Jazz üben - alles in 12 Tonarten spielen, wie seht Ihr das?

  • Ersteller opa_albin
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Sorry, der Edit in Beitrag 68 war mir entgangen.
Klar ist das in der Theorie schön. Aber was nützt mir ein Ton in einer theoretischen Scale, den ich eh nicht verwenden kann.
Akkordskalen bilden freilich den Tonvorrat, nur muss deswegen nicht jeder Ton der Tonleiter "immer und überall" zum begleitenden Akkord passen.
Als weiteren Nutzen braucht die musikalische Analyse als Methode nun einmal Möglichkeiten, den Höreindruck von Klängen und Melodien sprachlich zu beschreiben. Aus den so definierten Elementen und deren Kategorisierung sowie Regeln lässt sich dann eine Harmonielehre erstellen.

Meine Grafik in Beitrag #70 veranschaulicht das Axiom der Akkordskalentheorie, formuliert in einem Zitat von Frank Sikora: "Ein Akkord ist also im Prinzip nichts anders als eine vertikale Tonleiter, eine Tonleiter ein horizontaler Akkord - beide Betrachtungsweise gehören untrennbar zueinander." Seine weiteren Ausführungen dazu sind ebenfalls interessant. Frank Sikora, Neue Jazzharmonielehre, 2003, S. 89

Akkordskalen sehe ich als "Standardlösung", nicht zwangsläufig auch die in jedem musikalischen Zusammenhang einzige Lösung, schon gar nicht bei Dominanten.
Als Beispiel, dass eine Akkordskala nicht die einzige Möglichkeit ist, spielt Kenny Garrett "seinen" A-Teil D7(♭9) improvisiert bis zum Trompetensolo mit der Blues Scale, als chromatisches Skalenfragment und als Akkordbrechung.

Bei der Verwendung von Skalen über Akkorde würde ich Akkordtöne, Zwischentöne (Tensions) und Avoid Notes unterscheiden, was theoriebezogen ihre Bedeutung bzw. Funktion und praktisch ihre Platzierung und Gewichtung betrifft.

1757770903996.png

....Bei mir ist das einfach ein D7b9 ohne Grundton als Zwischendominante zu G.
Im A-Teil von "Have You Met Miss Jones" dann mit Auflösung nach "Gm7", wobei das Gm7 zugleich eine IIm-V7 in F-Dur einleitet. Dazu macht Frank Sikora, Neue Jazz-Harmonielehre (2003, S. 143ff, S. 155) interessante Anmerkungen. Er schlägt für die Akkordskala die Zwischentöne aus der Tonart vor:
F#dim als verk D7.jpg

Quelle. Sikora, ebd., S. 155

Das ergibt die Akkordskala HM5(+♯9), nach Sikora "die wohl gängigste Klangfarbe für V7/II (siehe Sekundärdominanten)... Diese Überlegung gilt für alle verminderten Funktionen, deren Zielklang ein Mollakkord ist...".
Aus melodischer Sicht bezogen auf den Grundton D:
Sikora, D7 als V7von II.jpg

Quelle. Sikora, ebd., S. 155

...Ich kann ja über D7b9 nicht die F-Dur-Scale spielen.
In der Bridge ab 05:00 zeigen die Tessitura-App und Adam Turano den Grund dafür.
tessitura.jpg


Merkmale einer Zwischendominante sind
  • diatonischer Grundton (D ist diatonisch in F-Dur)
  • nicht-diatonische Funktion (die wäre mixolydisch)
  • Quintfall-Auflösung zu einem diatonischen Stufenakkord (hier D7(♭9) -> Gm7 (dorisch))
  • key of the moment
Wir sind in F-Dur, durch die V/II gibt es die klangliche Bereicherung "key of the moment", was Turano "tonicization" des Gm nennt. Die Tonart wird aber nicht länger verlassen, also ist das keine Modulation.

Die Stelle zeigt eine Jazzkadenz in Moll: | Am7 D7(♭9) | Gm7 ./. |
Gm7 steht in F-Dur auf der Stufe II (dorisch), daher sehe ich Am phrygisch und für D7(♭9) HM5(+♯9) oder alteriert, siehe Sikora, ebd. S. 82 und S. 99ff, sowie die Behandlung der II-V Verbindungen in Moll bei Zwischendominanten, ebd. S. 143ff.

BTW - Nutzt Du seine "Map" für die Akkordzusammenhänge?
Habe ich zwar auf dem iPhone, aber außer ein wenig "beschnuppern" nicht benutzt. Mir fehlt bisher die die rechte Muße, um mich damit zu beschäftigen, es aber scheint ein interessantes Werkzeug zu sein, zumal es eine Verküpfung mit den Akkordfolgen von 1.300 Songs gibt.

Gruß Claus
 
Grund: kl. Korrekturen
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Akkordskalen bilden freilich den Tonvorrat, nur muss deswegen nicht jeder Ton der Tonleiter "immer und überall" zum begleitenden Akkord passen.
Ja, das ist halt die Frage, wie man "passen" definiert ;) aber ist schon klar.
Die verschiedenen Sichten auf den Punkt hatten wir oben ja schon diskutiert.

Ich finde, es ist ein bisschen wie bei der Quantentheorie ;) wenn man es mehr als Tonleiter sieht, sind Avoidtöne und Approachtöne kein Problem. Wenn man es von Akkordseite betrachtet, sind diese Töne als lang ausgehaltene Töne ohne Auflösung eher problematisch.


Bei der Verwendung von Skalen über Akkorde würde ich Akkordtöne, Zwischentöne (Tensions) und Avoid Notes unterscheiden, was theoriebezogen ihre Bedeutung bzw. Funktion und praktisch ihre Platzierung und Gewichtung betrifft.
Also Tensions sind dachte ich auch (alterierte) Akkordtöne?

Das ergibt die Akkordskala HM5(+♯9), nach Sikora "die wohl gängigste Klangfarbe für V7/II (siehe Sekundärdominanten)...
Aus melodischer Sicht bezogen auf den Grundton D:
Sikora, D7 als V7von II.jpg

Interessant. Das wäre wenn ich es richtig sehe eine D HTGT, aber mit 11 statt #11 und b13 statt 13.
Oder eine alterierte Tonleiter, in der die #11 in die beiden benachbarten Halbtöne - Quinte und große Sexte - überführt ist.

Transformiert als Akkord ein D7(b9)(#9)(add11)(b13) ... 🤔
(Warum bzw in welchem Kontext Sikora das empfiehlt, müsste ich bei Gelegenheit mal nachlesen. Ich habe das Buch nicht selbst.)

Dadurch ergibt sich auch wieder die oben diskutierte Quarte bzw 11 über dem Grundton, der eine kleine None über der Terz bildet und damit einen Avoidton darstellt.
Mark Levine würde bei Verwendung dieser Skala den Ton erhöhen.

Was die 13 angeht, spiele ich bei einem D7b9-Akkord ohne weitere Angaben idR die große 13 und bei einem alterierten die b13.
Aus der großen ergibt sich die HTGT, aus der b13 bei mir die alterierte Tonleiter. Beide mit #11.

Merkmale einer Zwischendominante sind
  • diatonischer Grundton (D ist diatonisch in F-Dur)
  • nicht-diatonische Funktion (die wäre mixolydisch)
  • Quintfall-Auflösung zu einem diatonischen Stufenakkord (hier D7(♭9) -> Gm7 (dorisch))
  • key of the moment
Diese Kriterien sind mir alle so nicht bekannt. Auch weiß ich nicht, was "key of the moment" bedeutet.

Ich habe das so gelernt, dass man die Akkordfolge an (fast) beliebiger Stelle auftrennen kann und in die entstehende "Lücke" eine Dominante einfügen kann. (Davor nach Belieben eine II oder subdominantischen Akkord, eine weitere Dominante usw.)
Ob der Grundton diatonisch ist, ist demnach nicht entscheidend, ebenfalls Quintauflösung (es wäre genauso eine Tritonussubstitution der Zwischendominante möglich).
Und was meinst Du mit "die Funktion wäre mixolydisch"? Meinst Du die Skala müsste mixo sein? - Die kann doch auch beliebig alteriert sein. Also zB in F-Dur ein A7(alt) -> Dm7 -> G7b9 -> C7 -> F

es aber scheint ein interessantes Werkzeug zu sein
Hm, aber was ist der Vorteil? Ich denke, ich verstehe, was sie damit machen, aber mir scheint es eher unübersichtlich zu sein.
Aber das ist vielleicht auch Gewöhnungssache.
 
Wenn man es von Akkordseite betrachtet, sind diese Töne als lang ausgehaltene Töne ohne Auflösung eher problematisch.
Ja klar, sonst hätten "Avoid Notes" ihren Namen zu unrecht.
Wenn man es von der Akkordseite sieht, kommen Avoid Notes (sic!) nicht vor, nur Akkordtöne und Tensions.
Also Tensions sind dachte ich auch (alterierte) Akkordtöne?
Tension ist kurz für "extension", also Erweiterung. Ob die Erweiterung einen Akkordton alteriert, hängst von der Herleitung aus der Akkordtonleiter ab. In Frage kommen vor allem die Stufenakkorde aus Dur, da passiert "alteriert" nicht viel.
Bei Bildung der Stufenakkrode in Harmonisch Moll findet man bei Bezug auf den Grundton C auf der fünften Stufe G7(♭9) aka Mixo ♭9♭13, in Melodisch Moll findet man auf der fünften Stufe Mixolydisch ♯11, was in America als Lydian Dominant, Lydian ♭7 oder Acoustic Scale bekannter ist. Auf der siebten Stufe in Melodisch findet man B7alt. Die Akkordtonleiter ist "die" alterierte Skala, von Jamey Aebersold Diminished Whole Tone genannt. Seine Bezeichnug rührt daher, dass die ersten Tonschritte denen der verminderten Tonleiter entsprechen und die Fortsetzung ab dem vierten Ton (der Durterz) aus Ganztonschritten gebildet wird.

Interessant. Das wäre wenn ich es richtig sehe eine D HTGT, aber mit 11 statt #11 und b13 statt 13.
Oder eine alterierte Tonleiter, in der die #11 in die beiden benachbarten Halbtöne - Quinte und große Sexte - überführt ist.
Wenn Du meinst, ich bleibe bei Sikora und seiner Herleitung HM5(+♯9) .
Diese Kriterien sind mir alle so nicht bekannt. Auch weiß ich nicht, was "key of the moment" bedeutet.
Sikora erläutert Zwischendominanten ab S. 102. Der "key of the moment" ist genau, was der Ausdruck besagt, eine Tonart für kurze Zeit(=Takte), die durch eine Akkordfolge etabliert wird.
Im Beispiel aus der Bridge von Miss Jones bildet die Jazzkadenz in Moll mit der Auflösung für wenigen Takte die Tonart Gm (dorisch). Der Akkord Gm7 wird als Tonika akzeptiert, weil die Auflösung im Quintfall der Jazzkadenz genau das so schön vermittelt.

Und was meinst Du mit "die Funktion wäre mixolydisch"? Meinst Du die Skala müsste mixo sein? - Die kann doch auch beliebig alteriert sein.
Ich schrieb doch nur, was im Video zu Have You Met Miss Jones von mDecks nach deren Analyse sowie nach meinem Verständnis der Akkordskalentheorie passiert.
Wenn man die Stufenakkorde des Beispiels in F-Dur gebildet hat, steht dort auf der zweiten Stufe dorisch, was als Akkord Gm7 die zeitweilige Tonika abgibt und auf der fünften Stufe C7 mixolydisch.
Was durch eine andere Reharm passieren könnte, das steht dann auf einem andern Blatt.

Gruß Claus
 
... Das ergibt die Akkordskala HM5(+♯9), nach Sikora "die wohl gängigste Klangfarbe für V7/II (siehe Sekundärdominanten)...
Hallo Claus.
Ich würde das so zusammenfassen:
Als die natürlichste Chordscale für V7/II würde ich MM5 (ohne #9) bezeichnen.
Und für #Io7 wäre es HM7 (ohne maj7) .
Manchmal fordert das auch die Melodie. -->
1757788917227.png


Die Chordscales von Sek.Dom. und deren o7 Stellvertretern bilden sich aus dem diatonischen Pool der Grundtonart. Alteriert werden nur Akkordtönen wenn notwendig (Akkordtöne = 1 M3 5 b7 bzw. 1 b3 b5 bb7).
Bei V7/II in F Dur muss man von D Aeolisch also nur das f hochalterieren. --> d e f# g a bb c = MM5. Akkordbezeichnung: D9(b13)
Das wäre die natürlichste Variante. Klar ist HM5 bei V7/II auch möglich.
 
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Tension ist kurz für "extension", also Erweiterung. ....
Ich glaube hier reden wir grade aneinander vorbei.

Du schriebst
Bei der Verwendung von Skalen über Akkorde würde ich Akkordtöne, Zwischentöne (Tensions) und Avoid Notes unterscheiden
Dh. ein Unterschied zwischen "Akkordtönen" und "Tensions".
Aber Tensions sind doch Akkordtöne, was meinst Du da für einen Unterschied?

Der "key of the moment" ist genau, was der Ausdruck besagt, eine Tonart für kurze Zeit(=Takte), die durch eine Akkordfolge etabliert wird.
Also vielleicht "aktuelle Tonart". Bzw. die Zieltonart einer (zwischenzeitlichen) Modulation.

Klassisch würde man unterscheiden zwischen einer "echten" Modulation, mit Kadenz (analog II-V-I) oder Ausweichung.
Wäre mal interessant, ob es im Jazz auch eine feste Definition gibt, ob man da zwischendurch wirklich in einer anderen Tonart ist (key of the moment) oder nicht.
In aller Regel finden Jazz-Stücke ja zur Originaltonart zurück, im Gegensatz zur Klassik, wo wirklich komplette Tonartwechsel auftreten.
Beitrag automatisch zusammengefügt:

Als die natürlichste Chordscale für V7/II würde ich MM5 (ohne #9) bezeichnen.
Was ist denn das Kriterium für "natürlichste" oder "gängigste" - so viel wie möglich Töne der Grundtonart?
Oder andersrum, nur die Töne alterieren, die unbedingt notwendig sind?

Dh. in dem Beispiel in F-Dur wäre die V7/II ein D7, wir behalten das Bb bei und ändern nur F in F#, richtig?
 
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