Ich probier's mal mit ein paar Ansätzen - wird jetzt aber kein ausgefeilter Aufsatz mit immer wohl gewählten Worten und 100% klaren Definitionen (dafür fehlt die Zeit). Aber vielleicht hilft's ja zum Verständnis.
Der Blues soll tot sein? Also für mich nicht. Du kannst das so definieren, indem Du das Genre auf die alten Legenden beschränkst, und alle neueren Künstler, die den Blues mehr oder weniger fortgeschrieben haben dem Jazz zurechnest - aber macht das Sinn?
In meiner Gedankenwelt - und ich kann nicht oft genug betonen, dass ich hier meine Meinung schreibe, ohne Anspruch auf die Gesamtwahrheit zu erheben - ist die "Blues Tradition" deutlich "weit weg" bzw. parallel zur "Jazz Tradition". Klar gibt es auch hier "crossovers", natürlich spielen "Blue Notes" usw. in beiden Musikrichtungen eine große Rolle. Dennoch kann man Blues verstehen, ohne vom Jazz eine Ahnung zu haben - genau so wie umgekehrt. Und wir sind uns sicher einig: Jazz ist musikalisch komplexer, schwieriger, "hochwertiger" - Blues irgendwie "uriger", persönlicher, primitiver.
Sind die Stücke von Robert Cray kein Blues? Was ist mit Tab Benoit?

Ich rechne "Evenin'" von Dave Brubeck aber so was von zum Blues... - was man aber nicht zwingend muss.
Für mich ist der Blues insofern "tot", als dass meiner Ansicht nach alles gesagt ist. Das heißt nicht, dass es nicht auch heute noch wirklich tolle neue Aufnahmen und Künstler gibt, zum Teil mit "modernem" Anspruch, zum Teil eben auch mit "traditionellem". Bahnbrechend finde ich z.B. die White Stripes mit ihren Neuinterpretationen diverser Son House Stücke, auch die brachiale Gewalt von Stevie Rays Gitarrenspiel beeindruckt mich nach wie vor, lustig sind auch sehr traditionell gemachte Folk/Blues/Roots/etc.-Crossovers wie dieses
http://www.amazon.de/Started-Nothin...=sr_1_1?ie=UTF8&s=music&qid=1253692313&sr=8-1 oder African/American-Crossovers wie jenes
http://www.amazon.de/Mississippi-Ma...=sr_1_1?ie=UTF8&s=music&qid=1253692530&sr=1-1 - aber wirklich "neu" ist das alles nicht. Interessant JA, absolut spaßbringend JA, tolle Musik JA, aber eben eigentlich nur aufgewärmter Eintopf. Schmecken tut der in diesem Fall natürlich super, auch Omas aufgewärmte Hühnersuppe schmeckt ja immer besser als die frisch gekochte.
In den Jook Joints in Mississippi und auf den Straßen von Chicago sowie in den U-Bahn-Eingägnen in New York findet man nach wie vor ein paar alte Gesellen, die den alten Blues spielen, genau so natürlich auch neuere Künstler, die die Tradition fortsetzen. Das Publikum sind aber hauptsächlich Weiße auf der Suche nach den "Roots", die Fortsetzung der "Black Music" findet sich nach Blues / Rhythm&Blues / Soul heute definitiv einerseits in der R&B-Schiene, andererseits im Rap/Hip-Hop - und nicht im Jazz. Anders: Blues war immer "Mainstream", Pop-Musik, für die Massen - Jazz mit dem, was nach dem Swing kam, eher für ein kleines, feines, Spezialistenpublikum.
Natürlich honoriert der Jazz auch den Blues, macht immer wieder Anleihen dort, nutzt die Strukturen und Traditionen und harmonischen Kennzeichen, hat aber doch einen ganz anderen Anspruch. Es gibt so schöne Blues-Definitionen a la "The Blues ain't nothin' but a good man feelin' bad" oder "Blues is all about male and female", etc. - für mich gemein haben diese Sprüche alle, dass es beim Blues um eine Geschichte geht, die zu erzählen ist, die kann lustig oder traurig sein, aber es ist eine Geschichte. Blues wird für mich fast immer von den Vocals (!) getrieben, die diese Geschichte erzählen, die Instrumente sind in meiner Sicht der Dinge erstmal zweitrangig.
Wenn diese Geschichte und die Art, wie sie rübergebracht wird, mich bewegt, dann freut mich das. Nimm z.B. B.B. King - textlich oft simpelste Anekdötchen, spärlicher Tonumfang auf der Gitarre, aber als Gesamtkunstwerk Blues pur natürlich. Auch Robert Cray bringt das rüber, allerdings machen mich seine Stücke halt weniger an. Blues läuft immer Gefahr, mit langen Gitarrensolo-Orgien totgenudelt zu werden, so dass der Solist im Vordergrund steht und nicht die Geschichte (oder meinetwegen der Gesang).
Sind die Stücke von Robert Cray kein Blues? Was ist mit Tab Benoit?

Ich rechne "Evenin'" von Dave Brubeck aber so was von zum Blues... - was man aber nicht zwingend muss.
Um so eine Diskussion zu führen, muss man aber ganz sicher analytisch werden:
Robert Cray ist sicherlich Blues, Tab Benoit kenne ich (noch) zu wenig, um eine Aussage zu treffen. Brubeck als Künstler ist für mich glasklar Jazz - klar gibt's da Ausflüge in den Blues, aber die Wurzeln sind woanders. Andersrum würden bei einem Konzert der Black Keys wahrscheinlich sämtliche Jazzpolizisten fluchtartig und mit blutenden Ohren den Saal verlassen, während der Blueser sich über diese Blues-Rock-Brutalität durchaus freuen kann.
Also: Beim Blues geht es bei mir nicht um das "Stück", sondern um das "Gesamtkunstwerk" inkl. Art und Weise der Präsentation. Vielleicht auch ein Grund, warum es kistenweise Real Books mit Jazz Standards gibt, aber eigentlich nur ein paar Handvoll "Blues Standards"...
Nach welchen Kriterien ist etwas Blues? Welche Stilmittel, Techniken und Ausrdrucksformen sind stilprägend? Wenn Du bei der Begriffsbestimmung nah an den "Alten" bleiben möchtest, mußt Du eben deren Stilmittel - seien es Microbends, die Art und Weise des Singens, Anschlagens, Textens etc. zu Kriterien erheben.
Ich fänd's cool, wenn Du mal Deine Begriffsbestimmung hier formulieren würdest, denn ich denke, es gäbe nicht wenige, deren Intuitionen Du damit treffen würdest - und vor allem könnte man dann tatsächlich einen Gewinn aus diesen Zankereien hier ziehen und die Diskussion noch in eine spannende und fruchtbare Richtung lenken!
Ich hab's ja oben ein wenig probiert. Dazu muss ich aber auch sagen, dass ein 100%-Festnageln nie geht. In meiner Musiksammlung gibt's z.B. tausende Songs im Genre "Rock", die Unterteilung auf "Classic Rock", "Stoner Rock", "Folk Rock" usw. spare ich mir bewusst, zu viele Unterschubladen machen es kompliziert.
Wie fließend die Übergänge sind, merkt man vor allem an der "Folk"-Front. Der Künstler Leadbelly (Huddie Ledbetter) beispielsweise "steckt" sowohl in der Folk-Tradition (z.B. Pick a Bale of Cotton, Goodnight Irene, etc.) als auch ganz fest im Blues. Bob Dylan, der alte Folkie, macht seine letzten paar Alben eigentlich nur noch ziemlichen Rootsy Blues.
Vielleicht auch so: Blues ist nur dann authentisch, wenn die "Seele" des Künstlers im Stück bzw. in der jeweiligen Bearbeitung steckt. Man spielt nicht den "Walkin' Blues" von Robert Johnson, man spielt seine Interpretation/Version des Walkin' Blues. Das ist dann verdammt individuell....
Zusammengefasst: Blues braucht einen Künstler, der eine Geschichte erzählt und der das Stück "trägt". Dazu gehört eine Melodie, die die klanglichen und rhythmischen Traditionen (syncopations!) der Field Hollers / Work Songs jenseits der Pentatonik bzw. Bluestonleiter mit einbezieht. Klassiker sind hier Bends, Slides, etc. (vor allem auch in den Vocals). Blues ist damit immer persönlich / individuell, nicht 1:1 nachspielbar und reproduzierbar, oftmals sogar nicht vom selben Künstler - jede Performance ist leicht anders. Dazu gehört auch, welche "Tradition" der Künstler mitbringt bzw. verkörpert. Jeder kann einen 12-Takte-Blues in E spielen und singen, die Frage ist nur, wie "echt" das eben rüberkommt. Blues ist emotional, will bewegen, Gefühle wirdergeben bzw. erzeugen.
Uff. Lange um den heißen Brei herumgeredet und doch noch immer nicht den Löffel in der Hand und nicht mit dem Essen begonnen. In meiner Welt ist eben das "Gesamtkunstwerk" samt Künstler entscheidend für die Kategorisierung, ich schaffe es nicht, glasklare Kategorien zu finden. Geht vielleicht auch aus folgendem Grund nicht: Blues muss (mich) in meinem "Blues-Bauch" bewegen - und das kann ich nicht an irgendwelchen Gesetzmäßigkeiten festmachen.