten von Hypnose sind z.B. Schmerztherapie (und Abschaltung), Psychosomatik, Traumatherapie, Ăngste und ZwĂ€nge. Ausschlaggebend dafĂŒr, ob eine Hypnosebehandlung in den Psychotherapeutischen Bereich fĂ€llt, ist der Grund warum der der Patient hypnotisiert wird: Der sogenannte "Leidensdruck".
Besonders wichtig ist im therapeutischen Umfeld, dass die richtige Induktion gewĂ€hlt wird. Bewegt-Blick-Fixationen (siehe "Pendel") sind z.B. fĂŒr Traumapatienten eher unangebracht, weil sie das Erleben in der Trance stark intensivieren.
(Bitte sowas deshalb nicht einfach so bei Freunden und Bekannten ausprobieren! Man weiĂ nie, was in den Leuten so drinsteckt!)
Um da die Vorgehensweise festzulegen braucht es eine umfassende Anamnese!
Schlussendlich wĂ€re da noch die Coaching-Anwendungen der Hypnose, worunter auch die Anwendung im Gesangsunterricht fallen wĂŒrde. Mögliche Anwendungsgebiete wĂ€ren z.b. Sporthypnose, Entspannung oder Konzentrationsförderung (Geht tatsĂ€chlich beides. Sogar gleichzeitig.

), StressbewÀltigung, Gewichtsreduktion, Rauchentwöhnung, Selbsterfahrung, Trennungs- und VergangenheitsbewÀltigung oder Persönlichkeitsarbeit.
Die hier angewandten Methoden sind der therapeutischen Arbeit insofern Àhnlich, dass Àhnliche Werkzeuge zur Anwendung kommen, der Zweck und Fokus jedoch ein völlig anderer ist.
FĂŒr tiefe hypnotische Anwendungen ist jedoch auch hier ein Anamnesebogen erforderlich bei dem der Zweck der Hypnose und eventuelle Kontraindikationen abgeklĂ€rt werden.
Ein praktisches (sehr stark vereinfachtes) Beispiel:
Eine junge Frau kann nicht mit Menschen reden. Sie bekommt Panikattacken und KreislaufschwĂ€che, wenn sie nur nach dem Weg fragen muss. => Es besteht Leidensdruck. Die Frau hat panische Angst vor einer unvermeidbaren Situation. Das wĂ€re ein Fall fĂŒr einen Therapeuten.
Eine junge Frau kann nicht gut mit Menschen reden, weil sie so schĂŒchtern ist. FĂŒr ihre Karriere als AnwĂ€ltin ist das aber unerlĂ€sslich. => Kein Leidensdruck, Kein Therapiefall.
Leider ist die Abgrenzung bisweilen nicht ganz so deutlich, wenn man z.B. in einer Coachingsitzung ein verdrĂ€ngtes, traumatisches Kindheitserlebnis auftut von dem beide Parteien vorher nichts wussten. Dann kann der Hypnotiseur natĂŒrlich die Sitzung nicht einfach so abbrechen, sondern muss die Situation so gut es geht abfedern, die Trance sauber ausleiten und den Hypnotisanden an entsprechende Stellen verweisen.
Wie sehen also mögliche Hypnoseanwendungen fĂŒr den Gesangsunterricht aus?
Bis jetzt habe ich Hypnose nach folgendem Muster in die Stunde eingebaut: ZunĂ€chst hab ich die Stunde ganz normal begonnen, mit einem viertelstĂŒndigen Warmup. Dann ging es an die Arbeit an einem Song, wobei ich darauf geachtet habe an kritischen Stellen nicht so lange rumzudoktoren, dass Frustration entsteht. (Diese Form der NegativbestĂ€tigungen kennen sicherlich viele Lehrer - sowas stört den Rapport.)
Soweit, so bekannt. Interessant wird es dann, wenn man ein vermeintliches Leistungsplateau erreicht, auf dem es einfach nicht mehr weitergehen will. Wenn der Song z.B. trotz korrekter Technik leblos, unrund, zu technisch oder irgendwie schluderig klingt. Oder die eingeĂŒbte Intonation im Ernstfall sofort wieder daneben geht. Oder wenn sich einzeln korrekt beherrschte Techniken nicht zu einem ganzen zusammenfĂŒgen wollen.
Ihr erkennt sicherlich schon, dass das die typischen Probleme sind die sich normalerweise erst mit der Zeit abschleifen. Und hier kann ich mir vorstellen, dass die Hypnose eine deutliche Zeitersparnis bringt. Wenn jemand alles technischen Grundbausteine einzeln anwenden kann, spricht nichts dagegen es auch gleichzeitig zu können. Problematisch ist sowas nur fĂŒr das Wachbewusstsein, weil es mit seiner Aufmerksamkeit hin und herspringen muss. Das Unterbewusstsein jongliert sowas mĂŒhelos parallel. (Oder muss irgendwer von euch darĂŒber nachdenken beim Fernsehen zu atmen?)
Es wĂŒrde sich also anbieten, den SchĂŒler kurz und sanft zu induzieren und ihn mal in den eigenen Körper hineinspĂŒren zu lassen (das geht sogar alles im stehen) und dauert etwa 2-3 Minuten.
Dann könnte man ihn bitten sich vorzustellen wie die Luft aus dem Bauch in die Kehle strömt, wo ein besonders freier und schöner Ton entsteht. Oder einfach mal im Innern den Song in seiner absolut besten Fassung ablaufen lassen und fĂŒhlen wie der eigene Körper mitgeht. (1-2 Minuten)
Oft sieht man dann hier schon ein VerÀnderung in der Körperspannung.
Jetzt könnte man den SchĂŒler noch in Trance den Song oder eine Stelle daraus singen und mal in sich hineinspĂŒren lassen ob bereits alles optimal lĂ€uft. (1-3 Minuten) (Man selbst weiĂ natĂŒrlich woran es hapert, aber in diesem Zustand sind sich auch die SchĂŒler oft der Probleme bewusst. Und eine selbst gefundene Antwort ist immer wertvoller als eine ĂŒbernommene.)
AnschlieĂend leitet man den SchĂŒler wieder aus der Trance und gibt die Suggestion, dass er/sie sich an alles erinnern und das erworbene Wissen mitnehmen kann.
Gibt man jetzt im Wachzustand den Vorschlag "Erinner dich doch nochmal wie toll das war...", kommt der SchĂŒler meist Problemlos wieder in das GefĂŒhl.
Dauer insgesamt: c.a. 10 Minuten.
Das mögliche Risiko ist hier extrem gering. Der Fokus bleibt ausschlieĂlich im hier und jetzt - wenn auch konzentriert auf die aktuelle TĂ€tigkeit. Traumata werden nicht angetastet, die Vitalfunktionen entsprechend nahezu vollstĂ€ndig dem Wachzustand. Der SchĂŒler kann sich voll auf sich und seinen Gesang konzentrieren.