Das Klavier im Bandkontext auf die Bühne bringen

dr_rollo
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Was muss man tun, um einen vernünftigen Klaviersound auf die Bühne zu bringen?
Ganz klar, die Königsklasse ist ein Flügel, der dann abgenommen wird. Die Probleme, die damit verbunden sind liegen auf der Hand
a. der Platz - vor allem im Semi-Professionellen Bereich hat man selten Bühnen, wo man einen Flügel unterbringen könnte, oft nicht mal ein Upright als Alternative
b. der Aufwand/Kosten einen Flügel auf die Bühne zu bringen - wir hatten das mit einem größeren Projekt, wo Platz auf der Bühne nicht das Thema war, tatsächlich mal vor. Leihgebühr 1000 EUR, plus 300 EUR Transport, plus zweimal Stimmen: einmal vor Ort, nachdem er aufgestellt ist, das 2. Mal, wenn er zurück beim Verleiher ist (Hä? Ist wohl so)
c. die Abnahme, vor allem, wenn er im Bandkontext gespielt wird - ein Flügel ist nun mal ein akustisches Instrument mit relativ großem Klangkörper und da reicht zum einen nicht nur ein Mikro, zum anderen ist das Problem, dass gerade diese Mikros auch noch viel Geräusch von der Bühne mit einfangen.
Wir haben uns dann mit einem Digital-Flügel zufrieden gegeben. War auch einiger Aufwand, den zu transportieren und auch heile wieder in die Musikschule zurückzubringen, die uns den zur Verfügung gestellt hatte.

Nun gibt es ja mittlerweile ausreichende Kandidaten, nicht nur in Form eines Stage-Pianos, sondern auch jede Workstation hat heutzutage Piano-Sounds on board, überhaupt kein Vergleich zu meiner Anfangszeit, wo mit dem CP70 das erste halbwegs transportable Piano auf den Markt kam, das einen für damalige Zeit akzeptablen und authentischen Klaviersound auf die Bühne brachte, wo auch die Abnahme nicht das Problem war. Das konnte sich zwar kaum jemand leisten, aber das war schon mal ein Durchbruch.
Mein persönlicher Durchbruch kam mit einem Kurzweil K2500X, das mit einer Hammertastatur aufwartete und mit einen Pianosamplespeicher von 48 MB für die damalige Zeit fantastisch klang. Wenn man sich die heutigen Piano-Samples anschaut, war das natürlich ein Witz. Dafür haben sich die Kurzweil Pianos im Bandkontext immer durchgesetzt, was bei vielen neueren Workstations nicht immer der Fall ist. Natürlich klingen die Pianosounds in den meisten neueren Keyboards besser, aber gerade solche netten und gut gemeinten Features wie Stringresonanz, und noch mehr Velocitystufen gehen in einem Bandkontext eh nur unter, spielen diese Features höchstens im Studio oder bei Solokünstlern aus.
Lediglich bei Songs, wo das Piano mit einem Intro alleine angefangen hat, hab ich mich immer neidvoll nach besseren Sounds gesehnt.
Nun spiele ich seit Jahren schon kein K2500 mehr, sondern bin bei Nachfolgern angelangt, erst ein PC3 mit Kore, dann Forte SE und nun K2700. Damit bin ich eigentlich ganz zufrieden, bin auch nicht mehr auf der Suche nach 'dem' Pianosound, sondern variiere die vorhandenen je nach Song. Mit einigen anderen Keyboards, wie Korg Kronos kam ich gar nicht klar. Da klingen die Sounds alleine gespielt super, sind aber leider für den Bandkontext zu fett und zu Effekt-überladen. Hier müsste man erst einmal ordentlich am Sound schrauben.

Viel entscheidender aber als der Sound ist zum einen die Spielweise. Der Klassiker ist die linke Hand, die nicht still halten kann, und gerne dem Bass in die Quere kommt. Zum anderen muss man aber auch von seinen Mitspielern den Raum bekommen, wenn es um Piano-Passagen geht, die nach vorne sollen. Vor allem die Gitarre darf da nicht in den selben Lagen spielen.
Von 'Soundtricksereien' wie angepasstes EQing oder Einsatz von Kompressor halte ich gar nichts. Da müsste mich erst mal jemand überzeugen, wie man das 'richtig' einsetzt.
 
Das A und O ist Arrangement, das stimmt. Oktavbass links im Zaum halten, nicht alles mitspielen und Doppeln. Nicht jede Terz muss mitgespielt werden, das dürfen wir von den Gitarristen gerne lernen.
Und generell muss es auch nicht immer die klassische Terz Schichtung rund um das Schlüssel-C sein. Weite Voicings, ggf abgestimmt mit Bass und Gitarre tun da schon oft sehr gut. Und bitte nicht auf dem Pedal stehen! Gezielt einsetzen, und nicht aus Gewohnheit...

Und die andere Seite muss mitmachen: die Gitarristen dürfen sehr gerne mal isolated Tracks hören von gut abgemischten Songs und staunen, wie wenig da im Tiefmittebereich passiert - je mehr Verzerrung und je härter die Musik, umso mehr kommt da vom Bass und umso dünner darf die Gitarre sein.

Dann der Bereich Verstärkung: wann immer ich live erleben durfte, dass sich ein Klavier nicht recht durchsetzen mochte, gab es entweder einen "Keyboardamp" für das Piano oder leider völlig unterdimensionierte PAs. Gerne die üblichen 10/2 oder 12/2 Plastikkübel ohne Sub, und dann an der Leistungsgrenze. Das geht schief.

Gute Reserven, ordentlich Subs dazu (das müssen keine Doppel-18er sein, aber potente 15er oder 18er (keine Bandpässe!)...

Und dann gibt es den Bereich "Technik-Kniffe". Kompression ist auch eher nichts, da stimme ich @dr_rollo zu. Das verlängert das Sustain und verschlimmert den Matsch eher noch.
Was gut funktioniert, ist ein dezenter Limiter. Dann kann man das Piano etwas lauter fahren ohne die ganz harten Peaks im Attack zu haben.

Und was ich sehr schätzen gelernt habe, ist die "Velocity-Kompression" vom Kronos. Da wirkt die Velocity-range stärker auf die Sample-layer als auf deren Lautstärke. piano spielen greift also auf softere Multisamples zu, wird aber nicht in dem gleichen Maße leiser. Der Trick ist: das ist trotzdem keine Audio-Kompression, die Ausklingphase wird dadurch nicht verändert, und es geht auch nicht stärker in die Kompression, wenn mehrere Töne gleichzeitig erklingen. Das bleibt alles sehr luftig, aber man kann plötzlich sehr dynamisch spielen, ohne unterzugehen...

Und halt das richtige Sample für den richtigen Job. Für Solo-Klavier (Intro, oder vocal plus piano) nehme ich gerne ein Steinway oder Fazioli im Original stretched Tuning, für Rocksachen im Bandkontext eher ein etwas drahtigeres Yamaha, und dann auch dem Kontext zu liebe ohne stretched Tuning.
 
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Großes Thema...
Erstmal: solange jemand am Pult sitzt, ist derjenige für den Klaviersound nach außen hin zuständig, ich kann da nur über die Soundauswahl und die Spielweise bzw. das Arrangement gutes Ausgangsmaterial liefern.

Meine Erfahrung ist allerdings, dass die Kollegen anders spielen, je nachdem, woher der Klaviersound kommt. Wenn ich einen Flügel auf der Bühne habe, wirkt das schon auf Basser, Gitarrist und Schlagzeuger anders, als wenn ich hinter einem Stagepiano sitze. Die halten sich dann erfahrungsgemäß eher zurück weil sie wissen, dass der Natursound des Flügels eine natürliche obere dB-Grenze hat. Der unveränderliche und lautstärkemäßig begrenzte Flügelsound ist dann tendenziell auch der Maßstab beim Soundcheck. Wenn ich am Stagepiano sitze, rechnen alle Mitmusiker und der Tontechniker eher damit, dass ich je nach musikalischer Dramaturgie den richtigen Klaviersound in der richtigen Lautstärke beisteuere - beim Flügel richten sich alle danach.

Von daher ist der richtig gute Klaviersound immer auch ein Geben und Nehmen mit den Kollegen. Ganz zu schweigen von Sängerinnen und Sängern, die anders singen und sich dann teilweise mehr zu leisen Tönen trauen, wenn ein akustischer Flügel auf der Bühne steht.

Neben der optischen Altar-Funktion eines Flügels (gut bei Udo Jürgens zu sehen, aber auch bei Elton John und Freddie Mercury) strahlt auch der Sound eines Flügels ganz anders auf eine Band aus als Keyboards. Ein Flügel ist die heutige Version der mittelalterlichen Harfe im Minnesang und assoziiert sofort Emotion. In meinen Augen ist die psychologisch positive Wirkung eines Flügels bedeutender als sein genauer Klang, solange der in einem normalen ästhetischen Rahmen bleibt.

Ich hatte vor einigen Tagen für eine WDR-Produktion ein Kawai NV10 hingestellt bekommen, das war ein guter Kompromiss. Ansonsten finde ich Kurzweil-Pianos gut, bei Musicals hatten wir schon vor 20 Jahren das MicroPiano im Einsatz, danach die K- und die PC-Serie. Mein PC-4 ist auch immer im Einsatz.
 
Kunze hat auch einen Kawai NV10 auf der Bühne für die paar Passagen die er selber spielt.

Ansonsten hat sein Keyboarder Matthias Ulmer ein Kawai MP 7 (oder 7 SE) was super passt.

Billy Joel hatte ein Kuzweil im Flügelkorpus.
 
Es besteht einfach ein riesen Unterschied, ob ich Piano-Sound für Solo, meinetwegen mit Gesang und/oder wenigen relativ dezenten Instrumenten auf die Ohren/Bühne kriegen will, oder Keyboards im Bandkontext. Das sind ganz andere Sound-Notwendigkeiten. Solo-Sound muss einfach optimalerweise wie z.B. ein akustischer Flügel klingen. Band-Sound muss frequenzmässig aber in's Gefüge passen, was alleine gespielt dann oft zu dünn und zu hochfrequent klingt, im Kontext aber genau passt, um dem Bass, den Vocals und den Gitarren z.B. Platz zu lassen... Deswegen stelle ich meine Nord-Grandpiano- und E-Piano-Sounds immer mit Absenkung im Bassbereich und Anhebung > 4 kHz ein (die Grandpiano-Sounds weniger ausgeprägt, die E-Pianos stark ausgeprägt) und komme damit im Bandkontext gut zurecht... Wenn ich dann bei einem Pianosolo nicht durchkomme, dann liegt es meist daran, dass die Mitspieler "im Eifer des Gefechts" einfach "volle Pulle" weiterschrammeln und ganz "vergessen", dass ein Piano-Solo nicht unbedingt die Lautstärke einer Verzerrergitarre erreicht 😅😁
 
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Dass solche EQ-verbiegereien nötig sind, höre ich häufiger in Kontext mit Nord. Und von Roland (da allerdings nur vom Sound Canvas) kenne ich das selbst auch noch. War weder bei Korg, noch bei Kurzweil oder GEM nötig - und auch bei GSI/Crumar nicht.
 
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Das mag vielleicht daran liegen, dass Nord seine Sounds sozusagen RAW sampeled und man dann durch Wahl der Boxen etc. incl. EQ seinen Wunschsound erstmal erarbeiten muss... Vielleicht haben andere Hersteller das gleich im Sound mit eingebaut, legen damit aber die Basis sozusagen fest... Ein Fender Rhodes klingt auch nur gut mit passenden Effekten und Amps und Boxen. Out of the Box klingt das auch erstmal nach Nichts, aber so wird es eben von Nord aufgenommen, meine ich... Den Sound machen dann z.B. die Amp-Simulationen und/EQ-ing...
 
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Also die Samples selbst sind bei allen anderen Herstellern auch "raw". Aber ich erwarte schon eigentlich in der Flaggschiff-Liga für ein paar 1000€, dass ich nicht aus den Rohsamples erst was "erarbeiten" muss. Schon gar nicht bei einem akustischen Instrument wie Klavier, was per se auch keinen EQ oder gar Amp braucht. EP ist was anderes, aber da erwarte ich von einem Preset auch, dass das dann klingt wie ein Rhodes direkt am Ausgang...

Und dass man auch die spielfertigen Presets bis runter auf die Sampleebene editieren KANN, das darf man in der Liga heute auch erwarten - aber die Werkspresets sollten schon spielfertig sein.

Dass da jeder Hersteller so seine Macken hat, weswegen die Presets nun eben oft doch noch ein bisschen Tuning brauchen (z.B. erstmal Hall und andere FX großzügig rausdrehen), das kennt man. Aber das stinknormale "Preset 1"-Grandpiano, das ist eigentlich sonst immer ab Werk recht brauchbar.
 
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... naja, jedes Grandpiano bei Nord ist auch so gut brauchbar, Hall geht immer extra... EQ-ing mache ich für die Bandintegration! E-Pianos brauchen beim Nord allerdings, zumindest bei meinem Nordstage 2, aber ordentliches EQ-ing um meinen Vorstellungen zu entsprechen... Aber es ist, wie es ist, jeder hat andere Geschmäcker und Vorlieben und aber auch vorallem GEWOHNHEITEN, deswegen bin ich wohl mit meinem Nordstage zufrieden. Sollte ich irgendwann mal erneuern wollen, würde der State of the Art dann sicher erneut getestet werden müssen. Auf jeden Fall fährt man mit den Nordstages nun wirklich auch nicht sooo schlecht, aber andere Eltern haben eben auch hübsche Kinder 😉. Der Preis ist halt auch leider "sportlich"... Aber da ist das ja nicht die einzige Marke, wo man für den Namen etwas mitbezahlt (siehe so einige Automarken, Grillhersteller, Klamotten usw.). Ich denke, nicht anders, wie bei Gitarren und deren "Vertonung". Da gibt es ja auch 1000 Meinungen und Marken und ein paar "illustre" und teurere Marken...
 

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