Jazz-Blues Schemata - Der 6. Takt

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kreacher
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Folgende Jazz-Blues Schemata:
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Zu Schema 1)
a) Oft erhöht man ja wie hier im 6. Takt den Grundton der IV. Stufe um einen Halbton so dass ein ganz verminderter Sept-Akkord entsteht, kennt dafür jemand eine musiktheoretische Erklärung? Oder liegt das einfach nur daran, dass die Töne des F#o7 "noch näher" an denen des C7 liegen?
b) Diesen Fo7 vor dem F#7 im Takt 6 sehe ich zum ersten mal. Für mich klingt der auch nicht besonders toll, habt ihr das schon mal wo gesehen? Ist dieses Verschieben von einem verminderten Akkord üblich? Oder nur an dieser Stelle üblich? Falls ja: Wo wird das normal angewendet? Gospel?

Zu Schema 2) Warum geht man in Takt 6 auf Bb7? Hab ich so und so ähnlich jetzt schon öfter gesehen. Ist das als Triton-Substitut von E7 zu deuten, welches dann im darauf folgenden Takt zum Em7 umgedeutet wird?

Zu Schema 3) Falls meine Annahme in 2) richtig sein sollte, warum dann hier ebenfalls (mit II-V) nach Bb7 in Takt 6, wenn ja danach nicht E sondern Cmaj7 kommt. Spätestens hier macht es für mich absolut keinen sinn diese II-V Verbindung, die ja nach Eb-Dur will in Takt 6 einzubauen...
Oder ist der Bb7 am Ende gar nicht nicht als V. Stufe anzusehen, da im Blues auch Dominatn-Sept-Akkorde einfach so vorkommen? Warum in diesem Fall dann das Fm7 vorschieben und warum überhaupt Bb7 (also die IV. Stufe der IV. Stufe)? :confused:

Danke euch schon mal im Voraus!
Grüße, Andreas
 
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Ich kann zu Schema 1 und Frage a) etwas beitragen. Man nimmt den F#o7 im sechsten Takt wahrscheinlich hauptsächlich, um eine chromatische Basslinie bzw. einen chromatischen Übergang zwischen Takt 5/6 (F - F#) und Takt 6/7 (F# - G) zu erhalten. In Takt 7 spielt der Bass dann nämlich auf die Eins meist die Quinte, also G.
 
Auch die progressiven Musiker des Bebop waren mal Kinder und liebten offensichtlich die Schlagermelodien jener Kindheits- und Jugendtage, also der 20er und 30er Jahre. :D
Offensichtlich wurden praktisch alle Hits dieser Zeit adaptiert und auch harmonische Konzepte wie Dominantketten, II-V-Verbindungen und verminderten Domantseptakkorden als elegante Durchgangsakkorde übernommen.

Deine letzte Grafik unterm Beitrag zeigt die "Bird Blues Progression", die mit Charlie Parkers Blues for Alice bekannt wurde.
Es geht wie in den Beispielen davor um die Erzeugung und Lösung von harmonischer Spannung durch Zwischendominanten (Secondary Dominants) und II-V-Verbindungen. Neben der harmonisch interessanteren Gestaltung (Tension/Release) kann man damit auch nicht-diatonische Melodietöne einbinden.

Zwischendominanten lassen sich als Dominantseptakkord mit diatonischem Grundton bilden und lösen sich zu den diatonischen Stufenakkorden auf.
Bezogen auf die Stufen von C-Dur gibt es daher folgende Zwischendominanten:
G7 ->Cmaj7, A7->Dm7, B7 ->Em7, C7-Fmaj7, D7->G7. E7->Am7.
Auf Stufen bezogen:
G7->Cmaj7 = V von I, A7->Dm7 = V von II, B7->Em7 = V von III, C7->Fmaj7 = V von VI, D7->G7 = V von V, E7->Am7 = V von VI.
Bm7b5 hat keine Zwischendominante, denn das wäre F#7 und dessen Grundton F# ist in C Dur nicht diatonisch. :nix:

Hier wird das online gut dargestellt:
http://www.jazzguitarlessons.net/jazz-guitar-blues.html
und auch hier gibt es einen lesenswerten Beitrag dazu, samt jazz-klassischen Beispielen:
http://jazzadvice.com/basic-bebop-reharmonization/
 
Ich habe die Thematik immer auf folgende Weise verstanden, bzw. für mich persönlich interpretiert:

Der Blues hat bestimmte harmonische Eckpunkte, die einfach da sein MÜSSEN (Takt 5 als IV(7), Takt 7 als I (oder gleichwertiges), Takt 9+10 eine II-V-Verbindung in irgendeiner Form).
ALLES, was ein Blues ist und sein will, erfüllt diese "Erwartungen", selbst die "verzerrtesten" Blueskompositionen (Parker Blues, Bluesette, Goodbye Porkpiehat, ...).
Alles andere DAZWISCHEN kann so phantasievoll gestaltet sein, wie es will, es dient nur als anderer, interessanterer WEG, um zum nächsten Eckpunkt hinzugelangen.
Diese "vorgeschalteten" kurzen II-V-Verbindungen (meist chromatisch einen HT über der Ziel-II-V) sind nur als kurze klangliche Ausbrüche aus der Diatonik zu verstehen, die das Ohr aber
dennoch wohlwollend wahrnimmt, weil die FORM (nämlich II-V) kurz danach diatonisch wiederholt wird.

Thomas
 
1) a) Diese Akkordverbindung nennt man Passing Diminished Chords. Gut erklärt hier:
http://iujazztheory.weebly.com/passing-diminished-chords.html

Es gibt verschiedene Varianten, in diesem Fall das auf der verlinkten Seite erwähnte #ivo7.

2) Sehr schön ist die Basslinie von T5 - T11: | F | Bb | E | A | Eb Ab | D G | -> C (das sollen keine Chords sein, sondern nur Grundtöne): Der Quartsprung aufwärts wandert immer einen Halbton nach unten.

3) Hier ergeben Takt 7, 8 und 9 den Sinn: Tonika in T7 ist üblich, die Akkordfolge | Cmaj7 Dm7 | Em7 Ebm7 | ist eine gute und übliche Verbindung, um zum Dm7 in T9 zu gelangen.

Viele Grüße,
McCoy
 
Zum Fall | Bb7 | Cmaj7 | oder | bVII7 | Imaj7 |:

Das ist die so genannte Backdoor-Progression. Man könnte sich Herleiten, dass Bb7 ein tritonussubstituiertes E7 ist, dass sich dann als Trugschluss nicht nach Am sondern Cmaj7 auflöst. Aber das ist nicht die Art wie man diese Verbindung meißt auffasst.

Erweitert man die Verbindung zu | Fm7 Bb7 | Cmaj7 | oder | IVm7 bVII7 | Imaj7|, dann sieht man, dass bVII7 stark mit der Mollsubdominante IVm7 verwand ist. Tendentiell kann man also die gesamte II-V7 als Mollsubdominante auffassen. Meist kommt die Verbindung auch genau so vor. zB im Parkerblues Takt 6: | Fmaj7 | Fm7 Bb7 | Cmaj7 | oder | IVmaj7 | IVm7 Bb7 | Cmaj7 |
 
Aber wie ist die Progression Fo7 F#o7 zu erklären? Der F#o7 ist doppeldominantisch (C als Ausgangstonart vorausgesetzt). Davor den Fo7 (dominantischer Dv ) , das ist doch merkwürdig.
 
Danke euch allen! Tut mir leid, dass meine Antwort etwas spät kommt, ich hatte letzte Woche nicht so viel Zeit und musste mir die Antworten von euch erst einmal aufmerksam durchlesen.

@ chaos-klaus: gute idee, das als Trugschluss zu betrachten, ich hatte zwar dran gedacht, den Bb7 als Tritonsubstitution des E7 zu sehen, aber der Begriff Trugschluss war mir in dem Moment entfallen:D
Noch besser klingt aber deine zweite Erklärung. Würde ich im Bebop dann an dieser Stelle unter Umständen auch die Skala wechseln? Gibts da besondere Vorschläge?

@ McCoy: Dein tip 2 zu der basslinie, die durch das f-b, e-a, eb-ab, d-g entsteht, war super! Ebenso dein Tip 3.
Der link zu den passing diminished chords bietet zwar eine gute zusammenfassung zu diminished chords im Allgemeinen, aber leider passt keines der dort angesprochenen Themen (wie schon von RMACD bemerkt) zu dem Problem dass der F7 aus Takt 5 zum Fo7 in Takt 6 wird. Erst darauf hin wird er chromatisch zum (in dem von dir geposteten link dann schon besprochenen) #ivo7. Von einem Passing Diminished Chord vor einem Passing Diminished Chord habe ich bisher noch nicht gehört.

Weiß jemand noch was zu diesen beiden Fragen?
 
Kreeacher,
Du gehst davon aus, dass Dein Notenbeispiel fehlerlos ist. Der Fo7 ist aber mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein Schreibfehler. Aus welcher Quelle stammt denn Deine Kopie?
Natürlich kann man einen #IVo7 durch einen chrom. Approach vorbereiten, aber das würde man nie und nimmer als halbtaktigen Change notieren - sondern Z.B. so:
Fo7 F#o7 Abo7 Ao7 Bo7 Co7 als Harmonisation einer Melodie. Die Approaches kämen dabei auf leichte Taktteile.

#IVo7 hat Dominantfunktion und steht anstelle von V7/V7/3rd. I7/5th als Folgeakkord verzögert die natürliche Auflösung nach V7/I.
 
Danke CUDO, der Gedanke ist mir noch nicht wirklich gekommen. Vielleicht wirklich nur ein Feher, das Beispiel ist aus dem Hal Leonard Buch "Bebop Jazz Piano" von John Valerio. Genau deshalb frage ich nach, ich hatte sowas noch nicht gesehen, und eben diminished Chords bisher nur a) in der Rolle von rootless V7b9 Akkorden oder b) als durchgangs Passing-Chord zwischen benachbarten Stufen.
Wenn dieses F7Fo7 F#o7 hier auch niemand kennt, gehe ich mal davon aus, dass es entweder ein Fehler, eine unglückliche Notation oder zumindest ein sehr wenig verbreitetes/unwichtiges Phänomen ist.


Bleibt noch die Frage, ob es vielleicht sowas wie eine besondere Empfehlung für Skalen/Tonmaterial über den 6. Takt gibt, wenn dort das Parker-mäßige Fm-Bb7 drin steht, das wie von chaos.klaus ja gut auf die Stufen der Molltonleiter zurück zuführen ist.
 
So wie Deine Beispielkopie notiert ist, sieht es nach einem Beispiel-Blues-Schema aus. Es ist also KEIN spezieller Song notiert. Der IVo7 im 6. Takt ist 100% ein Fehler.

Deine Klassifizierung der o7 Akkorde in "rootless V7b9 Akkorde" und "durchgangs Passing-Chords" ist nicht sehr sinnvoll.

Hier meine Definition:
o7 Akkorde lösen sich meistens chromatisch in ihren Zielakkord auf und werden deshalb als Approach-Akkorde bezeichnet. Stehen sie zudem als Bindeglied zwischen zwei Akkorden, haben sie die Funktion eines chromatischen Durchgangsakkordes.

Es gibt 3 verschiedene Arten von o7 Akkorden.
Sie unterscheiden sich in der Art ihrer Grundtonfortschreitung.
1.) Grundtonbewegung = Halbtonschritt aufwärts
2.) Grundtonbewegung = Halbtonschritt abwärts
3.) Grundtonbewegung = gleichbleibend



Zu Deiner 2. Frage:

gestalten sich die Takte 5, 6 und 7 im Blues folgendermaßen:
| IV7 | bVII7 | I7 |

spricht man von einer SDM (Subdominantmoll) Kadenz. Der Akkord bVII7 kommt aus der SDM Familie und ersetzt die Mollsubdominante.
Hier alle Akkorde der SDM Familie:
bIIMA7, IIm7(b5), IVm7, bVIMA7 und bVII7.

bVII7 ist somit eine Dominante mit Spezialfunktion. Der Akkord löst sich direkt nach I auf. In dieser Funktion nimmt er als CS (Chordscale) MM4, da die #11 diatonisch zur Tonart ist.
Schaltet man diesem bVII7 nun einen weiteren SDM Akkord vor, und zwar den IVm7, entsteht ein sich nicht quintweise auflösender IIm7 V7 Pattern.
Als CS kann hier Dorisch - MM4 benutzt werden. Oft aber auch Dorisch - Mixo.

bVII7 wird erst dann als subV7/VIm7 gehört wenn es der Harmonische Rhythmus hergibt. subV7/VIm7 nimmt als CS ebenso MM4.
 
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Hallo, ich verstehe das so: Ich weiß nicht genau, welche Intrumente Ihr spielt, aber es kommt m.E. immer etwas auf das Voicing und ggf. weggelassene Noten an.
Die Akkordfolge aus dem Jazz-Blues Beispiel (Takt 5,6,7) spiele ich auf der Gitarre so

Takt5-------Takt 6 ---Takt 7
F7..........|F07..F#07|C7

-----------|----------|-
-----------|----------|-
-8-8-8-8-|-7-7-8-8-|-9-
-7-7-7-7-|-6-6-7-7-|-8-
-8-8-8-8-|-8-8-9-9-|10 ........
-----------|----------|-

eb............d.....eb.....e
a.............ab....a......bb
f .............f..... gb....g

So ist das ein völlig üblicher chromatisch aufsteigender Lauf, den man auch als F7, Bb7, B7, C7 interpretieren kann. aber auch als F7, F07,F#07, C7, wobei in den 07 Akkorden jeweils die b5 unterdrückt ist.
 
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