Keiner kann sagen, was er fühlt, was aufgesetzt ist und was nicht. Mag sein, das was geschauspielert ist, ihm aber Verziehrungen vorzuwerfen ist geradezu lächerlich. Gerade die individuelle Interpretation ist es, was einen Pianisten ausmacht. Dass er nicht swingt ist schon eher zutreffend und typisch Klassik Pianist. Gulda im Birdland ist auch eher peinlich.
Ich knüpfe mit meinen Gedanken mal hier an.
Wo ist die Grenze zwischen Schauspielerei und dem lebendigen Ausdruck eines Musikers? Gibt es die? Und wenn ja, erlebt die nicht jeder ganz individuell? Persönliches Erleben und Empfinden sind aber keine sachlichen Kritierien. Deshalb muss man akzeptieren, dass es andere ganz anders sehen und fühlen.
Der Begriff "peinlich" ist für mich sehr emotional besetzt. Woher kommt es, dass man ein Geschehen auf der Bühne als peinlich empfindet? Kann man so etwas sachlich begründen?
Wenn ein Musiker schauspielern würde, was wäre daran negativ? Die Tatsache an sich? Oder eher die Qualität, mit der es ihm gelingt oder auch nicht?
Ich denke, mit diesem Vorwurf muss man vorsichtig umgehen. Auf der einen Seite ist Schauspiel eine Kunst, andererseits wird dieser Begriff vorwurfsvoll im Sinne von "Lügner" benutzt.
Von Bühnendarstellern - Schauspieler (!), Tänzer, Opernsänger - erwartet man, dass sie in eine Rolle schlüpfen, sie gut ausfüllen und ein gutes Schauspiel "abliefern". Warum soll das ein Musiker nicht dürfen? Warum soll er seine emotionale Interpretation der Musik verstecken? Warum darf er nicht mit seinem Instrument in eine Rolle schlüpfen und darstellen?
In Schauspiel und Tanz werden Alltagsbewegungen studiert, also bewußt gemacht und mittels unterschiedlicher Techniken im Ausdruck gesteigert. Körpersprache auf diese Weise zu nutzen, um Empfindungen für den Betrachter (stärker) sichtbar zu machen, ist eine Kunst. Eine Kunst, die lange nicht jeder mag. Interessant ist, dass in dem Moment, in dem ich eine Geste ausdrucksstark überzeichne, diese auch stärker empfinde. Das muß man ausprobiert haben, um es zu verstehen. Im Unterricht erlebt man hin und wieder Schüler, denen dieses Überzeichnen einfach nicht gelingen will, weil ihnen die dabei entstehende Intensivierung der Gefühle unangenehm ist, sie das, was sie tun als peinlich empfinden. Es bereitet ihnen Pein (!) weil es gegen ihre Natur ist. Usw. Solche Menschen fühlen sich unter Umständen auch von den ausdrucksstarken Gesten anderer peinlich berührt und lehnen sie deswegen ab.
Ich finde es toll, wenn ein Musiker sein Instrument dermaßen beherrscht, dass er gleichzeitig damit tanzen kann, die Musik zu seiner Stimme wird und diese Stimme mit dem tänzerischen Ausdruck seines Körpers verschmilzt. Tanzen ist hier im Sinne von musikalisierter, ausdrucksstarker Bewegung gemeint, die bis zu extrem pantomimischer Überzeichnung gehen darf. Es gibt moderne Blockflötenensembles, die das können.
Hier noch einmal Lang Lang und die Rhapsody in Blue. Dieses Mal mit zwei Pianisten. Leider gekürzt.
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@Lisa2
... Ich hatte bei dem Video eher den Eindruck Lang Lang ist Pianist und Dirigent zugleich. Seine Gestik und Mimik war nicht auf die Komposition als solche sondern eher auf seine Person ausgerichtet : mehr als voll von sich überzeugt.
Dagegen wirkte der Dirigent schon manchmal wirklich hilflos vor soviel Ehrerbietung vor dem Star des Abends. Ein Vergleich mit zuvor übertragenem und gespieltem ohne Lang Lang macht dieses sehr deutlich.
Ich gehe davon aus, dass Du die Stuttgarter Aufzeichnung meinst und stufe diese Meinung als persönliche Empfindung ein.
Auf mich wirkte der Dirigent durchaus nicht hilflos. Im Gegenteil! Ich hatte eher das Gefühl, die beiden sind sich einig, sie hören und sehen einander gut zu und musizieren dadurch mit(!)einander auf "Augenhöhe". Es wäre schlimm, wenn Lang Lang nicht von sich bzw. seiner Interpretation überzeugt wäre. Willst Du ihm allen Ernstes sein Selbstbewußtsein vorwerfen?
Das Verhältnis zwischen Dirigent und Starpianist kann man meiner Meinung nach erst dann voll und ganz beurteilen, wenn man die Probenarbeit beobachtet hat und dadurch weiss, wer die Interpretation des Stückes bestimmt. Tauschen sie sich aus? Oder versucht einer dem anderen seine Sichtweise aufzuzwingen? Macht jeder einfach, was er will? In vielen Fällen spiegelt sich der in den Proben gefundene Umgangston später mehr oder weniger intensiv im nonverbalen Dialog während der Aufführung wieder. Wenn es gut läuft, ist die Aufführung die in der Probenarbeit vorbereitete Erreichung des Gipfelpunktes nicht nur musikalisch, sondern auch emotional. Eine durch Bildschnitte kanalisierte Sichtweise liefert jedoch keine geeignete Beurteilungsgrundlage dafür, wer bei der Aufführung welche (Führungs-)Rolle spielt.
Gruß
Lisa
Nachtrag - Gerade gefunden: Ein Video, bei dem man dem 12-jährigen Nicholas Allgeier ganz in Ruhe aus Konzertbesucherwarte zusehen und zuhören kann. Hin und wieder wird etwas gezoomt, um zwischen Solo und Tutti zu unterscheiden. Alles schnittfrei. So hat man stets den Dialog zwischen Dirigent und Pianist im Blick und kann diesen dadurch weit aus besser beurteilen, als es bei hin und her springenden Kameraeinstellungen der Fall ist.