Molldominante: Widerspruch in sich oder Wirkung des Quintfalls? Hörgewohnheiten?

  • Ersteller klaus111
  • Erstellt am
Gerade als Musik-"Wissenschaftler" kann man nicht einfach das Ergebnis eines "Experiments" wegdiskutieren.

Dann beschreibe einmal Dein "Experiment". Vielleicht hast Du nur Dich und Deine Kumpels mit ähnlicher musikalischer Prägung gefragt? Schon wenn Du innerhalb des deutschsprachigen Kulturkreises mit anderen Personen zu tun hättest, würde die Frage möglicherweise ganz anders beantwortet werden, z. B. in diesem Sinne:
Modale Kadenz/Nichtfunktionelle Kadenz I-IV-v-I
Die modale Kadenz ist hier als Konstrukt eingefügt, denn in der durmolltonalen Musik ist eine Molldominante Widerspruch in sich, da ein Molldreiklang keine D-Funktion (deren Wesen in der Leittonspannung der gr.D3 liegt) hat.
Quelle: reinhard amon, Lexikon der Harmonielehre, S. 135

Wie würde Dein "Experiment" erst in anderen Kulturen ausfallen? So einfach ist die Sache offenbar nicht.

Zunächst zum Begriff "Molldominante":

Der Begründer der Funktionstheorie Hugo Riemann (1849-1919) hatte keinerlei Berührungsängste mit diesem Begriff und widmet ihm in seinem "Handbuch der Harmonie- und Modulationslehre (Praktische Anleitung zum mehrstimmigen Tonsatz) ein Kapitel. (Auf S. 149 überschreibt er das Kapitel 28 mit "Umdeutungen der Molldominante")

Das immer noch lesenswerte Buch kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

Wilhelm Maler (1902-1976) verwendet den Begriff ebenfalls in seinem Buch "Beitrag zur durmolltonalen Harmonielehre".

So auch Thomas Krämer (*1952) in: Lehrbuch der harmonischen Analyse (Breitkopf & Härtel):

d = Molldominante; Molldreiklang auf der V. Stufe in Moll (Dreiklang e-g-h in a-moll);...

Er gibt einen ersten Hinweis, wo der Begriff u.a. hingehört:
... auch in Dur denkbar (Dreiklang g-b-d in C-dur - "Erweiterte Tonalität", vgl. Kapitel 3) hat nur als d3 (Molldominantsextakkord) praktische Bedeutung (Regelkadenz t - d3 - s3 - D ...)

Interessant fand ich dort ein Notenbeispiel mit Molldominante von Bach:

Am-H-Em-Fm7-G7-C
(von mir auf Akkorde verkürzt)


Matthäuspassion, Choral Nr.62 "Wenn ich einmal soll scheiden"
(Ausschnitt: "Wenn mir am allerbängsten")

Zwischenfazit: Der Begriff "Molldominante" kann ohne Berührungsängste gebraucht werden und ist nicht etwa wegen Widersinns verpöhnt.

Die Molldominante wird in der Romantik häufiger eingesetzt (Schubert, Brahms...). Von Beginn der dur-moll-tonalen Epoche an hatte man sowieso immer wieder die Neigung, die Tongeschlechter nicht strikt voneinander zu trennen.

Um 1900 verließ man zunehmend die Dur-Moll-Tonalität und gestaltete die Musik auch modal. Leittonbeziehungen und Quintgänge verloren an Bedeutung, Sekund- und Terzgänge gewannen an Bedeutung. Auch die Molldominante fand häufiger Verwendung, später auch im Jazz und der populären Musik (vgl. Amon, S. 169 und Salmen/Schneider: Der musikalische Satz, S. 195f.).

Und ich meine, DASS sie funktioniert hängt am ehesten mit dem Quintfall des Grundtons zusammen, den man eben in unseren Breiten mit einer (Dur-)Dominante assoziiert.

In diese Richtung gehen meine Vermutungen ebenfalls.

Ich bin mir nicht so sicher, ob die oben genannte Halbtonbewegung von B nach C (in diesem Beispiel) wirklich die Funktion einer Leitton-Bewegung im herkömmlichen Sinn einnehmen kann ...

Ich denke "nein" und meine sogar gelesen zu haben, daß die Akkorde iv und v ihren Stellenwert vertauschen, also praktisch die "äolische Kadenz" (i-v-iv-i) häufiger verwendet wird als die "neomodale Kadenz" (i-iv-v-i).
Amon gibt dafür als Ursache an, daß die Mollsubdominante unter diesem Bedingungen eine größere Bedeutung erlangt als die Molldominante, da erstere einen Gleitton (in C: as-g) hat und die Molldominante keinen Leitton zur Tonika.

Abschließend ein weiteres Liedbeispiel mit Molldominante:
Scarborough Fair

Am Em Am
Am D Am
...

oder doch nicht?
Am G Am
Am D Am
...

Man kann es, wie die beiden o.g. Lieder ("Hejo, spann den Wagen an" und "Haus am See") statt mit der v auch mit der Subtonika VII begleiten.

Ein Lied, das auf I-V-I-V... Pendelharmonik basiert ("Ein Vogel wollte Hochzeit halten..), ist viel eindeutiger festgelegt (Leitton).

Die bisherigen drei Liedbeispiele mit Molldominante waren alle in modalen Tonarten (äolisch, dorisch, mixolydisch).

Mehr (Dur-)Hörgewohnheit beim Quintfall, als man annehmen sollte?

Den Widerspruch zwischen der Aussage von Lordabstellhaken und meiner sehe ich als aufgelöst an. Es gibt Molldominanten und nur in der engen durmolltonalen Musik wäre eine Molldominante ein Widerspruch in sich. Tatsächlich habe ich dort bisher auch noch kein Notenbeispiel gefunden, wo sich eine v nach I oder i auflöst.

Dort aber, wo sich die durmolltonale Musik genügend erweitert, bis hin zur modal-harmonischen Musik, sind Molldominanten kein Widerspruch in sich, doch recht schwache Dominanten, die nur noch auf unseren (Dur-)Hörgewohnheiten und dem Quintfall beruhen.

Viele Grüße

Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben