Kontrapunkt-Konzepte nach 1900?

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Veröffentlichungen zu den verschiedenen Kontrapunkt-Konzepten vor 1900 gibt es viele, aber wisst Ihr von jemandem, der schon einmal versucht hat, Regeln polyphoner Stimmführung für "unsere Zeit" oder für Jazz oder für Popularmusik zu formulieren?
 
Eigenschaft
 
Im Jazz und im Pop gibt es eher selten komponierte Polyphonie. Und ich glaube die ist, wenn, dann selbst gestrickt .
In Filmmusiken kommt es drauf an. Entweder die Komponisten machen es auch nach eigenen Vorstellungen. Oder Sie verwenden eben den alten Kontrapunkt.

Im Big Band Jazz kommt Polyphonie in komponierter Form natürlich manchmal vor. Ansonsten hast du im Jazz ständig Polyphonie. Aber eben nicht nach Regeln. Die Bassisten spielen ja immer eigenständige Linien während darüber improvisiert wird, gleichzeitig spielen die Pianisten Harmonien nach eigenem Gutdünken. was alles zusammenhält, ist das harmonieschema.
Aber das ist ja in jeder Polyphonie der Grundgedanke.
 
Veröffentlichungen zu den verschiedenen Kontrapunkt-Konzepten vor 1900 gibt es viele, aber wisst Ihr von jemandem, der schon einmal versucht hat, Regeln polyphoner Stimmführung für "unsere Zeit" oder für Jazz oder für Popularmusik zu formulieren?
In den 90er Jahren hat Bill Dobbins mit Jazz Arranging and Composing - A Linear Approach ein Buch veröffentlicht, das Aspekte von Polyphonie und Kontrapunkt berücksichtigt.
https://www.alfred.com/jazz-arranging-composing/p/01-ADV11305/

Aus der Popmusik sind mir vor allem Gentle Giant bekannt, bei denen ich in dunkler Erinnerung aus den 70ern Manches so deuten würde.


Gruß Claus
 
Hi. Ich habe aus lauter Spaß an der Freud´ mal selber zum Bleistift gegriffen und das Narnia (The Battle) Thema als Ausgangspunkt genommen.

Es ist ein 3 bis 4-stimmiger Satz. Die oberste Stimme spielt die Melodie. Eine der 3 anderen spielt eine eigenständige zweite (Gegen-)Melodie, und die übrige(n) Stimme(n) spielt die zum Akkord fehlenden Töne.

Ich habe mal verschiedene Arten von Polyphonie und Parallelismen ausprobiert. Dabei aber im Endeffekt immer die Ohren entscheiden lassen und keine bestimmtes Konzept verfolgt.

Im ersten Teil (Takt 1-4) verwendet die mittlere Stimme zunächst das Motiv des Themas aus Takt 2 (hier b genannt) als Gegenmelodie und dann das Motiv aus Takt 1 des Themas (hier a genannt).

In Takt 3 uns 4 gibt es keine Gegenstimme dafür einen wunderschönen Parallelismus mit lauter Quintparallen.

In Takt 7 bis 9 übernimmt der Bass das b-Motiv (in Dezimen geführt) und die 2.Stimme bewegt sich rhytmisch zusammen mit der 1. Stimme.
Das bleibt so auch in Takt 9 und 10, aber hier bewegt sich der Bass freier.

Vielleicht fällt dir auf, dass die meisten Bewegungen sich logisch innerhalb der Akkorde bewegen (ich habe die Originalakkorde als Akkordsymbole oben drüber geschrieben).
Es gibt Wechselnoten oder Sprünge von einem Akkordton zum nächsten.
Die Basslinie in 7 und 8 nutzt die in Terzen abwärtsgehenden Akkorde.

Nur die 2.Stimme in 7 und 9 ist etwas freier und steuert manchmal ungewöhnlichere Töne an .
Hier habe ich einfach meine Ohren die Fahrtrichtung vorgeben lassen.

https://soundcloud.com/andreas-meyer-30/narnia-the-battle-polyphone-bearbeitung-andreas-meyer

Im Anhang noch die Note
 

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Hallo,

falls Claus mit ...
...
Aus der Popmusik sind mir vor allem Gentle Giant bekannt, bei denen ich in dunkler Erinnerung aus den 70ern Manches so deuten würde.
...

... richtig lag, dann haben King Crimson das auch angewendet, z. B.

Gruß Ulrich
 
Der Witz an der Sache ist ja, dass es immer weniger Sinn macht, Regeln für den Kontrapunkt aufzustellen, je offener man das Konzept der Polyphonie definiert bzw. betrachtet.
Parallel laufende eigenständige Linien, Nebenthemen, Gegen-Melodien usw. sind in fast jedem Genre zu finden und daher recht allgemein. Sie folgen aber eher selten den Regeln des strengen "klassischen" Kontrapunkts wie sie z.B. bei Bach zu finden sind - und müssen es ja auch nicht.
Das Schöne an der Musik ist ja auch und gerade ihre Vielfältigkeit und es sind die individuellen Ausprägungen der verschiedenen Komponisten und Interpreten.

Der klassische Kontrapunkt ist in seiner konsequenten Strenge nun mal auch recht kompliziert wenn man das musikalische Konzept einigermaßen verfolgen oder gar verstehen will und dürfte viele neuzeitliche Hörer schlicht überfordern (wobei das auch schon zu Bachs Zeiten nicht viel anders war).

Andererseits kann man - ich jedenfalls - solche Musik klanglich auch genießen, wenn man die Details gar nicht wirklich versteht. Für mich tun sich dann allerdings echte Wunderwerke auf, wenn ich mich tiefer darin hinein vertiefe.

Als Beispiel möchte ich hier einen Link dazu einfügen, der kürzlich in einem anderen Thread zu einer ähnlichen Frage zitiert wurde:
 
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John Lewis vom Modern Jazz Quartet hat im Jazz Fugen komponiert, darauf hat mich ein Freund hingewiesen. Bestimmt haben sich etliche Jazzmusiker ähnlich inspirieren lassen oder sind sogar Lewis Beispiel gefolgt - ich werde als nächstes schauen, was Bill Dobbins dazu schreibt, Claus - danke!

Danke sehr auch für Dein Arrangement, selbender Sing - mich interessierte an dieser Stelle eine Diskussion über die Kontrapunktregeln, die Du angewendet und diejenigen, die Du aus guten Gründen fallen gelassen hast. Z.B. die Regel, das Quintintervall stünde der Vertauschung der Stimmen entgegen, weil die Umkehrung zum dissonanten Quartintervall führe. Das besagt aber, dass ein Quintbass merklich mehr Auflösungstendenz erzeugt als ein Terzbass.
 
Okay, dann versuche ich das mal.

Zuallererst: mit den barocken Quint- und Oktavparallelen habe ich mich überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Ich habe auch nicht an andere Regeln GEDACHT.
Allerdings ergeben sich aus bestimmten Notwendigkeiten schon so etwas wie Faustregeln:

1) Die Stimmen müssen sowohl horizontal wie auch vertikal funktionieren. Soll heißen: man muss einerseits die Akkorde erkennen können, aber die Stimmen sollen auch gute Linien haben (also sanglich sein).
2) Dazu kann man noch den Ehrgeiz entwickeln, die am Anfang verwendeten Motive einigermaßen beizubehalten (also sie wenigstens nicht ständig oder radikal zu verändern)

Wie man aber bereits in Takt 1 sehen kann, ist mir das mit der Gegenstimme nicht gelungen.


Wie bin ich vorgegangen?
Ich habe zunächst überlegt, dass es schöne wäre, die Gegenstimme aus einem Motiv des Themas zu übernehmen. Da bot sich das Motiv aus Takt 2 an.

Dann habe ich ein bisschen experimentiert, in welcher Lage das Motiv in der 2. Stimme auftauchen soll.
Grundton wäre blöd gewesen, da die Hauptstimme bereits im Grundton anfängt. Quinte wäre evtl gegangen. Vorteil: man hätte dann das Motiv in der 2. Takthälfte auf dem Ton b beginnen lassen können und hätte so zweimal das Originalmotiv ohne Veränderung gehabt. (Also mit einem Terzsprung nach oben am Ende)
Nachteil: die 3 Stimme, die ja hier eine Bassfunktion übernimmt, hätte (um den Akkord vollständig zu machen) auf der Terz beginnen müssen. Das fand ich so direkt am Anfang des Stückes nicht gut.
Also habe ich das Motiv auf der Terz beginnen lassen. Nachteil hier: man muss in der 2. Takthälfte das Motiv leicht verändern (Quarte rauf statt Terz rauf). Da das aber gleichzeitig eine bessere Linie zum nächsten Ton (c) im 2. Takt ergibt, ist das sogar gut. Aber natürlich hier nur Zufall.

Takt 2 und 3 ist praktisch dasselbe. Um etwas Abwechslung reinzubringen, habe ich den Bass diesmal auf der Quinte beginnen lassen. Er springt auf Zählzeit 2 erst auf den Grundton.

Es ist also viel probieren und manchmal natürlich auch Ansätze wieder verwerfen.

Man muss aber auch dazu sagen, dass die beiden Motive sehr dankbar sind. Keine Vorhalte, keine großen Sprünge. So sind sie leicht zu handhaben, wenn man sie in einer 2. Stimme verwenden will.

In Takt 7 und 8 ist mir durch Zufall diese Dezimenfigur in die Finger geraten. Da Gm und Eb in einem Terzenabstand liegen, ließ sich die Figur wiederholen, wenn man sie abwärts führt.
Es sollte wieder das B-Motiv sein, aber ein Terzsprung am Ende hätte hier keinen Sinn gemacht, also habe ich ihn durch einen Sekundschritt ersetzt und das Motiv gespiegelt, sodaß es eine Abwärtsbewegung ergibt.

Dann wollte ich das aber weiterführen und habe die Akkord in Takt 8 (Bb) ignoriert und ihn für die Linke Hand wie einen Cm behandelt. Die in der rechten Hand gespielte Melodie in Sexten verwandelt sich dadurch in Vorhalte, die aufgelöst werden, wenn die Bassbewegung schon wieder in der Wechselnote ist. Herrliche, aber durch Stimmführung logische Dissonanzen entstehen durch ein Zufallsprodukt.

Der 16telBass am Ende benutzt auch wieder die Figur vom B-Motiv, auch hier ohne Terzsprung und diesmal aufwärts gerichtet.
Da sie in 16teln geht, heißt es mehr Zeit zu überbrücken, also musste ich noch Figuren dazubasteln.
Auch hier würde ich sagen, dass die schlüssige Linienführung einen darüber hinweghören lässt, dass die neuen Motive nicht aus den Originalmotiven stammen.

Ich weiß nicht, ob man das als Regeln auffassen kann(muss), aber so denke ich beim Arrangieren oder komponieren.
Und natürlich: wenn es gut klingt, ist es gut und wenn nicht: Finger weg!
 
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Wäre es nicht eine schöne Idee, einen thread auf zumachen, wo ein paar Themen vorgegeben sind, und dann schreibt jeder, der Bock hat, dazu einen polyphonen Satz?
Vielleicht nur 8 oder 12 Takte. Einfache Melodien mit Akkordsymbolen obendrüber.

Was haltet ihr davon?
 
Schöne Idee, bin ich dabei. Ich schlage vor: 12-16 Takte, damit man im Zweifel vollständig durchführen kann.

Frohes neues Jahr allen Thread-Followern!

Heiner
 
Da bin ich dabei :)

Ich hatte schonmal hier was ähnliches vorgeschlagen das stieß aber auf keine Resonanz.

Also wer hier eigene Kontrapunktische Sätze präsentieren will. oder Themen zum geimeinsamen ausprobieren, oder gar ganze Fugen und Kanons, immer her damit !
 
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Da bin ich dabei :)

Ich hatte schonmal hier was ähnliches vorgeschlagen das stieß aber auf keine Resonanz.

Also wer hier eigene Kontrapunktische Sätze präsentieren will. oder Themen zum geimeinsamen ausprobieren, oder gar ganze Fugen und Kanons, immer her damit !


Ich würde einen neuen thread aufmachen. Damit es auch offensichtlich ist, was dort passiert. (Allein schon wegen der Überschrift)
Werde es nacher mal angehen
 
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Alles klar !
 
Der neue thread:

Kontrapunkt-workshop

ist online
 

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