Harmonielehre & Mathematik

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:rolleyes: Auch wenn es die meisten nicht wahrhaben wollen:
Musik und Mathe haben SEHR viel miteinander zu tun.

Ich studiere Informatik (Hälfte Computer, Hälfte Mathe), und mir sind da einige Interessante Dinge aufgefallen:
Zum Beispiel habe ich herausgefunden, dass man Dissonanzen "berechnen" kann,
indem man guckt wie viele (reine!) Quinten man braucht, um ein Intervall darzustellen.
(-1 Quinte = 1 Quarte)
Durch Quinten gebildete Intervalle sind dabei aufwärtsstrebend,
während durch Quarten gebildete Intervalle abwärtsstrebend sind.
Lydisch strebt also deshalb so stark aufwärts, weil alle Intervalle durch Quinten gebildet sind, während Lokrisch nur Quartintervalle enthält und nach unten strebt.
Ich bin auf folgende Ergebnisse gekommen:

Aufwärtsstrebend: Prim(0), Quint(1), gr. Sekund(2), gr. Sext(3), gr. Terz(4), gr. Sept(5), überm. Quart(6), überm. Prim(7), überm. Quint(8), ...
Abwärtsstrebend: Prim(0), Quart(-1), kl. Sept(-2), kl. Terz(-3), kl. Sext(-4), kl. Sekund(-5), verm. Quint(-6), verm. Prim(-7), verm. Quart(-4), ...

Wir sehen, dass Quintintervalle i.d.R. groß oder übermäßig (aufwärtsstrebend) sind, während Quartintervalle klein oder vermindert sind (abwärtsstrebend).

Ich möchte mich an dieser Stelle von der Klassischen Harmonielehre distanzieren:
wäre es nämlich so, dass Dissonanzen unangenehm und Konsonanzen angenehm klingen, dann würde zum Beispiel Lydisch so "unangenehm" klingen wie Lokrisch, da eine übermäßige Quart und eine verminderte Quint (Tritonus) gleich dissonant sind, genau wie eine kleine Sekund und eine große Sept und so weiter...

Meine Definition von Dissonanz sieht folgendermaßen aus: der Betrag der Dissonanz gibt an, ob ein Intervall ein Ruheintervall (kleiner Wert) oder ein Strebeintervall ist, das Spannung erzeugt.
(Beispiel: Prim Ruheintervall, Tritonus Strebeintervall)
Das Vorzeichen gibt an, ob ein Intervall aufwärtsstrebend (+, also Quinten) oder abwärtsstrebend (-, Quarten) ist, wobei abwärtsstrebend das ist, was viele mit Dissonanz verbinden.

Ich hoffe, nach dieser Definition verstehen viele, warum hier die große Terz etwas "dissonanter" als die kleine Terz ist:
Die große Terz hat eine etwas größere Strebekraft als die kleine Terz. Da sie aufwärts strebt, klingt sie eher angenehm (Beispiel: Leittonfunktion der Terz im Dom7-Akkord).

Ich möchte nochmal darauf hinweisen, dass dieser Beitrag nicht auf Musikwissenschaftlichen Konventionen beruht, sondern auf meinen Ideen.
Außerdem geht diese Interpretation von Dissonanz von der Pythagoreischen (Quint-) Stimmung aus.
Bezieht man sich auf die Reine Stimmung, ist die große Terz zum Beispiel noch konsonanter als die große Sekunde, was in der Pythagoräischen Stimmung umgekehrt ist.
Es ist also alles eine Sache der Interpretation.

...ach so, die Mathematik:
Die Dissonanz kann man berechnen, indem man D(x) = (7x) mod 12 rechnet,
wobei x ein Intervall in Halbtönen ist.
Wie man das rechnet, dazu schreib ich später was, ich muss jetzt leider aufhören! ;)
 
Eigenschaft
 
HëllRÆZØR schrieb:
:rolleyes: Auch wenn es die meisten nicht wahrhaben wollen:
Musik und Mathe haben SEHR viel miteinander zu tun.

Musik, eine sonderform der akustik! Ich habe zwar nicht alles verstanden, und werde es gewiss noch einmal lesen. Es gibt auch noch den physiologischen aspekt, dass konsonanzen und dissonanzen sehr verschieden wahrgenommen werden, sei es durch gewohnheit, intellekt oder hin- oder abwendung, was die psychologen anmutungsqualitäten nennen.
 
hallo hell,

tatsächlich finde ich die idee, den klangwert eines intervalls zu berechnen sehr reizvoll, man überlege, was einem das für möglichkeiten an die hand gäbe: man könnte den klangwert von beliebig komplexen akkorden, ob sie auf terzschichtung beruhen oder nicht feststellen und käme nicht nur auf eine skala von dissonanzwerten für intervalle sondern gleich für akkorde.

alles, was man tun muss ist die klangwerte der intervalle zu kombinieren.

tatsächlich bist du auch nicht der erste, der versucht, einen rechnerischen ansatz für dieses problem zu liefern. ich habe mir mal die mühe gemacht, die angegebene formel auf die einzelnen intervalle der oktave anzuwenden und mir ist folgendes aufgefallen:

tatsächlich bist du der erste, der behauptet (zumindest implizit) dass eine große sekunde ((7*2)mod12=2) konsonanter klingt, als eine terz oder sext. auch ist dein tritonus ((7*6)mod12=6) scheinbar weniger ein strebeintervall als die reine quarte (=11). in den meisten büchern, die man so findet wird sicher eher behauptet werden, die verminderte quint sei das strebeintervall und die reine quart eine mögliche auflösung. überhaupt ist die reine quart bei dir das stärkste strebeintervall überhaupt. ich räume ein, dass die reine quart von den altvorderen eine dissonanzbehandlung erfuhr (musste in bestimmten fällen vorbereitet und aufgelöst werden) doch das macht sie nicht zu einem strebeintervall. im gegenteil in der alltagstheorie würde man sie bei den vollkommenen konsonanzen einordnen.

witzig finde ich auch, dass du die kleine terz weniger für ein strebeintervall hälst als die große. das halte ich für vollkommen richtig. die große geht eindeutig zur reinen quart.

als kleine anregung: hast du schon einmal von differenztönen gehört? das sind neue töne, die im raum entstehen, wenn man ein intervall im zusammenklang spielt. es gibt ein theoriewerk, das eben aus diesen eine skala im dissonanzgrad von intervallen herleitet.

man könnte in seinen betrachtungen auch zwischen dissonanzgrad, strebeverhalten und verwandtschaftsgrad unterscheiden. das nur so als anregung.

ich finde es sehr spannend, was du machst, ich würde mich freuen, mehr von deinen beobachtungen lesen zu können.
 
ähem, Musiktheorie ist so eine Sachen... So interessant solche Gedankenkonstrukte auch sind, man sollte sich selbst und vor allem seine Ohren fragen, ob das Theoriekonstrukt auch in der Praxis zu finden ist. Und die Praxis ist geprägt von individuellem Geschmack, der zeitlich und vor allem kulturell geprägt wird. Daher ist die Konsonanz/Dissonanz-Diskussion endlos. Ich studiere selbst Musikwissenschaft und bin Programmierer und von daher weiß ich, wie attraktiv es ist möglichst weit zu abstrahieren und rechnertauglich zu denken. Insofern immer die Ohren offen halten und nicht nur der CPU vertrauen :)
Die große Frage bei dem Thema ist ja: Was genau ist ein Intervall...Was z.B. ist die "reine Quinte"? Frequenzverhältnis von Sinuschwingungen 2:3 oder doch eher Frequenz des ersten reinen Tones multipliziert mit 2^(7/12) oder Klaviertasten "C" und "G"? Und warum klingt es nicht wirklich "konsonant", wenn ich auf meiner verzerrten E-Gitarre ein F und ein A spiele und unverzerrt klingt es dann "konsonant", obwohl es doch beides mal eine große Terz ist? In beiden Fällen ist die Antwort nur abhängig vom Hören, denn "reine Quinte" beschreibt eine Sinneswahrnehmung und ob uns die "große Terz" gefällt ist kontextabhängig und in der Praxis nicht eindeutig zu beantworten.

Sehr gutes Buch zum Thema:
James Beament - How We Hear Music : The Relationship between Music and the Hearing Mechanism
 
joergen schrieb:
tatsächlich finde ich die idee, den klangwert eines intervalls zu berechnen sehr reizvoll, man überlege, was einem das für möglichkeiten an die hand gäbe: man könnte den klangwert von beliebig komplexen akkorden, ob sie auf terzschichtung beruhen oder nicht feststellen und käme nicht nur auf eine skala von dissonanzwerten für intervalle sondern gleich für akkorde.

alles, was man tun muss ist die klangwerte der intervalle zu kombinieren.
Darüber habe ich auch schon nachgedacht, aber das Ganze ist sehr komplex.
Die Charakteristik eines Akkordes ist nicht nur durch die Intervalle im Verhältnis zum Grundton bestimmt, sondern auch untereinander. Ein Moll-Dreiklang klingt zum Beispiel sehr harmonisch, ein Dur-Dreiklang auch, aber ein Akkord bestehend aus kleiner Terz, großer Terz (enharmonisch eher verm. Quarte) und reiner Quinte klingt doch eher dissonant, weil man die Beziehung der Intervalle untereinander auch beachten muss.
Aber es wäre wirklich sehr verlockend, Akkorde auf diese Art analysieren zu können, also sollte man es zumindest versuchen.

joergen schrieb:
tatsächlich bist du der erste, der behauptet (zumindest implizit) dass eine große sekunde ((7*2)mod12=2) konsonanter klingt, als eine terz oder sext. auch ist dein tritonus ((7*6)mod12=6) scheinbar weniger ein strebeintervall als die reine quarte (=11). in den meisten büchern, die man so findet wird sicher eher behauptet werden, die verminderte quint sei das strebeintervall und die reine quart eine mögliche auflösung. überhaupt ist die reine quart bei dir das stärkste strebeintervall überhaupt. ich räume ein, dass die reine quart von den altvorderen eine dissonanzbehandlung erfuhr (musste in bestimmten fällen vorbereitet und aufgelöst werden) doch das macht sie nicht zu einem strebeintervall. im gegenteil in der alltagstheorie würde man sie bei den vollkommenen konsonanzen einordnen.
Entschuldige, ich hab das mit dem "mod 12" noch nicht weit genug ausgeführt.
Ich benutze das eher auf die mathematische Weise als auf die informatische.
Wenn du also (7*5) mod 12 = 35 mod 12 = (24 + 11) mod 12 = 11 rechnest, ist das zwar korrekt, aber du hast keine Quarte, sondern eine übermäßige Terz (auch 5 Halbtöne), das Intervall, das man erhält, wenn man 11 Quinten übereinanderlegt, und die ist wirklich dissonant!
Damit wären wir jetzt also bei der Enharmonik.
Im Mathematischen heißt Modulo 12, dass mehrere Werte "kongruent" sind (oder äquivalent, gleichwertig), wenn sie sich durch ein Vielfaches der 12 unterscheiden.
Die musikalische Interpretation wäre, dass zum Beispiel ein C und ein c'' "kongruent" sind, da sie sich um 3 Oktaven = 3*12 Halbtöne unterscheiden, was ein Vielfaches der 12 ist.
So, zurück zu dem Beispiel mit der Quarte: ich bin nicht auf der 11 stehengeblieben, sondern habe noch mal 12 abgezogen, womit ich auf der -1 lande (negative Zahlen sind auch erlaubt).
Das Intervall wird also durch "-1 Quinten" gebildet, also eine Quinte runter; oder eine Quarte rauf, was vom Ton her das selbe ist.

joergen schrieb:
als kleine anregung: hast du schon einmal von differenztönen gehört? das sind neue töne, die im raum entstehen, wenn man ein intervall im zusammenklang spielt. es gibt ein theoriewerk, das eben aus diesen eine skala im dissonanzgrad von intervallen herleitet.

man könnte in seinen betrachtungen auch zwischen dissonanzgrad, strebeverhalten und verwandtschaftsgrad unterscheiden. das nur so als anregung.

ich finde es sehr spannend, was du machst, ich würde mich freuen, mehr von deinen beobachtungen lesen zu können.
Hm, davon hab ich noch nichts gehört, aber das klingt sehr interessant.
:great: Vielen Dank übrigens für deine Antwort, ich bin froh, wenn sich jemand dafür interessiert.
Tut mir leid, wenn ich nicht so ausführlich geschrieben habe, ich denke es ist schwer was damit anzufangen, wenn man noch nie was mit modulo zu tun hatte.

...ach ja, um die Verwirrung komplett zu machen:
Wenn wir wissen wollen, wie viele Quinten man benötigt um ein Intervall zu bilden, müssten wir eigentlich durch 7 teilen, also für die 9 (große Sexte) wäre das 9/7.
Man kann zur 9 sooft 12 addieren, bis es hinhaut (ist ja hier erlaubt):
(9+12)/7 = 21/7 = 3
Da aber 7*7 = 49 = 48 + 1 = 1 ist, kann man x/7 umschreiben zu
1*x/7 = (7*7)*x/7 = 7*x.
Wenn wir also in diesem Modulo 12-System (Heißt eigentlich Restklassenring Z12, Z steht dabei für die ganzen Zahlen) durch 7 teilen, ist das das selbe, ols ob wir 7 multiplizieren.
:screwy: Verrückt, oder?

Wenn ihr was nicht versteht (wovon ich überzeugt bin), stellt ruhig Fragen.
 
find die überlegung cool!
les es gleich nochmal...:rolleyes:
 
So, nun zu dir, guitareddie:
Es ist die mathematische Vorgehensweise, die Wirklichkeit nach einem bestimmten Modell zu abstrahieren und zu interpretieren.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mich auf die pythagoräische und nicht auf die reine oder wohltemperierte Stimmung beziehe und habe keinen Anspruch darauf,
dass meine Anschauung "die Richtige" ist, es ist nur eine Interpretation.
Aber in der Physik ist man ja auch kleinschrittig vorgegangen und ist erstmal von unteilbaren Atomen ausgegangen.

Im Gegensatz zu den Expressionisten suche ich keine Harmonielehre zur wohltemperierten Stimmung, da man keine Antwort auf Konsonanz oder Dissonanz findet, wenn man mit irrationalen Stimmungsverhältnissen (zum Beispiel 2^(7/12)) arbeitet.

Die reine Stimmung ist ein großer Anreiz, aber nicht leicht in ein System zu bringen.

Bei der pythagoräischen Stimmung setze ich da an, wo auch unsere Harmonielehre früher angesetzt hat, nur dass ich keine willkürlichen rein intuitiven Entscheidungen treffe, sondern Intuition und mathematische Gesetzmäßigkeiten verbinde.
Zum Beispiel akzeptiere ich die Fakten, schließe also Tonarten wie Lokrisch nicht aus, weil mir das zu dissonant ist (oder abwärtsdissonant nach meiner Definition).

Was die Anwendbarkeit betrifft:
1.) Man muss oft erst einmal ein System entwickeln, um zu erkennen was man damit anfangen kann.
Für die komplexen Zahlen in der Mathematik z. B. hatte man früher keine Anwendung,
aber ohne sie wäre die Raumfahrt heutzutage undenkbar.
2.) Egal on man praktische Anwendungen findet oder nicht, man lernt sehr viel über das Wesen der Musik.
3.) Wenn man Akkorde auf diese Art analysieren könnte, wäre das ein wahnsinniger Schritt für die Kompositionslehre.
4.) Wie du siehst, arbeite ich mit Dissonanz und Enharmonik,
man könnte also eine allgemeine Harmonielehre entwickeln, die nicht auf 7 Töne begrenzt ist.

:D Das wichtigste ist auf jeden Fall, dass man sich nicht ständig fragt "Mache ich mir die Mühe hier umsonst?", sondern dass man herumexperimentiert.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
 
Ok, also in einigen Punkten stimmen wir überein (vor allem Deine Signatur:great: )
Allerdings war mein Beitrag eigentlich auf die Frage ausgerichtet, welchen Bezug Dein System zu unserer (musikalischen) Realität hat. Wie Du aber gesagt hast, ist das ja für Dich erstmal gar nicht von Bedeutung. Da gehen die Meinungen dann halt auseinander. Trotzdem will ich mich mal auf dieses Gedankenexperiment einlassen...

Dann wäre es nett, wenn Du die folgenden Punkte kurz erklären könntest:
1) Wie definierst Du "Halbton" in Deiner Dissonanzberechnung?
2) Woher weiß ich bei Deiner mod12-Rechnung im Bsp. von joergen, daß nicht 11, sondern -1 das Ergebnis ist?
Meine Definition von Dissonanz sieht folgendermaßen aus: der Betrag der Dissonanz gibt an, ob ein Intervall ein Ruheintervall (kleiner Wert) oder ein Strebeintervall ist, das Spannung erzeugt.
(Beispiel: Prim Ruheintervall, Tritonus Strebeintervall)
Das Vorzeichen gibt an, ob ein Intervall aufwärtsstrebend (+, also Quinten) oder abwärtsstrebend (-, Quarten) ist, wobei abwärtsstrebend das ist, was viele mit Dissonanz verbinden.
3) Ich weiß nicht, ob Deine Annahme richtig ist, daß abwärtsstrebend das ist, was viele mit Dissonanz verbinden. Woher hast Du das?
4) Ab wann ist ein Intervall kein Ruheintervall mehr, sonder ein Strebeintervall?
5) Wie ist Deine Intervallabstufung zu verstehen? Ist die Quinte "dissonanter" als die Prim und ist die große Sekunde "konsonanter" als die große Terz?
6) Gelten Deine Ideen für harmonische oder melodische Intervalle oder beides?
7) Der Tritonus ist die verminderte Quinte?


P.S.: Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, daß eine verminderte Quinte überhaupt nicht nach Quinte klingt...
 
Wie jörg schon angedeutet hat, ist Dissonanz/Konsonanz keine Frage der Akustik oder Mathematik, sondern eine Frage der Hörgewohnheiten, des Stils. Beispielsweise wurde die Quarte im Mittelalter als dissonant, d.h. der Auflösung bedürftig, empfunden. Der Tritonus, dein dissonantestes Intervall überhaupt, ist im Blues-Tonika-Akkord enthalten und somit Teil eines als Ruhepunkt empfundenen Klanges.
Über die mathematische Behandlung von Dissonanz haben sich schon andere Gedanken gemacht, z.B. Euler und Helmholtz. Hab hier nen anscheinend ziemlich umfassenden Überblick gefunden: http://dactyl.som.ohio-state.edu/Music829B/main.theories.html
Vielleicht gibts deinen Ansatz schon, vielleicht musst du dich auch dazu schreiben ;)
 
:D Hey, endlich jemand, der das Ganze hinterfragt!
Ich muss zugeben, dass ich teilweise nicht viel erläutert habe, und die meisten deiner Fragen sind berechtigt:

guitareddie schrieb:
Dann wäre es nett, wenn Du die folgenden Punkte kurz erklären könntest:
1) Wie definierst Du "Halbton" in Deiner Dissonanzberechnung?
2) Woher weiß ich bei Deiner mod12-Rechnung im Bsp. von joergen, daß nicht 11, sondern -1 das Ergebnis ist?
3) Ich weiß nicht, ob Deine Annahme richtig ist, daß abwärtsstrebend das ist, was viele mit Dissonanz verbinden. Woher hast Du das?
4) Ab wann ist ein Intervall kein Ruheintervall mehr, sonder ein Strebeintervall?
5) Wie ist Deine Intervallabstufung zu verstehen? Ist die Quinte "dissonanter" als die Prim und ist die große Sekunde "konsonanter" als die große Terz?
6) Gelten Deine Ideen für harmonische oder melodische Intervalle oder beides?
7) Der Tritonus ist die verminderte Quinte?

1) siehe 4). Da sie die Dissonanz mit dem Grundton bilden und direkt angrenzend sind,
ist die Verlockung natürlich sehr groß, den Grundton zu spielen.
Wichtig ist zu erwähnen, dass eine übermäßige Prim (auch Halbtonschritt) nach oben will, aber einen sehr weiten Weg zum Grundton hat (11 Halbtöne).
Zugegeben, mit der Wichtigkeit des direkten Abstands von Intervallen habe ich mich bisher nicht so stark befasst, obwohl sie eine sehr große Rolle spielt.

2) Ich fürchte, das hab ich zu wenig erläutert: Der "Eingabeparameter" ist eine 5, nicht die Quarte selber. Die Gleichung spuckt also alle enharmonischen Möglichkeiten für ein Intervall mit 5 Halbtönen aus.
Wenn es keinen Enharmonischen Kontext gibt, nimmt man das Ergebnis, das am nächsten an der Null ist, so dass man (abgesehen von der 6) keine verminderten oder übermäßigen Darstellungen erhält.
Gibt es einen, nimmt man das positive Ergebnis am nächsten zur Null für Aufwärtsstrebung und das negative für Abwärtsstrebung.

3) Unter dissonant verstehen die meisten "klingt unangenehm", wörtlich heißt das eigentlich "auseinanderklingen".
In der pythagoräischen Tonleiter lassen sich die Intervalle als (3/2)^x schreiben (x ganzzahlig, also auch negativ möglich).
Je größer der Betrag von x ist, desto größere Werte ergeben sich für das ganzzahlige Verhältnis, das Intervall klingt also stärker auseinander.
Ich verweise nochmals auf mein Beispiel: Die Intervalle, die in der Lydischen Tonleiter auftauchen, sind die Komplementärintervalle von Lokrisch.
Da komplementärintervalle per Definition gleich dissonant sind, müssen folglich auch Lydisch und Lokrisch gleich dissonant sein.
Der springende Punkt ist aber, dass Lydisch ausschließlich aus Quintintervallen gebildet wird, Lokrisch dagegen aus Quartintervallen.
Spielt man diese Tonleitern, stellt man (intuitiv) fest, dass bei Lydisch "alles nach oben will" (die große Terz will zur Quart, die überraschenderweise übermäßig ist und unaufhaltsam zur Quint strebt, außerdem die große Sept zum Grundton), bei Lokrisch alles nach unten (ähnlich).

4) Es gibt da nur fließende Übergänge. Die Prim strebt allerdings überhaupt nicht (völlig konsonant), die Quinte/Quarte sind die konsonantesten Intervalle mit Streberichtung (Strebung fällt kaum auf), und die kleine Sekund/große Septe (Halbtonschritte) sind die dissonantesten Intervalle, die konsonanter als ihre enharmonischen Uminterpretierungen sind.
Was noch dissonanter ist (ab Tritonus) wird in der Heptatonik als übermäßig/vermindert bezeichnet.

5) Genau! Wie gesagt, die große Terz hat eine größere Strebung als die große Sekund, ist also nach meiner Definition dissonanter (klingt stärker auseinander).

6) Eine sehr gute Frage: melodisch klappt das Ganze wunderbar, bei Akkorden (Harmonik) bin ich mir da nicht ganz so sicher...das Problem ist, dass hier der tatsächliche Abstand der Töne nicht beachtet wird, was im Falle große Sekund/große Terz ins Gewicht fällt.

7) Ich weiß, Tritonus heißt eigentlich "Dreiton", ist also ursprünglich das Intervall aus 3 Ganztönen, also die übermäßige Quarte.
Wenn ich vom Tritonus spreche, meine ich damit allerdings das Intervall aus 6 Halbtönen, unabhängig von der Enharmonik.
Ich hoffe, das führt nicht zu Verwirrungen.

:great: Vielen Dank nochmal für deine interessanten Fragen!
 
@whir: Danke für den Link, ich werd mal reinschauen, wenn ich Zeit hab.
Zum Tritonus:
Nein, in meiner Theorie ist, er NICHT das dissonanteste Intervall,
es ist lediglich das dissonanteste Intervall, wenn man die Enharmonik außer acht lässt.
Wie gesagt gehe ich von der pythagoräischen Stimmung aus,
wo der Tritonus durch 6 Quarten/Quinten dargestellt wird.
Da eine übermäßige Prim zum Beispiel 7 Quinten benötigt, ist sie hier etwas dissonanter.

Was den Tritonus im Blues anbelangt: Nach meiner Definition bedeutet Dissonanz "Strebeklang".
Der Tritonus hat eine sehr hohe Strebewirkung, was Spannung erzeugt (muss nicht unangenehm sein).
Da er gleich stark nach oben wie nach unten streben kann (je nach enharmonischer Verwechslung) kann er sehr flexibel eingesetzt werden, er kann in Richtung Quart und in Richtung Quint leiten.
Das heißt natürlich nicht, dass die "Blue Note" aufgelöst werden muss, wie es in der Klassik üblich wäre.
Wahrscheinlich gilt er dort als "Ruhepunkt", weil Spannung erwünscht ist.
Könnte natürlich auch damit zu tun haben, dass ich von der Pythagoräischen Stimmung ausgehe, wo die Tritoni sich etwas stärker von denen der wohltemperierten Stimmung unterscheiden, das ist nämlich ein wichtiges Kriterium in Bezug auf "Hörgewohnheiten".

Zum Thema Dissonanz und Hörgewohnheiten:
Es ist schwer, Dissonanz zu charakterisieren, am besten macht das jeder für sich.
Am besten ist, man hört sich erst die Lydische Kirchentonleiter an, (Dissonanzgrad 0 bis 6), dann Lokrisch (-6 bis 0) und anschließend Dorisch (-3 bis 3)
und denkt über meine Definition von Dissonanzgrad und Streberichtung nach.
 
hell: >>Das heißt natürlich nicht, dass die "Blue Note" aufgelöst werden muss, wie es in der Klassik üblich wäre.
Wahrscheinlich gilt er dort als "Ruhepunkt", weil Spannung erwünscht ist.<<

ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstehe, aber ich bin mir sicher, dass ein v5/ü4-intervall in der klassik NICHT als ruhepunkt durchgeht.

hell: >>Die reine Stimmung ist ein großer Anreiz, aber nicht leicht in ein System zu bringen.<<

ich denke, dass die unterschiede zwischen reiner, pytagoräischer, gleichschwebend temperierter und was-wieß-ich-was-für-einer stimmung in dieser diskussion überschätzt werden. es gibt ein komma, wo man den quintenzirkel schließen können müsste und verteilt das irgendwie auf den rest der intervalle. ein system, das auf quintschichtung basiert muss nicht über den haufen geworfen werden, nur weil die temperierte quinte zu klein ist.

bitte vorsicht mit intervallnamen wie übermäßiger prim oder verminderter quart. da müsstest du noch mal explizit erklären, warum du da differenzierst.
 
joergen schrieb:
hell: >>Das heißt natürlich nicht, dass die "Blue Note" aufgelöst werden muss, wie es in der Klassik üblich wäre.
Wahrscheinlich gilt er dort als "Ruhepunkt", weil Spannung erwünscht ist.<<

ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstehe, aber ich bin mir sicher, dass ein v5/ü4-intervall in der klassik NICHT als ruhepunkt durchgeht.
Ich hab mir schon gedacht, dass der Begriff "Ruhepunkt" für Verwirrung sorgt.
In meiner Definition rede ich von einem Ruheintervall, wenn es kaum Strebewirkung hat, während whir mit Ruhepunkt wahrscheinlich meinte (wie es wahrscheinlich auch konsens ist),
dass das Intervall gerne etwas länger gespielt werden kann, da es "angenehm" klingt.
In der Klassik haben Ruhepunkte kaum Spannung, während sie im Blues teilweise sehr viel (Tritonus) haben.
Das heißt dass Ruhepunkte sowohl Ruheintervalle (nach meiner Definition) sein können (Klassik) wie auch Strebeintervalle (Blues).

hell: >>Die reine Stimmung ist ein großer Anreiz, aber nicht leicht in ein System zu bringen.<<

joergen schrieb:
ich denke, dass die unterschiede zwischen reiner, pytagoräischer, gleichschwebend temperierter und was-wieß-ich-was-für-einer stimmung in dieser diskussion überschätzt werden. es gibt ein komma, wo man den quintenzirkel schließen können müsste und verteilt das irgendwie auf den rest der intervalle. ein system, das auf quintschichtung basiert muss nicht über den haufen geworfen werden, nur weil die temperierte quinte zu klein ist.

Wie schon gesagt, ich interpretiere die wohltemperierten Töne auf pythagoräische Weise, und wie wir wissen, hängt die Konsonanz/Dissonanz von dem ganzzahligen Verhältnis ab, nicht von "Nachkommastellen".
Die große Terz hat in der reinen Stimmung ein Verhältnis von 5:4 (80:64), in der pythagoräischen dagegen 81:64.
1/64 Unterschied ist von den Nachkommastellen her nicht viel, spielt aber im ganzzahligen Verhältnis und in der Bestimmung der Konsonanz/Dissonanz eine große Rolle.

joergen schrieb:
bitte vorsicht mit intervallnamen wie übermäßiger prim oder verminderter quart. da müsstest du noch mal explizit erklären, warum du da differenzierst.
In der pythagoräischen Stimmung besitzen enharmonisch verwechselte Töne verschiedene Frequenzen und haben damit unterschiedliche Dissonanzgrade,
eine Quart hat z. B. das Verhältnis 4:3, eine übermäßige Terz (3/2)^11.
Die Quart hat also Dissonanzgrad -1, die übermäßige Terz 11.
Natürlich hört man bei einem einzelnen Intervall nicht, mit welcher enharmonischen Variante man es zu tun, aber im Kontext mit anderen Intervallen empfindet man bestimmte Intervalle als dissonanter, als wenn sie alleine stehen würden.
Dann hat man es mit einer enharmonischen Verwechslung zu tun.
(Ich weise nochmals darauf hin, dass die Enharmonische Verwechslung auf die Interpretation als pythagoräische Stimmung zurück zu führen ist und bei anderer Interpretation keine Gültigkeit haben muss).
 
Kommen wir nun zu den Kehrintervallen:

Kehrintervalle sind hier das, was man in der Mathematik als "Inverse der Addition" oder "additive Inverse" bezeichnet.
Man ermittelt sie, indem man einfach ein "-" vor das Intervall schreibt.

Für die kleine Terz (3) wäre das Kehrintervall dann also -3 = -3 + 12 = 9.
Wenn wir die Enharmonik berücksichtigen, muss auch der Dissonanzgrad komplementär sein (also "-"):
Dissonanzgrad der 3: D(3) = 3*7 = 21 = 12 + 9 = 9 = 9 - 12 = -3
(D(3) = 9 wäre eine übermäßige Sekund).
Das Kehrintervall der kleinen Terz (die 9) hat also den Dissonanzgrad 3, womit wir es als große Sext identifizieren.

Gehen wir dagegen von einer übermäßigen Sekund (auch 3) aus, erhalten wir (wie schon erwähnt) den Dissonanzgrad 9.
Das Kehrintervall, also die 9, besitzt in diesem Fall den Dissonanzgrad -9, was auf die verminderte Septe schließen lässt.

Viele werden sich sicher fragen, woher ich weiß, dass das Intervall 3 mit Dissonanzgrad -3 eine kleine Terz ist, bei Dissonanzgrad 9 allerdings eine übermäßige Sekund.
Hier eine Faustregel: Reine, große und kleine Intervalle besitzen den Dissonanzgrad, der am nächsten an der Null dran ist,
übermäßige und verminderte Intervalle den, der etwas weiter weg, dabei aber möglichst nah dran ist.
Zusätzlich gilt, dass große und übermäßige Intervalle immer einen positiven Dissonanzgrad haben (durch Quinten gebildet),
während kleine und verminderte Intervalle stets negativen Dissonanzgrad besitzen (also aus Quarten).
Die (reine) Prim im speziellen hat Dissonanzgrad 0, ihre enharmonischen Verwechslungen (verm. Sekund/überm. Sept) -12 und 12.
Einen weiteren Grenzfall bildet der Tritonus, der entweder den Dissonanzgrad 6 (überm. Quart) oder -6 (verm. Quint) besitzt.

Beispiel: Da die kleine Terz ein kleines Intervall ist (negativer Dissonanzgrad) und beim Dissonanzgrad -3 näher an der Null ist als 9, muss ich die -3 nehmen.
Die übermäßige Sekund ist übermäßig (positiver Dissonanzgrad), weswegen ich die -3 nicht nehmen kann sondern das nehmen muss, was am zweitnächsten zur Null liegt, also die 9.
 
HëllRÆZØR schrieb:
Wie schon gesagt, ich interpretiere die wohltemperierten Töne auf pythagoräische Weise,
In der pythagoräischen Stimmung besitzen enharmonisch verwechselte Töne verschiedene Frequenzen


Und liegst damit schon falsch. Denn in der reinen und der pythagoräischen Stimmung gibt es keine enharmonische Verwechslung. Das liegt an der Herleitung der Intervalle aus der Obertonreihe (Stichwort Monochord). Beispiel: Ein gis in einem E-Dur-Akkord ist die große Terz. In der Obertonreihe ist das der vierte Oberton. Ein as in einem f-Moll-Akkord hingegen - auf dem Klavier die gleiche Taste - ist die kleine Terz zum f. In dessen Obertonreihe kommt die kleine Terz irgendwo oberhalb des 15. Obertons vor. Das ist also ein völlig anderer Ton - übrigens mit der auf den ersten Blick verwirrenden Folge, dass das as als Moll-Terz höher ist als das gis als Dur-Terz. (Mach´s noch verwirrender und nimm eis-Moll - da ist das gis als kleine Terz höher als das gis als große in E-Dur.) Deshalb kamen sie ja vor 300 Jahren auf die Idee, alles ein bisschen hin- und herzuschieben und so zu tun, als seien gis und as dasselbe. Du kannst aber nicht, nur damit Deine Theorie passt, mit der Begrifflichkeit der temperierten Stimmung im Pythagoras rumfuhrwerken. Das geht nicht.

HëllRÆZØR schrieb:
Natürlich hört man bei einem einzelnen Intervall nicht, mit welcher enharmonischen Variante man es zu tun,
Und ob man das hört. Hör mal ein gutes Streichquartett an oder ein gutes Blechbläser-Ensemble, also Gruppen, in denen nicht die Diktatur der Wohltemperierten herrscht. Großartiges Erlebnis, wenn ein Terz so klingt, wie sie klingen muss.
 
Sorry, aber ich habe das Gefühl, daß Deine gesamte Konstruktion auf sehr wackligen theoretischen Fundamenten steht. Die Sache mit der Enharmonik/Pythagoras habe ich auch noch nie gehört (deswegen gibt es doch die mythische "halbe Taste" an der Klaviatur). Deswegen kannst Du auch nicht mit einer Gleichung, die auf temperierten Halbtönen basiert die pythagoräischen Intervalle klassifizieren. Außerdem habe ich es so verstanden, daß das alles ein absolutes Theriekonstrukt ist und dann kannst Du nicht mit solchen Sachen losziehen:
Spielt man diese Tonleitern, stellt man (intuitiv) fest, dass bei Lydisch "alles nach oben will" (die große Terz will zur Quart, die überraschenderweise übermäßig ist und unaufhaltsam zur Quint strebt, außerdem die große Sept zum Grundton), bei Lokrisch alles nach unten (ähnlich).
Wenn Du damit kommst, dann müssen wir doch den menschlichen Hörapprat und die Verarbeitung danach in Betracht ziehen und dann wird das hier alles wohl nix :(

@duden:
Wie muß denn eine Terz klingen?
 
So, erst mal zu dir, duden:
Mit dem Streichorchester hast du natürlich recht, ich hab mich da allerdings auf den Normalfall bezogen,
indem entweder der Musiker kein herausragender Streichquartettspieler ist oder das Instrument (z. B. Klavier, Gitarre) nicht (oder kaum) die Möglichkeit hat, die "enharmonisch korrekten Töne" zu spielen.

Die Obertonreihe hat allerdings so gut wie gar nichts mit der pythagoräischen Stimmung zu tun. Man findet durch Quinten gebildete Intervalle der pythagoräischen Stimmung zwar beim 3. (Quint), 9. (große Sekunde), 27. (große Sext), 81. (große Terz), ... Ton, aber soweit geht man normalerweise nicht.
Man nimmt für die große Terz lieber den fünften Ton (5:4) als den 81. (81:64, pythagoräische große Terz).
Und die 4:3-Quart (reine/pythagoräische Stimmung) findest du dort überhaupt nicht.
:confused: Ich verstehe also beim besten Willen nicht, was du mir damit sagen willst.

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@guitareddie:

Ich weiß, es ist schwer zu glauben, dass man Enharmonik mathematisch darstellen kann, aber ich versuche mal zu erklären, wieso das funktioniert:

Zuerst stelle ich mittels eines mathematischen Verfahrens (7x) fest, wie viele Quinten ich brauche, um ein Intervall darzustellen.
Da es dafür mehrere Möglichkeiten gibt (theoretisch unendlich viele), erhalte ich auch mehrere (unendlich viele) Lösungen.

Jetzt kommen wir zu dem Punkt, der wahrscheinlich Missverständnisse hervorgerufen hat, und den ich genauer erläutern muss:
Ich baue alles auf der pythagoräischen Stimmung auf, aber was genau verstehe ich eigentlich darunter?

Die pythagoräische Stimmung ist gewissermaßen auf Quint-Ebene das, was die wohltemperierte Stimmung auf Halbton-Ebene ist.
Bei der wohltemperierten Stimmung sind alle (halbtönig) benachbarten Töne gleich weit entfernt, und theoretisch gibt es unendlich viele (in der Praxis begrenzt).
Bei der pythagoräischen Stimmung sind alle Quint-benachbarten Töne gleich weit entfernt (* 3/2), und theoretisch gibt es davon auch unendlich viele.
In der Praxis erzeugt man von diesen Tönen nur 12 und variiert sie so in der Oktavlage (* 2^x für x Oktaven), wie man sie braucht.
In Quintreihenfolge wären das also:
Eb Bb F C G D A E B F# C# G# (oder Ab Eb Bb F C G D A E B F# C#)
Bei der wohltemperierten Stimmung könnte man den Kreis ohne Probleme schließen, da G# und Ab dasselbe ist.
Bei der pythagoräischen Stimmung ist das nicht der Fall:
Man könnte sogar unendlich viele Quinten oder Quarten anhängen und würde nie 2 gleiche Töne erhalten,
da f*(3/2)^n = f*(4/3)^m *2^x nicht lösbar ist. (f = Ursprungsfrequenz, n, m = unbek. natürliche Zahlen, z = unbek. ganze Zahl)
Also genau wie im Quintenzirkel, wo man unendlich weit in Quintrichtung gehen könnte, ohne dass zwei enharmonisch gleiche Töne auftauchen.
(Wer glaubt, dass der Quintenzirkel ein geschlossener Kreis im enharmonischen Sinne ist, hat das Prinzip nicht verstanden.)
Das heißt, je mehr Quinten oder Quarten ich auf eine Frequenz (Grundton) aufbaue, desto größer wird das ganzzahlige Verhältnis.
Da 3/2 (Quinte) geringfügig über 2^(7/12) (wohltemperiert) liegt, weicht das Intervall jedesmal, wenn man 3/2 multipliziert, nach oben ab, bei der Quarte dementsprechend nach unten.

Also noch mal im &#220;berblick, je mehr Quinten ich über einen Grundton lege, desto dissonanter (größeres ganzzahliges Verhältnis) wird das Intervall, und desto mehr weicht es von dem entsprechenden wohltemperiertem Intervall in obige Richtung (Quarte nach unten) ab.
Die Vermutung, das Quintintervalle nach oben und Quartintervalle nach unten streben ist also nicht komplett willkürlich, auch wenn ich dafür keinen endgültigen Beweis liefern kann.

Nun zu der Frage, was denn die pythagoräischen Töne in der wohltemperierten Stimmung zu suchen haben:
Musik hören heißt Musik wahrnehmen. Die gehörten Töne sind die der wohltemperierten Stimmung, aber die wahrgenommenen sind die der reinen oder pythagoräischen Stimmung (oder eine weitere?).

Ich:
Spielt man diese Tonleitern, stellt man (intuitiv) fest, dass bei Lydisch "alles nach oben will" (die große Terz will zur Quart, die überraschenderweise übermäßig ist und unaufhaltsam zur Quint strebt, außerdem die große Sept zum Grundton), bei Lokrisch alles nach unten (ähnlich).
Dein Kommentar:
Wenn Du damit kommst, dann müssen wir doch den menschlichen Hörapprat und die Verarbeitung danach in Betracht ziehen und dann wird das hier alles wohl nix :(
Erklär mir mal, wie man Musik charakterisieren kann ohne seine Wahrnehmung zu gebrauchen!
Wie ich bereits sagte ist alles eine Mischung aus Mathematik und Intention, aber keine reine Willkür, sondern möglichst begründet.
Und von einem absoluten Theoriekonstrukt kann keine Rede sein.
:rolleyes: Ich hoffe, du verstehst jetzt wenigstens, wie ich auf die Sache mit dem Strebeverhalten komme (du musst mir ja nicht zustimmen).

P. S.: Ich finde es amüsant, dass sich so viele nicht mit der Enharmonik und dem Strebeverhalten in dem System zufrieden geben, obwohl das der klassischen Harmonielehre so nahe kommt.
;) Aber ich muss zugeben, dass eine mathematische Begründung von Enharmonik (scheinbar) fast so absurd klingt wie der mathematische Beweis, dass es einen Gott gibt.
 
Bei der wohltemperierten Stimmung sind alle (halbtönig) benachbarten Töne gleich weit entfernt, und theoretisch gibt es unendlich viele (in der Praxis begrenzt).
Häh, ich dachte wir haben 12 und fertig, sowohl theoretisch wie auch praktisch. Wenn man davon ausgeht, daß C=c=c1=... ist. Nach 12 Halbtonschritten ist man genau bei 1 Oktave (Frequenzverhältnis 1:2) und das kann man bis in alle Unendlichkeit fortführen. Wo ist da noch was zu holen an Tönen?

Ich glaube, daß Deine Definition von Enharmonik bei mir irgendwie nicht ankommt. Ich dachte darunter läuft folgendes:
(enharmonios, griech.=übereinsimmend)
Im temperierten System können Tonnamen umgedeutet werden, da die zugehörigen Töne die gleiche Tonhöhe haben (F#=Gb).

Ist der Quintenzirkel im "Wohltemperierten System" (gleichmäßige Temperatur) nicht ein geschlossenes System? Nach 12 Quinten über c kommt man auf b# und das ist in diesem System der selbe Ton.

Musik hören heißt Musik wahrnehmen. Die gehörten Töne sind die der wohltemperierten Stimmung, aber die wahrgenommenen sind die der reinen oder pythagoräischen Stimmung (oder eine weitere?).
Häh? Wie jetzt? Warum sollte man sich dann die Mühe machen zu unterscheiden, wenn man den Unterschied nicht merkt? Wer hat das denn rausgefunden?
 
Mal eine Frage zur Begriffsklärung:

Sind as und gis immer enharmonisch oder nur, wenn ihre Frequenzen im gewählten System gleich sind?
 
Das sind sie nur im heutzutage (und schon seit einer Weile..) verwendeten System der gleichmäßigen Temperatur ("wohltemperiert"), da sie den gleichen Ton beschreiben. Was eben bedeutet, daß sie gleiche Tonhöhe haben bzw. gleiche Grundfrequenz.

Also Antwort:
JA!
 

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