Hallo Manni,
leider hat sich ja bisher noch niemand gemeldet, dann werde ich mal versuchen, etwas zum Thema zu sagen.
Vorab: Ich bin jetzt auch nicht gerade der große Generalbaß-Praktiker, die Zeiten, Gepflogenheiten, Klischees/Spielarten ändern sich, ich bräuchte ehrlich gesagt einen originalen (!) Notenausschnitt, vielleicht auch noch mit einem oder zwei Takten davor.
Die Zeit, aus der das Beispiel stammt, ist von nicht zu vernachlässigender Bedeutung - die Konventionen sind ja auch nicht ständig gleich geblieben.
Eventuell sind da Feinheiten enthalten, die in Deiner Übertragung ins Notationsprogramm verlorgen gegangen sind.
Außerdem bin ich zur Ansicht gelangt, daß - völlig losgelöst von diesem speziellen Problem - bei Dir noch die wesentlichen Grundlagen für das Verständnis des Generalbaßspiels fehlen. Da wäre es wohl nicht verkehrt, mal einfach anzufangen.
Es gibt beim
IMSLP haufenweise zeitgenössische Generalbaß-Anleitungen. Die mögen zwar altmodisch sein, aber ich halte sie für hervorragend geeignet, um stilecht mit den damaligen Erklärungen in die damalige Musik einzusteigen. Von Telemann bis Mahler (!).
Aber was soll's, fangen wir einfach mal an...
Tonart
Bist Du sicher, daß das Stück in B-Dur ist? Den Vorzeichen nach könnte es ja ebensogut G-Moll sein und der Ausschnitt schaut mir auch eher nach G-Moll aus.
Harmonischer Rhythmus
Das Stichwort "Harmonischer Rhythmus" klingt recht modern, ist es auch, aber im Grunde hat es auch große Bedeutung für den Generalbaß.
Im vorliegenden Fall bedeutet das für Deine Ausarbeitung: ein "Walking Bass" beziehungsweise ein Baß in Achtelfiguren heißt noch lange nicht, daß die Akkorde hektisch umherhüpfen. Der harmonische Rhythmus besteht meist aus Vierteln oder Halben, auch, wenn der Baß darunter munter herumturnt.
Also: nicht auf jede Achtel im Baß einen eigenen Akkord setzen!
Stimmführung
Ja, ich weiß, es geht Dir erst einnmal um die richtigen Harmonien/Töne, aber abgesehen vom bekannten Quintparallelverbot usw. ist bei Deiner Ausarbeitung extrem störend, daß die Akkorde ebenso wie die Bässe wild umherspringen. Beim häufigen Fall eines Oktavsprungs im Baß bedeutet das beileibe nicht, daß auch die Akkord-Begleitung große Sprünge ausführt!
Bezifferung/Symbole
Es stimmt schon, daß sich die zu spielenden Töne nach der Tonart/den Generalvorzeichen richten. Aber manchmal, vor allem bei chromatischen Abgängen einer Stimme o. ä. oder in unklaren Fällen zur Sicherheit kann auch eine "unnötige" Alteration angezeigt werden.
Beispiel:
In harmonisch Moll werden ja (je nach Situation) Sexte und Septime hoch- oder tiefalteriert. Bei G-Moll wäre z. B. das Es betroffen, das auch mal zum E werden kann und das F, das auch mal zum Fis werden kann (verdurte Dominante). In solchen Fällen war es nicht unüblich, bei fraglichen Akkorden grundsätzlich b, Kreuz oder Auflösungszeichen (je nachdem) zur Sicherheit mitzuschreiben.
Klar, wenn nichts dasteht, gelten die Vorzeichen. Aber wenn ein b wie im Beispiel ein 6b über dem G notiert wird, erniedrigt es das ohnehin per Vorzeichen vorhandene Es nicht noch weiter, genausowenig wie in der normalen Notenschrift ein Erinnerungsversetzungszeichen nicht die Note noch weiter verändert, sondern das schon vorhandene Vorzeichen nur wiederholt.
Zur kleinen Sexte (6b) schreibt Kellner (willkürlich herausgegriffen und aus seinem Buch zusammengeschnippelt):
6b bezeichnet also die kleine Sexte, die immer auch kleine Terz und Oktave bei sich hat. In unserem Beispiel (G im Baß) ist die kleine Sexte das Es, wie es auch die Vorzeichen sagen. Das b verringert das Es nicht noch weiter zum Eses, sondern ist nur eine Erinnerung/Sicherheit. Die kleine Terz (B) hat man sowieso schon, das paßt alles.
Das Doppelkreuz jedoch macht mir ein wenig Schwierigkeiten, das kann ich nicht ganz einordnen.
Zu Zeiten des Generalbasses (das ist schon eine Weile her) war es nicht unüblich, ein Kreuz-Symbol zu verwenden, das heute eher an ein Doppelkreuz erinnert:
(Beispiel aus Daniel Kellners "Treulicher Unterricht im General-Baß").
Das durchgestrichene a bitte ignorieren, das war ein Druckfehler.
Es wird aber auch ein weiterer wichtiger Hinweis gegeben (deshalb habe ich diese Stelle ausgewählt): "so gehöret die völlige Quinta h dazu, und nicht die falsche, obgleich vorne beym Schlüssel das b vorgezeichnet."
Das heißt: wenn eine Dur-Terz angezeichnet ist, wird automatisch auch die Quinte zu einer reinen ("völligen") Quinte, unabhängig von den Vorzeichen.
Das betrifft in Deinem Beispiel den A-Akkord am Schluß, der durch das x/# nicht nur eine Dur-Terz Cis erhält, sondern automatisch auch aus dem Es ein E wird, ohne daß dies explizit angezeigt werden muß.
Eine einfache Realisierung Deines Beispiels, wie ich sie sehe, sei nun aufgezeigt. Ich hätte nur gerne wie gesagt die Original-Noten gesehen und auch noch einen oder zwei Takte davor, so ganz geheuer ist mir die Sache nicht (und scheint mir auch nicht alltäglich). Vielleicht meldet sich ja doch noch ein Generalbaß-Crack dazu.
Zusammenfassung:
- Die Akkorde liegen ruhig über der Achtelbewegung im Baß
- 6b auf 5 bezeichnet die chromatische Abwärtsbewegung einer Stimme (deshalb ist auch die 5 explizit angegeben), insgesamt mit dem # ergibt sich Es-D-Cis
- Das b bei 6b erniedrigt das durch Vorzeichnung vorhandene Es nicht noch weiter, sondern dient der Sicherheit/Erinnerung.
- Das vermeintliche x ist wahrscheinlich (da müßte man die Original-Vorlage sehen) eine alte Schreibweise für das "normale" Kreuz. (?)
- Durch die große Terz am Ende wird automatisch auch die Quinte rein, also aus dem vorgezeichneten Es wird ein E.
Viele Grüße
Torsten