Vertikale Improvisation = nutzlose Einschränkung?

  • Ersteller Tom1979
  • Erstellt am
Wenn man dann (wie ich) mit dem Finger auf die ganzen Regelverletzungen zeigt, fühlen sie sich angegriffen.

Mein Eindruck ist, dass Du auch nach dieser ewigen Diskussion hier immer noch eine falsche Vorstellung von "Regeln" in diesem Zusammenhang hast.
Es kann gar keine wirkliche "Regelverletzung" geben, weil die Regeln keine solchen sind.

Musik ist Kunst, und Musiktheorie keine DIN EN-Norm oder Tafelwerk.
Die Regeln sind Hilfen für Leute wie uns, die es ohne Regeln nicht hinkriegen, mal übertrieben gesagt.
Sie gelten immer nur innerhalb eines bestimmten engen stilistischen Rahmens.

Zum Beispiel sind im klassischen Satz eine Terzverdopplung oder Oktavparallelen verboten. Im Jazz und Pop überhaupt kein Problem.
Also nimm die Regeln doch mal nicht als etwas, wogegen du rebellieren musst oder wo Du das Haar in der Suppe suchst.

Sie helfen Dir beim Lernen, weil sie praktische Dinge verallgemeinern, und nicht weil Institution XY festgelegt hat, dass das jetzt so sein muss. Wenn man die Regeln lernt, versteht man vieles in der Musik - egal ob Bach-Fuge oder Jazzballade. Und man kann bis zu einem gewissen Rahmen das Handwerk damit ausüben. Dafür hilft es.

Und wenn es Deiner Meinung nach eine "Regelverletzung" gibt, die aber gut klingt, dann frag Dich, was Du noch nicht verstanden hast oder was es hier zu entdecken gibt.

Ich kann Dein Problem bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen; wenn ich mir zB eine Transkription von Herbie anschaue, sehe ich auch viele Stellen, die ich nicht verstehe und wo es mir so vorkommt, dass er sich nicht an die Regeln hält. Es bringt aber nix, hier einen Schuldigen zu suchen oder sich darüber zu beschweren - er hat eigene Klänge entdeckt, und wenn man an Transkriptionen arbeitet und klügere Leute fragt, kann man auch die Regeln dafür entdecken, verstehen und vielleicht selbst anwenden.

Alternativ könntest Du Dich ja interessehalber mal ein bisschen mit der Theorie nach Barry Harris beschäftigen, der hat einen ganz anderen sehr interessanten Zugang, kommt aber auch zu ähnlichen oder teils anders interessanten Klangergebnissen. Dazu gibt es hier auch ein zwei Threads.
Da siehst Du, dass man das auch anders verallgemeinern kann. Also die Regeln sind hier nur der Versuch, eine Methode zu finden, warum es gut klingt.

Um nochmal einen Vergleich zu bemühen: Auch in der Malerei gibt es Regeln wie Perspektive oder Proportionen, die man genauso "verletzen" kann, aber ein tolles Bild herausbekommen.
Es ist total sinnvoll, das Zeichnen nach Perspektive zu lernen oder Anatomie. Im Bild wirst Du aber immer auch Abweichungen davon finden.

Wir reden hier aber immer noch wortreich über etwas, wovon Du noch wenig Ahnung und ich auch nur teilweise Ahnung habe. Insofern besorge Dir doch erstmal das Buch / die Bücher, die hier empfohlen wurden und schau es Dir an. Danach ist es wahrscheinlich auch für Dich verständlicher als jetzt noch drei Runden zu drehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
ich hab grad das Gefühl Du regst Dich über mich auf. Wenn es Dir lieber ist nenn ich es "Ausnahme" und nicht "Regelverletzung". Ich rebellier doch gar nicht, ich versuch es nur irgendwie einzuordnen. Es ist doch kein Problem wenn es Ausnahmen von Regeln gibt, bzw. ein Regelwerk nur in einem bestimmten Kontext Gültigkeit hat. Danke auch für den Tip mit Barry Harris.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Nein, ich rege mich nicht auf, alles gut. Ich würde Dich einfach gern unterstützen, habe aber das Gefühl, Du hast immer wieder Einwände, warum dies oder jenes nicht geht ;)

Vielleicht verstehe ich Dich auch falsch. In Textform kommt es immer wieder zu Missverständnissen.
Ich denke wirklich, für Dich mit deinen Fragen - die ja wirklich gut und berechtigt sind! - wären ein zwei Stunden mit einem guten Lehrer, der Dir dann auch mal was am Vibraphon oder Klavier zeigen kann, wirklich ein Schritt hinter die sprichwörtliche brick wall...
 
habe aber das Gefühl, Du hast immer wieder Einwände, warum dies oder jenes nicht geht
Habe ich denn irgendwo gesagt, dass etwas nicht geht? Ich glaube Du interpretierst es falsch. Ich benutze Regelausnahmen nicht als Argument, damit ich mich mit etwas nicht beschäftigen "muss". Ich funktioniere manchmal etwas anders als der übliche Bürger. Für mich ist Klarheit sehr wichtig. Lehrer funktionieren bei mir, wenn ich gezielt mit bestimmten Fragen kommen kann, dazu weiss ich aber im Moment irgendwie noch zu wenig. Ein Lehrer kann mir ja nicht die ganze "Theorie" beibringen. Im Prinzip muss man doch einfach mal die ganzen Kriterien und "Regeln" vernünftig darstellen und zeigen, wie man konkret vorgeht. Ihr habt mir hier ja schon einige Beispiele genannt, dann muss ich mir das mal anschauen.
 
Ein Lehrer kann mir ja nicht die ganze "Theorie" beibringen.
Ich würde schon sagen, genau dafür ist ein Lehrer da, und er macht das gerne.
Man kann es natürlich auch aus einem Buch versuchen, aber da kann man eben nicht nachfragen, und es kann sich nicht auf Deine speziellen Vorlieben einlassen.

Im Prinzip muss man doch einfach mal die ganzen Kriterien und "Regeln" vernünftig darstellen
Ich verweise nochmal auf die Literatur ...

Ich hoffe, dass das für Dich "vernünftig" genug ist ;)

Wie gesagt, ich stoße auch immer wieder auf Dinge, wo ich denke, das hätte man doch besser erklären können, oder das ist inkonsistent. Wenn zB Gm/E da steht statt Em7b5, oder letztens war eine Note Cb notiert und drüber stand Bm als Harmonie. Ich stelle ja auch immer mal wieder Fragen dazu hier im Forum und hätte gern eine geschlossene Theorie des Jazz mit Weltformel und allem. Aber ich lerne auch immer wieder, dass es darauf am Ende nicht ankommt, sondern aufs Verstehen und Machen. Jeder Autor erklärt es etwas anders, weil er sich darüber Gedanken gemacht hat und Gründe für dies oder jenes hat. Das macht es für den Schüler nicht unbedingt leichter, wenn dieselbe Sache verschieden erklärt wird - aber letztlich ist das doch trotzdem gut; es gibt halt nicht den einen Geraden Weg vom Nicht-Wissenden zum Erleuchteten. Wir drehen viele Schleifen und Kreise und Umwege, und manchmal kommt man auch woanders, an als man erst dachte ...
 
Ich würde schon sagen, genau dafür ist ein Lehrer da, und er macht das gerne.
Naja, er macht es, weil er dafür Geld kriegt. Mein Cousin unterrichtet Kompositionslehre, weiss jetzt nicht ob er von CSD so wahnsinnig viel Ahnung hat, trotzdem hätte er jetzt nicht Lust, mir den ganzen Kram zu erklären.

Hab gerade online reingeschaut in Nettes&Graf (weil ichs gerade gefunden habe, nicht weil ich es präferiere), der erste Eindruck ist schon mal recht positiv: sehr knapper Text, übersichtliche Darstellung grundlegender Strukturen...
 
Mir geht es lediglich um die Einordnung was ist harte Logik wie z.B. Transposition und was nicht.
Dann ist genau das dein grundlegender Denkfehler.

Ich wage mal zu behaupten, ich kenne beide Welten zumindest ein bisschen, ich war von klein auf in der Musikschule und hab einen technischen Beruf mit viel Rechnen und Formeln erlernt. Klar hab ichs am Anfang mit Logik probiert, als ich begonnen habe, mich für MuTh zu interessieren. Zum Glück war ich da noch eine Zeitlang in der Musikschule, da wird dir recht schnell klar: Logik bringt da nix. Auch "Meta-Logik" im Sinne von OK, die Regel gilt da, aber da nicht, außer, und falls nicht, dann gilt....:ugly:

Es gibt genau eine "Logik": Was ich denken kann, kann ich spielen (bzw. spielen lernen). Was ich spielen kann, kann ich denken und wenn ichs "wirklich" spielen kann, dann denk ich gar nicht mehr, sondern weiß z. spüre einfach, wie's geht.
Und Musiktheorie liefert lediglich Möglichkeiten, dieses Denken und Spüren zu abstrahieren und zu kategorisieren.

War zumindest eine meiner wichtigsten Erkenntnisse: Jedwede "Meta-Beschäftigung" mit MuTh, losgelöst von konkreten Klängen ist relativ schnell relativ sinnlos. Garantiert nicht uninteressant - aber eben (praktisch) sinnlos.

LG
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Jedwede "Meta-Beschäftigung" mit MuTh, losgelöst von konkreten Klängen ist relativ schnell relativ sinnlos. Garantiert nicht uninteressant - aber eben (praktisch) sinnlos.
Hab ich nicht vor. Die Gefahr dass ich mich ewig in Bücher stürze ist bei mir nicht wirklich vorhanden. Ich will ja Musik machen, alles andere ist für mich im Prinzip nur Mittel zum Zweck.
 
Naja, er macht es, weil er dafür Geld kriegt. Mein Cousin unterrichtet Kompositionslehre, weiss jetzt nicht ob er von CSD so wahnsinnig viel Ahnung hat, trotzdem hätte er jetzt nicht Lust,
Junge Junge, das sind alles so Einstellungen.
Natürlich kriegt ein Lehrer Geld. Das heißt doch aber nicht, dass er das nicht gerne macht.
Echt eh...
 
  • Haha
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Es könnte allerdings schon sein, dass ein Hochschullehrer für Komposition (was derzeit anscheinend "Neue Musik" bedeutet) wenig Lust auf Jazz hat und noch weniger Lust, jemandem beginnend beim Dur-/Mollsystem die Akkordskalentheorie "beizubringen".

Wenn zB Gm/E da steht statt Em7b5, oder letztens war eine Note Cb notiert und drüber stand Bm als Harmonie.
Slash-Schreibweise hat sich ganz schön verbreitet und bezüglich Enharmonik sollte man sich im Jazz auch nicht wundern. Beides ist praktisch immer rein pragmatisch gemeint, nicht zwecks harmonischer Analyse.

Gruß Claus
 
Grund: Nachtrag Zitat
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
ist praktisch immer rein pragmatisch gemeint
Deshalb brachte ich das auch als Beispiel, obwohl sich bei mir da die Nackenhaare aufstellen, wenn sich Akkord und Noten widersprechen. Genauso wenn Chris Parks sagt "E half diminished is Gm6" und ähnliches. Oder D Dorisch ist C-Dur.
Es ist nicht korrekt, trotzdem weiß ich, dass es pragmatisch OK ist oder es manche Leute eher verwirrt, wenn man auf Korrektheit besteht.
 
Hallo liebe Freunde der vertikalen Töne. Bevor Euch vor Schreck die Galle in die Augen schiesst: "vertikale Töne" machen natürlich keinen Sinn, es war als humoristische Einlage gedacht. :D
Ich habe Nettles & Graf jetzt ca. 100 S. gelesen (hat zum Glück nur 180 S.) und die ersten ca. 70 S. zusammengefasst (bevor mir der Kopf platzt). Ich finde es ist sehr verständlich geschrieben. Ich weiss zwar immer noch nicht genau, wie man auf die Skalen kommt, aber ich denke wahrscheinlich lässt sich das analytisch nicht 100% genau herleiten. Ist ja auch nicht so wichtig. Hab gedacht vielleicht kann ja auch jemand anderes davon profitieren wenn ich mir schon die ganze Mühe mache. Begriffe sind z.T. Englisch, ich hoffe es hat nicht zu viele falsche Sachen drin.
 

Anhänge

  • Chord Scale Theory Übersicht 02.pdf
    529,6 KB · Aufrufe: 5
  • Interessant
Reaktionen: 1 Benutzer

Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben