Das ist doch mal ein Thema für mich, Ende '75, geboren und aufgewachsen in der tiefsten norddeutschen Provinz als Kind zweier Eltern, die selbst nie woanders gewohnt haben.
Die Wallapampa war so JWD, daß wir damals nur einen UKW-Sender anständig reinbekamen. Und das war NDR1 Welle Nord. NDR2 war noch zu schwach und verrauscht. NDR1 war damals zum Glück etwas vielfältiger als vor dem jüngsten Relaunch, hatte aber trotzdem gewisse Radio-Sterbehilfe-Tendenzen, auch weil es damals schon in den Landesteilen, die NDR2 besser reinbekamen, zur Seniorenunterhaltung herhalten mußte bis hin zu Glückwünsche und Musik a.k.a. Erbschleicher-Radio. Andererseits muß man sich mal den deutschen Musikmarkt der späten 70er Jahre angucken, speziell das, was nicht nur Insidern oder der Szene in den Großstädten bekannt war, sondern auch op'n Dörp'n. Das war das Zeug, was damals recht aktuell war.
Die Folge war zunächst mal Dauerberieselung mit Schlagern, harmloseren englischsprachigen Titeln, aber auch französischen oder italienischen Sachen und Instrumentals. Instrumentalmusik war damals ziemlich verbreitet. Dolannes-Melodie von Borelly, Popcorn von Hot Butter, Wolkenreise von Eroc, die einzigen zwei ABBA-Instrumentals, Shadows, Jarre, vielleicht noch ein bißchen Vangelis, in den 80ern kamen dann noch so Sachen dazu wie Biscaya von James Last oder Ricky King. Gelegentlich wurde auch mal Deutschlandfunk (Mittelwelle 1440 kHz) reingedreht und Lustige Musikanten gehört, aber selten, weil es allen Beteiligten schwierig genug war, a) DLF zu finden und b) dann NDR1 wiederzufinden. War noch nix mit Stationsspeichern die erste Zeit.
NDR2 spielte erst ab Anfang der 80er eine Rolle und auch das fast nur bei uns zu Hause oder im Auto. Der NDR ließ das Signal des verantwortlichen Sendemasts hochdrehen (es ist trotzdem bis heute schwächer als Welle Nord), außerdem hing unsere Stereoanlage (siehe weiter unten) an der nagelneuen Hausantenne, mit der wir sogar DDR1 in Farbe reinkriegten. Da ging's dann richtig los mit der großen weiten Popwelt und den Sendungen damals. Mittagskurier, der lief immer, wenn ich aus der Schule wiederkam, so daß ich die Schlußmelodie (Rover's Return von den Korgis) fast jeden Tag zu hören bekam. Oder Wilken F. "Willem" Dincklage, der Mann, der Wot von Captain Sensible eingedeutscht hat, der war auch mal Moderator bei NDR2. Dann natürlich der Club. Wolf-Dieter Stubel hatte 1980-F von After The Fire schon vor Thomas Gottschalk. Den hörte ich aber nur äußerst selten, denn wenn der anfing, sollte ich eigentlich schon im Bett sein. Das war allenfalls beispielsweise mal bei Familientreffen bei den Eltern meiner Mutter, wenn wir nicht so früh wieder nach Hause fuhren.
Viel kann ich ablesen an den Scheiben, die meine Eltern damals gekauft haben, besonders solche von vor meiner Geburt. Die hab ich irgendwann mal in einem Karton gefunden, eingeordnet in zwei Singlemappen, und etliche davon abgestaubt, die stehen heute bei mir, allerdings nicht die Schlager. Was ist da nicht alles zwischen. Ein paar Sachen kann ich eindeutig meinem Vater zuordnen, etwa Gus Backus, River Kwai March oder The Good, The Bad And The Ugly in der Hugo-Montenegro-Fassung. An Schlagern waren da Sachen wie Katja Ebstein oder Cindy & Bert (nein, nicht Der Hund von Baskerville, bevor einer fragt). Ansonsten Les Humphries Singers mit einem jungen Onkel Jürgen, zwei Versionen von El Condor Pasa, Kincade, Albert Hammond, Cliff Richard, Song Of Joy von Miguel Rios, Nick Mackenzie, Carly Simon, und ich glaube, The Mosquito von den Doors kommt wider Erwarten sogar von meiner Mutter. Mit Sicherheit hatten wir auch mal In The Summertime von Mungo Jerry aus dem Fundus meines Vaters.
Als dann nicht nur ich auf der Welt war, sondern Anfang der 80er auch die Familienanlage da (Grundig RPC 650 TP *lechz*) mit vollautomatischem, ultraschallfernbedienten Dual-Dreher (mit Strobe in Autoscooterfront-Optik *lechz*), war es meine Mutter, die weiter Singles anschleppte. Paul McCartney & Stevie Wonder, F.R. David, Jason Donovan, solche Sachen. Die 80er machten den Softpop noch softer. Das setzte sich in den 90ern fort, als wir in Lübeck unseren ersten Second-Hand-Plattenladen aufgetan hatten (wo ich im Endeffekt mehr Geld ließ). Zwei Countrysampler gehen meines Wissens mehr aufs Konto meines Vaters, ebenso wie mindestens eine Platte mit Jagdsignalen (!), die ich nicht übernommen hab.
1978 abonnierten meine Eltern diese berühmte Samplerserie Club Top 13. Zunächst mal nur als Kassetten, wir wohnten noch bei den Eltern meines Vaters, da hatten wir nur ein fest im Wohnzimmerschrank eingebautes Radio (Nordmende? Saba?, ein ITT/Schaub-Lorenz-Kofferradio und den ITT/Schaub-Lorenz-Kassettenrecorder meiner Mutter, aber keinen Plattenspieler. Außerdem konnte man die prima unterwegs hören, denn die meiste Zeit hatten wir ein Auto mit Kassettenradio (schönes Becker Europa mit blauer Senderskala und trickgeschalteter Motorantenne im Strichachter *lechz*). Im Herbst 1981 wurde dann auf Vinyl umbestellt. Aufgehört haben wir nach der ersten Ausgabe von 1985. Nicht nur hab ich die Kassetten und Platten alle noch, ich hab auch frühere und spätere Platten second-hand dazugekauft, inklusive Ersatz für die Bänder.
Zu Club Top 13 sollte man sagen: Mitte der 70er war das noch überwiegend Schlager, aber nicht nur konservativ-betulich-langweilig. Da liefen auch umgedeutschte ausländische Songs auf. Mit der Zeit wurde es internationaler, so '78-'79 war es schon überwiegend nicht mehr deutschsprachig. Man soll echt staunen, was da alles drauf ist. Nicht unbedingt die Charttopper der ganz Großen, die konnte man sich gar nicht leisten, aber doch sehr interessante, teilweise heutzutage fast schon obskure Sachen. Das geht von fast allen Hits von Boney M. und Dschingis Khan über jede Menge Bohlen Mitte der 80er und natürlich NDW bis zum fast sechsminütigen Madam Butterfly der Punklegende Malcolm McLaren, dem Egyptian Reggae von Jonathan Richman oder der Singleversion von Rapper's Delight. Und der Ententanz.
Ach ja, Comedy. In den 70ern startete die deutsche Comedy ja richtig durch, das hielt noch weit durch die 80er an, noch dazu in vielen Facetten. Insterburg & Co., gewissermaßen auch Torfrock, Mike Krüger, Gebrüder Blattschuß und so weiter. Meine Mutter tendierte mehr zu Otto, die hatte ihn auf seiner ersten Tour 1974 sogar live gesehen, da war er noch fast unbekannt. Mein Vater ging mehr Richtung Günter Willumeit. (Weiß der Geier, woher die beiden Fips-Asmussen-Bänder in meinem Fundus kommen.) Auch die Platten hab ich übernommen, so wir welche hatten, insbesondere Vadderns vier Willumeit-Scheiben, die ich noch ergänzt hab, ebenso wie diverse Otto-Platten. Ich wiederum wurde im Kindergartenalter mit Gottlieb Wendehals konfrontiert. Ich wußte es als Fünf-/Sechsjähriger nicht besser, also fand ich das mal gut.
In den frühen 80ern gab es dann noch ein Aufbäumen deutschsprachiger Musik. Zum einen durch diverse Schlagerstars. Dschingis Khan hatten wir ja schon, die deutsche Mischung aus ABBA und den Village People (sprich niemals Leslie Mandoki auf Dschingis Khan an). Außerdem Wolle Petry, (Prä-Onkel, Prä-König von Malle, Prä-Darkwing Duck) Jürgen Drews, Roland Kaiser, Juliane Werding, Nicole, Andy (of) Borg, Nino de Angelo, wie sie alle hießen, außerdem "Szeneaussteiger" wie Peter Maffay oder Udo Jürgens, dazwischen norddeutscher Country. Da wollte es der Schlager noch mal richtig wissen. Wohlgemerkt, zu der Zeit waren "wir" schon mit englischsprachiger Musik erfolgreich, siehe Boney M. und Goombay Dance Band.
Zum anderen die Neue Deutsche Welle. Als sie 1981 Mainstream wurde, erreichte sie über die Charts mit der typischen Verspätung à la Dorfpunks auch die schleswig-holsteinische Provinz. Die spielte für meine Eltern eine eher geringe Rolle, aber sie lief eben im Radio, und das Radio lief viel. Folglich war das die musikalische Begleiterscheinung meiner Kindergarten- und frühen Grundschulzeit.
Der Musikgeschmack der lieben Verwandten und Bekannten spielte für mich spätestens eine Rolle, als ich selbst anfing, Musik zu machen. Los ging's im Dezember 1983 mit Orgelunterricht. Eigentlich Keyboardunterricht, weil mit Begleitautomatik, aber die damaligen Arranger konnte man vergessen, die Orgeln konnten mehr und klangen auch fetter, selbst die analogen (wobei ich anfing, auf alles zu geiern, was Samples abspielte und programmierbar war, spätestens als ich meine erste eigene Orgel bekam, die erste Italienerin mit Drumsamples und Programmierfunktionen, da interessierten mich auch die ganz großen Dickschiffe aus demselben Hause nicht mehr, weil die vollanalog waren und nichts programmier- und speicherbar war).
Im Unterricht war's jedenfalls so, daß man, wenn man hinreichend gut war, spielen konnte, was man wollte. Dann wurden die Noten eben organisiert oder zur Not selbst geschrieben; das heißt, zum Glück brauchte ich bald keine mehr. Das Geile an einer Orgel war ja damals, daß man alleine fast alles an Musik spielen konnte von Filmmusik über Swing bis Pop. Mein erstes Lied war eher simpel, und als das saß, ging's gleich mit ein paar Schlagern weiter. Meine Eltern wiederum konnten es kaum erwarten, daß ich endlich den Schneewalzer und La Paloma (Pflichtnummer in Schleswig-Holstein meerumschluhungen) spielen konnte, um auch noch ältere Generationen adäquat bespaßen zu können. Konsequenterweise waren beide unter den ersten nicht mal 10 Liedern, von denen ich Noten bekam; La Paloma war das vierte, das fing ich noch an auf einer geliehenen Bontempi B370 (*würg*).
Meinen Vater konnte ich damals noch am ehesten mit gewissen Gassenhauern begeistern, meine Mutter mit Big-Band-Swing mit viel Improvisation (sie war zwar nie Jazzerin, aber sie liebte es, ihren Sohn vorzuführen, der im einstelligen Alter so etwas konnte) und mich selbst abgesehen vom Spaßfaktor bei Jazznummern mit Pop aus dem Radio.
Die typischen Entertainer spielten damals in unserer Familie keine große Rolle. James Last kannten wir fast nur durch den 1983er Riesenhit Biscaya (der noch nicht mal nach James Last klingt), ansonsten gab's höchstens mal Hugo Strasser, als meine Eltern Tanzstunden nahmen.
Letztlich hat mich die Zeit doch ziemlich geprägt. Meine Mutter ist mit mir einer Meinung: Ich bin für meinen Musikgeschmack zu jung.
Martman