Schriftgrößen die der Vergangenheit angehören :)

Fastel
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Hi,
ich habe mal eine richtig nerdige Frage und Nein: es gibt keinen besonderen Anlass, Problem, Kontext, der erklärt warum ich das nun wissen möchte. Aber wenn jemand eine Antwort hat, dann vielleicht hier das Forum.... oder andere Musiker ;)

Haben die Orchester des (sagen wir mal) Barock oder generell der Vergangenheit andere Schriftgrößen in ihren Noten gehabt als heute? Die Blätter waren ja nicht genormt und ich frage mich, ob man damals schon das perfekte Maß für die Schriftgröße gefunden hat? Man sitzt ja dann doch in einiger Entfernung zum Pult. Vielleicht sind die Bläser etwas näher dran. Gibt es eigentlich heute einen absoluten Standard oder gibt es da noch Unterschiede in professionellen Publikationen?

Ja, das sind Fragen die mich nachts nicht schlafen lassen.
 
Eigenschaft
 
Schriftgröße in der Musiknotation wurde als Rastral bezeichnet, siehe z.B. http://www.tabazar.de/musikon/index.php?page=1102 - zumindest wenn wir vom Notenstich sprechen. Du sprichst die Epoche Barock an; da ist mir keine Standardisierung bekannt. In Herbert Chlapik: "Die Praxis des Notengraphikers" ist auch erst ab der Praxis der Wiener Klassik die Rede.

Die Rastralgrößen waren bis zur Einführung des Computernotensatzes, und teilweise heute noch, ein Standard. Verschiedene Verlage machen heutzutage verschiedene Vorgaben für die Größe von Notensystemen, die UE z.B. hier auf Seite 4: https://issuu.com/uesales/docs/produktdesignstandards_de . Die Major Orchestra's Librarian Association erlaubt einen Spielraum von 7,0 - 8,5 mm Notensystemhöhe in Einzelstimmen (S.5): https://mola-inc.s3.eu-west-1.amazonaws.com/files/mola3/MOLA-Guidelines-for-Music-Preparation.pdf
 
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Die Rastralgrößen waren bis zur Einführung des Computernotensatzes, und teilweise heute noch, ein Standard.

... wobei es freilich einigen Wildwuchs bei diesem Standard gab.
Man hatte zwar eine Numerierung 0, 1, 2, 3, ..., (wobei 0 die größte Rastralgröße darstellt), aber in der Praxis gab es leicht unterschiedliche Größen zu diesen abstrakten Zahlen.
Das lag zum einen einerseits an unterschiedlichen Maßsystemen (unterschiedliche Druckerpunkte).
Heute in mm angegeben, basierten die historischen Rastralhöhen wohl auf Druckerpunkten, was auch die krummen mm-Werte erklärt.
Beispielsweise war bis vor Einzug des amerikanischen DTP in Deutschland noch der Didot-Punkt (neben anderen) gebräuchlich, der etwas größer ausfällt als ein Postscript-Punkt.
Eine alte Linotype-10-Punkt-Schrift fällt also größer aus als eine amerikanische 10-Punkt-Schrift.


Orchesternoten
Da möchte heute der DÖV (Deutsch-österreichische Deutsche Orchester-Verband) gerne 8,5 mm Rastralhöhe (für Bläser reichen 7,5 mm).
Für handgeschriebene Noten sogar 10 mm.

Das passt ja auch in etwa zu dem, was @HaraldS schreibt.


Big-Band-Noten
Die WDR-Big-Band möchte von ihren "Zulieferern" gerne eine Rastralhöhe von 8,5 mm (obwohl es Bläser sind),


Zeitgenössische Barock-Noten
Ehrlich gesagt - keine Ahnung, ich fand aber die Frage interessant.
Es erfüllt keine wissenschaftlichen Ansprüche, aber ich habe einfach mal wahllos von IMSLP nach alten Orchester-Einzelstimmen geschaut:
BWV1079: Musikalisches Opfer, 1. Violine, Erstausgabe 1747
Faksimile-Nachdruck Edition Peters, Leipzig, 1977.
Farbscan mit 300 dpi, Ausschnitt:

1621283185838.png


Wenn man dann an ein paar Stellen die Rastralhöhe in Pixeln misst (ca. 118 Pixel hoch), kommt man bei der angegebenen Scan-Auflösung von 300 Pixeln pro Zoll auf ziemlich genau 10 mm.

Viele Grüße
Torsten
 
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Hi, inzwischen überrascht es mich nicht mehr, hier auch auf solche Fragen Antworten zu finden. Also Danke dafür. :)

Wenn ich Noten veröffentlichen möchte, muss ich berücksichtigen, ob auf einem Pad gelesen wird und immer wieder Platz gegen Lesbarkeit balancieren.
Dabei habe ich mich gefragt, ob jeder Musiker (Streicher/Bläser) gleich weit entfernt vom Notenpult sitzt/steht. Kontrabässe brauchen doch schon mehr Platz mit ihrem Geruder. Querflöte sicherlich auch anders als Posaune. Und dann denke ich doch wieder: nee die sitzen alle gleich weit weg. Oder setzt man sich näher, wenn die Noten am unteren Ende der "hinnehmbaren" Rastralgröße ist... und ich habe mich gefragt, ob man sich diese Frage vor 200 Jahren schon gestellt hat und dementsprechende Standards eingeführt wurden.

Und ihr habt da ja Antworten gegeben. (y)
 
Wenn ich Noten veröffentlichen möchte, muss ich berücksichtigen, ob auf einem Pad gelesen wird und immer wieder Platz gegen Lesbarkeit balancieren.

Hallo Fastel,

neben der Rastralgröße spielt da natürlich auch das Blattformat eine entscheidende Rolle.

Ich stehe gerade auch vor dem "iPad-Problem" bei der Notendigitalisierung:
Abgesehen vom Format habe ich mich entschieden, "vernünftige" Seitenränder einzuhalten und Tablett-Apps wie forScore für iOS oder MobileSheets für Android oder iOS können ja dank Autocrop-Funktion die Ränder automatisch so beschneiden, dass der Bildschirm optimal ausgenutzt werden kann.

Abgesehen davon gibt es noch das Thema "Seitenformat".


Seitenformat

Die Bläser sitzen oft recht eng beisammen und natürlich ist, wie Du schon schreibst, eine Posaune ausladender als eine Querflöte.

Es soll eine gewisse Blattgröße dennoch nicht überschritten werden, weil sonst das Umblättern erschwert wird. Insbesondere ist Querformat fürs Orchester ungeeignet, besonders, wenn sich zwei Spieler ein Pult teilen. Die sollen sich natürlich beim Umblättern möglichst wenig in die Quere kommen.

Üblich sind für Orchester-Stimmen 210 x 330 mm (Folio) bzw. 240 x 325 mm (Bach-Format).
DIN A4 gibt es praktisch nicht, denn diese bürokratische Missgeburt ist hässlich und deshalb unprofessionell.

Viele Grüße
Torsten
 
DIA A4 gibt es leider doch; eben auch als Orchesterstimmen. Breitkopf & Härtels liefert Orchesterstimmen nur noch im verkleinerten DIA A4 Format aus, also der originale alte Druck aber eben etwas kleiner. Ricordi: neues Orchestermaterial Parsifal von Richard Wagner. Die haben den alten Notenstich einfach nur kopiert, mit allen Druckfehlern und Ungereimtheiten. Als Orchestermusiker möchte man den Verlagen ihr Material manchmal um die Ohren hauen. Besonders schlimm sind Werke, die noch nicht frei und demnach nur als Leihmaterial zu bekommen sind. Manche, auch renommierte Verlage, verlangen ein Haufen Geld dafür und geben sich keine Mühe halbwegs anständige Noten zur Verfügung zu stellen. Besonders schlimm war das einmal bei der Oper „Lulu“ von Alban Berg. Da war „heiteres Notenraten“ angesagt. Ein Kollege hat die Kontrabassstimme der gesamten Oper am Computer neu geschrieben.
Querformat hatten wir auch schon. Das gesamte Ballett Dornröschen von Tschaikowsky im Format einer Blockflötenschule, selbstverständlich ameisenklein geschrieben, damit man sich nicht zu Tode blättert. Da gibts aber inzwischen neue Noten.

So sehen Orchesternoten oft aus. Das ist noch ein relativ gutes Exemplar.

(Martinû Violinkonzert Nr. 2) Orchesterstimme Tutti Violine II

image.jpg
 
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Hallo Daniela,

vielen Dank für Deine Einblicke in die Orchester-Realität.
Und gerade weil es so ist, kann man nicht genug Wert darauf legen, es besser zu machen.
Daher basieren Haralds und meine Aussagen darauf, wie es sein sollte, nicht, wie es leider oft ist.


DIA A4 gibt es leider doch; eben auch als Orchesterstimmen. Breitkopf & Härtels liefert Orchesterstimmen nur noch im verkleinerten DIA A4 Format aus, also der originale alte Druck aber eben etwas kleiner.

Das ist wohl leider traurige Realität - aber von Breitkopf & Härtel hätte ich das nicht gedacht...
Und im Privatbereich ist man ohnehin auf die Büro-Formate festgenagelt.
Ich wollte dieser Unsitte nur nicht weiter Vorschub leisten, deshalb mein Plädoyer gegen DIN-Formate.


Manche, auch renommierte Verlage, verlangen ein Haufen Geld dafür und geben sich keine Mühe halbwegs anständige Noten zur Verfügung zu stellen.

Ja, das bringt es auf den Punkt und ist extrem ärgerlich.
Und man darf strenggenommen nicht einmal zur Selbsthilfe greifen (wie der genannte Kontrabassist), weil das streng genommen eine unerlaubte Abschrift/Bearbeitung/was-auch-immer ist.

Ein Kollege hat die Kontrabassstimme der gesamten Oper am Computer neu geschrieben.

... und sich damit theoretisch auch noch strafbar gemacht. In diesen Punkten ist die Rechtsprechung wirklich menschen- und praxisfeindlich und so was von hinter dem Mond, das kann man gar nicht anders sagen. Zum Glück gilt: "wo kein Kläger, da kein Richter."

Viele Grüße
Torsten
 
... und sich damit theoretisch auch noch strafbar gemacht.

Nur, wenn die Abschrift anschließend für die ganze Truppe kopiert wurde!
Zitat aus der NMZ (Stand 2011):
"Zulässig ist nur das erneute Abschreiben von Noten, wobei es keine Rolle spielt, ob das Abschreiben handschriftlich, mit PC oder Schreibmaschine erfolgt. Aber: Auch das Abgeschriebene darf wiederum nur abgeschrieben, und nicht kopiert werden!"
 
Es gibt ja kaum etwas, was in der Juristerei "unstrittig" ist.
Deshalb kann man sich nur auf einen einzigen ewig gültigen Grundsatz wirklich verlassen: "Vor Gericht und auf hoher See ist man allein in Gottes Hand." ;)


"Zulässig ist nur das erneute Abschreiben von Noten, wobei es keine Rolle spielt, ob das Abschreiben handschriftlich, mit PC oder Schreibmaschine erfolgt. Aber: Auch das Abgeschriebene darf wiederum nur abgeschrieben, und nicht kopiert werden!"

Juristen sind in ihrer Naivität ja manchmal goldig.
Ich möchte mal jemanden erleben, der Noten mit der Schreibmaschine abschreibt. :rofl:

Und was nützt eine solche Aussage schon? --- Nichts.

Ich gehe davon aus, dass in einem Orchester 8 Kontrabässe besetzt sind und dass der Kollege so nett ist, die mühsam abgeschriebenen Noten an seine 7 Kollegen weiterzugeben.
Bumms - schon schnappt die juristische Falle gnadenlos zu! :evil:

Wenn man noch davon ausgeht, dass die Abschrift höchstwahrscheinlich "mit PC" erfolgt kommt die nächste rechtliche Hürde: Inwiefern ist beliebig oft wiederholbarer Laser-Ausdruck von einer Kopie zu unterscheiden?
Und was will uns diese typisch juristische Geschwurbel sagen?
Wem hilft eine Abschrift, wenn es beim Abschreiben bleibt, die Abschrift aber nicht ausgedruckt werden darf? Oder darf sie? Oder nicht? Oder nur mit blauer Tinte? Wer weiß das schon bzw. wer kann/will sich da festlegen?

Viele Grüße
Torsten
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich möchte mal jemanden erleben, der Noten mit der Schreibmaschine abschreibt.

Bitteschön: Olympia Musicwriter oder Melotyp (1936) ...

Inwiefern ist beliebig oft wiederholbarer Laser-Ausdruck von einer Kopie zu unterscheiden?

Das habe ich mich allerdings auch gefragt. Wahrscheinlich sind "beliebig oft" + "wiederholbar" der Knackpunkt. Also einmal ausdrucken ist OK, danach muss der PC vernichtet werden :D ....
 
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Das war ja klar, dass so etwas kommen wird. :D


Das habe ich mich allerdings auch gefragt. Wahrscheinlich sind "beliebig oft" + "wiederholbar" der Knackpunkt. Also einmal ausdrucken ist OK, danach muss der PC vernichtet werden :D ....

Die modernen "All-in-One"-Geräte, sei es für den Heimbedarf oder als professionelle Büromaschinen, machen ja technisch keinen Unterschied zwischen Drucken und Kopieren, wobei Kopieren heute auch nur Scannen + Drucken ist.
Und ich bin zum selben Schluss gekommen wie Du: Abschreiben, einmal ausdrucken und die Datei nicht speichern (das ist vielleicht günstiger als den PC zu vernichten. Außerdem müsste die Vernichtung unbedingt unter notarieller Aufsicht erfolgen!).
Besonders sicher ist die Methode, wenn man den Ausdruck auswendiglernt und dann zerkaut und verschluckt. :igitt:

Und wenn der Kontrabassist in seiner Abschrift einen Fehler korrigiert, gilt das wahrscheinlich als Bearbeitung und alles wird noch viel komplizierter. :eek:

Mann, mann, mann, das darf doch alles nicht wahr sein!
Und es bleibt zu befürchten, dass die Aussage "die Verhandlungen sind kompliziert und haben noch keine Verbesserung gebracht." nach bald 10 Jahren immer noch gilt. 🙁

Viele Grüße
Torsten
 
Selbstverständlich hat man den Verlag darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Stimme abgeschrieben wurde. Man hat denen auch ein Exemplar zur Ansicht zugeschickt. Wir haben unsererseits dem Verlag gedroht, bei Nichtgenehmigung die Premiere platzen zu lassen und dann auf Schadenersatz zu klagen. Jedenfalls gab es für die letzte Neuproduktion dieser Oper neue Noten in hervorragendem Zustand.

Ich habe einmal mit fettrotem Farbstift auf das Deckblatt meiner Stimme geschrieben: „Dieses Material ist eine Zumutung für die Musiker und eine Schande für den Verlag“. Ich habe mit Namen, Telefonnummer und Email unterschrieben und auf eine Schadensersatzforderung gewartet. Es ist keine Reaktion gekommen.
 
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Jedenfalls gab es für die letzte Neuproduktion dieser Oper neue Noten in hervorragendem Zustand.

Na, das ist doch erfreulich (im Ausgang!) (y) :)

Nur schade, dass man immer erst mit dem Rechtsanwalt drohen muss.
Um Anwälte kommt man also - so oder so - offensichtlich nicht herum, was ja der eigentliche Sinn des ganzen "Systems" ist.

Viele Grüße
Torsten
 

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