Hallo Nici,
da sich bisher noch niemand gemeldet hat, will ich mal den Anfang machen.
Ich muß aber vorwegschicken, daß ich keinesfalls über solide Grundlagen in Mensuralnotation verfüge (kein Studium, nie offiziell "gelernt", alles im Laufe der Zeit nebenbei aufgeschnappt...).
Deshalb sind meine Aussagen zum Thema nicht der Weisheit letzter Schluß, aber bevor sich Experten melden, möchte ich wenigstens eine sinnvolle Diskussion zum Thema beginnen.
Also der Reihe nach: Stelle wir uns mal ganz dumm und fragen uns: "Wat is en Dampfmaschin'?"
Notenschlüsel gab es im Laufe der Zeit in zahlreichen grafischen Varianten. Zu unterscheiden sind eigentlich nur drei Arten von Schlüsseln: C-Schlüssel, F-Schlüssel und G-Schlüssel.
Im vorliegenden Fall handelt es sich zweifellos um einen G-Schlüssel, der die mittlere Notenlinie markiert. Das nennt man heute "französischen Violinschlüssel".
Deshalb bin ich mit Deiner Übertragung in den üblichen Violinschlüssel völlig einverstanden, dann wandern alle Noten eben zwei Stufen nach unten.
OK.
Hier gehen unsere Auffassungen dann wohl auseinander. Wie kommst Du auf die 6/4-Taktangabe?

Ich bin mir bewußt, daß es noch keine Takte in heutigem Sinne gibt, die auch Betonungsschwerpunkte usw. vorgeben, aber trotzdem läuft mir der 4/6 rhythmisch ziemlich gegen den Strich...
Der Tactus ist streng genommen ja keine Taktangabe im heutigen Sinne, sondern legt die Längenverhältnisse zwischen den längeren Notenwerten fest: Entspricht eine Brevis zwei oder drei Semibreves? Entspricht eine Semibrevis zwei oder drei Minima?
Beim geschlossenen Kreis (tempus perfectum) haben wir die "vollkommene" Aufteilung in Dreiergruppen, das C (offener Kreis) bedeutet aber den unvollkommenen (
tempus imperfectum) Fall, daß eine Brevis aus zwei Semibreves besteht.
Ob eine Semibrevis zwei oder drei Minima entspricht, hängt davon ab, ob ein Punkt im C steht. Dies ist nicht der Fall, also gilt auch für die Semibrevis eine Zweier-Teilung (
prolatio minor).
Wir haben es also mit einem "imperfekten", also "
geraden" Takt zu tun (deshalb wundert mich Deine 6/4-Angabe).Der Strich durch das C deutet an, daß ein "Takt" im heutigen Sinne aus zwei Breves bzw. vier Semibreves besteht.
Ein "Takt" im heutigen Sinne wäre dann meiner Auffassung nach (!) folgendermaßen gegliedert:
Ich würde ihn als "alla breve" transkribieren und die Notenwerte wie in solchen Fällen üblich halbieren, dann erhält man vernünftig lesbares Notenbild.
Da wir es glücklicherweise mit einem "geraden" Takt zu tun haben, sind die rhythmischen Finessen vergangener Jahrhunderte, bei denen die effektive Länge einer Note auch von ihrer Umgebung abhängt (Wechel zwischen binär und tertiär usw.) meiner Auffassung nach (!) hier nicht mehr relevant und die Notenlängen lassen sich praktisch 1:1 übertagen.
Kritisch wird es bei mir immer mit den Pausen...

Gleich am Anfang nach dem Taktus steht eine Pause, die Du überehen (?) hast: Sie erstreckt sich über zwei Noten-Zwischenräume, wenn ich das richtig sehe, und dürfte deshalb der Dauer einer Longa bzw. zweier Breves entsprechen.
Bei den Pausenwerten allgemein komme ich wie gesagt bei dieser Art Notation regelmäßig ins Schleudern, weil durch die damalige Drucktechnik (es entsehen öfter mal kleine Lücken in den Notenlinien usw.) für mein ungeübtes Auge es extrem schwierig macht, zwischen Brevis-, Semibrevis- und Minima-Pausen zu unterscheiden: ist der Linienzwischenraum jetzt ganz ausgefüllt (Brevis) oder sitzt die Pause auf der unteren Linie (Semibrevis) oder hängt sie an der oberen Linie (Minima)?
Sind die Pausen in dieser Ausgabe einfach auf die Höhe der nachfolgenden Noten gerückt oder hat die Position im Notensystem keine Bedeutung (was zu vermuten wäre)?
Beispiel: Die Pause nach dem dritten "agnus dei" scheint mir jedenfalls zu "hängen" und die Pause vor dem ersten "miserere nobis" scheint mir auf der Linie zu stehen.
Im Zweifelsfall würde ich die anderen Stimmen (es handelt sich ja laut Titel um ein Tricinium, da muß es noch zwei andere geben) heranziehen...
Beim zweiten "agnus dei" sehe ich deutlich zwei Minima, die hast Du als Semibreves übertragen. Warum ist beim zweiten "agnus dei" beim "i" in der Transkription noch eine Viertel angehängt?
Wie kommst Du auf die Triolen bei "tol - lis pec -", wenn ich fragen darf? Allein durch die Dreier-Gruppierung? War das um diese Zeit nicht schon vorbei? Und warum nicht beim ersten Mal, da liegt doch das selbe Muster vor?
Das ist zwar nebensächlich, aber ich würde mich bei der Silbentrennung an die üblichen Regeln halten. Also einheitlich "A-gnus", nicht "A-gnus"/"Ag-nus" mischen. Auch "pec - ca - ta", nicht "pe - cca - ta" und "tol - lis", nicht "to - llis".
Bei "mundi" handelt es sich um ein Wort, also nicht "mun di", sondern "mun-di".
Das nur mal so zum Einstieg und als Diskussionsgrundlage und zur Überbrückung, bis sich die Fachleute melden.
Viele Grüße
Torsten