In der Tat ein sehr interessantes Thema, liebe Gloria!
Ich gehöre zu denen im Forum, die nicht mehr langfristig denken müssen - denn mit 78 habe ich wohl den größten Teil meines Musiklebens hinter mir und kann meinen Werdegang überblicken.
Was Ziele anging: bei der Musik verhielt es sich immer so, wie beim "richtigen Leben" - nach und nach erfuhr ich, wozu ich fähig war und was ich interessant fand, und in der Folge entdeckte ich Möglichkeiten, meine Fähigkeiten zu entwickeln und einzusetzen und meine Interessen zu frönen. Das war bei der Schulbildung, beim Sport, beim Beruf und bei der Liebe genauso. Ein Berufsziel hatte ich ganz am Anfang schon: ich wollte Lehrer werden. Nach (Gottseidank!) nur 2 Jahren merkte ich, dass das nichts für mich war. Ab dann war es mein Ziel, aus jeder Lage das beste zu machen, und ich bin einigermaßen gut damit gefahren.
Auch meine Musik hat sich "natürlich" entwickelt. Meine Eltern machten Musik, ich sang mit und durfte mit ihren Instrumente spielen (später spielte ich auf den Instrumenten.) So wie manche Kinder gerne Räuber und Gendarm spielten oder Comics lasen, nudelte ich auf Papa'ss Mandoline herum. Einfach aus Spaß an der Freud'. Singen tat ich gerne Sonntags in der Kinderkirche. Etwas später spielte ich zu Schallplatten von schottischer Tanzmusik die Geige mit. Und irgendwann kam der Stimmbruch, und ich ging in den Kirchenchor und sang zum ersten Mall für andere Leute.
Das war in den 1960er-Jahren in Irland. Folk war cool. Mit dreien aus dem Chor, Einem Mädchen (Sopran) mit einer Gitarre, meinem Kumpel (Tenor) mit Tin Whistle und mir (Bariton) mit Mandoline formierten wir eine Gruppe und probten regelmäßig. Zwei Auftritte hatten wir sogar: einmal beim Chorausflug, einmal bei einem geselligen Abend des Jungbauernverbands!
Danach migrierte ich nach Deutschland. Meine musikalischen Verbindungen lösten sich, und ich spielte solo für mich. Mittlerweile spielte ich auch Banjo und Gitarre (hat sich so ergeben; Multiinstrumentalität als Ziel hatte es nie gegeben!) Dann fing ich an, bei Treffen unseres internationalen Kulturvereins ab und zu ein Liedchen zu trällern. Daraus ergaben sich Aufragen, ob ich diesen oder jenen Abend in kleinem Kreis musikalisch gestalten könnte - was ich natürlich tat.
Dann meinte meine Frau, so alleine singen müsste anstrengend sein - ob ich nicht eine Gruppe fände? Ich annoncierte am schwarzen Brett meiner Betriebsstätte, und es meldeten sich eine Handvoll Kollegen, die Lust hatten, im weitesten Sinne Folkmusik zu machen. Es kristallisierte sich ein Kreis von Interessenten mit Gitarren, ein Banjo, eine Querflöte, eine Mundharmonika, eine Geige und 3 brauchbaren Stimmen. Wir arbeiteten uns in das "Lagerfeuerrepertoire" hinein. Es machte Spaß!
Dann kam das jahr 1991, und Dublin wurde zur Kulturhauptstadt erkoren. Mein Kulturverein beschloss, einen Konzertabend mit traditioneller irischer Musik und Tanz zu veranstalten. Der Vereinsvorsitzender sagte zu mir: "Du bist doch Ire und hast eine Gruppe - könntet ihr in der Pause eine halbe Stunde irische Musik im Foyer spielen?" Der Kollegenkreis bestand erst seit einem Monat! Wir schwenkten sofort repertoiremäßig auf Irisch um, und nur 3 Monaten nach unserer "Gründung" spielten wir eine halbe Stunde irische Musik. Das war die Initialzündung für 20 wunderbare Jahre der "bezahlten Hobbymusik" wie ich es nenne. Sofort fanden wir einen Kneipier, der uns für St. Patrick's Night engagierte - und alle Jahre wieder während der 20 Jahre, in denen die Gruppe bestand. Wir probten wöchentlich und hatten immer etwas Interressantes zu tun, um unser Repertoire für das nächste Jahr zu erweitern. Wir bespielten auch Straßenfeste, Kulturvereine, Jazzlokale, lieferten mehrere Jahre hintereinander Themenmusik für eine Wohltätigkeitsgala, beteilgten uns an den "Wein, Spargel und Musik"-Wochenenden eines Winzers im Rheinhessischen.
Seitdem es die Gruppe als solche nicht mehr gibt (obwohl wir uns bei Geburtstagen u.ä. zusammensetzen und Jammen) spiele ich wieder solo. Patrick's Nite in der Kneipe habe ich ein paar Jahre alleine fortgesetzt und auch noch die schottischen "Burns Dinner"- Veranstaltungen begleitet (als Grundschulkind lebte ich einige Jahre in Schottland und sog das Repertoire auf).
Im Alter bin ich allerdings wieder zum Chor gekommen (als Student sang ich in drei Chören parallel) als unser Kirchenchor ein "Mozart-Requiem-Projekt" startete. Schon wieder "für andere" singen! Nach dem Projekt bin ich im Kirchenchor geblieben. Regelmäßige, persönliche Kontakte und das singen für andere. So soll meine Zielgerade aussehen! Oder nicht? Wir werden sehen!
Ansonsten beschäftige ich mich mit meinen Instrumenten, Mittlerweile sind das Banjo, Concertina, Waldzither und Autoharp. Allesamt sind sie mit zugeflogen und ich habe mich in sie verliebt. Das lernen von neuen Techniken soll jung halten, also nur zu!
Übrigens, Songwriting war auch nie ein Ziel von mir; aber wenn man viel spielt und viel singt, kommen einem Melodien und Verse in den Kopf, die heraus müssen! Mein erster bezahlter Gig war abends in einer Kneipe, wo ich im Hintergrund irische Musik zur Gitarre sang. Das Erlebnis habe ich in einem eigenen Lied verarbeitet: "I sat in the bar, my guitar on my knee / and strummed a few chords for the folks I could see ..." Und als die Folkgruppe fahrt aufnahm, meinten die Jungs, wir müssten ein Lied über meinen Geburtsort im Programm haben. Ich fand kein Lied über Ballymena (abgesehen von einer umgetexteten schottischen Ballade) und dichtete und komponierte ein eigenes Lied, das bei unserem Publikum sehr gut ankam!
Hat alles unheimlich Spaß gemacht. Ich wüßte nicht, was hätte schöner sein können, wen ich mir definitive Ziele gesetzt hätte.
Wie heißt es so schön: Das Leben ist das, was passiert, während zu deine Pläne schmiedest!
Cheers,
Jed