Improvisation [Auslagerung]

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@Johannes Winter:

Wow, da hast Du ja schon den einen oder anderen Wandel erfahren. Von EAV und Pfadfindermusik, über klassisches Klavier und Punk, Ska, Reggae, Pop und Jazz, zu Soul und Funk. Hut ab!

Mal etwas vom Thema ab: Ich kenne mehrere Leute, die als Kind Klavierunterricht hatten und auch nach Noten spielen. Was mich bei den klassisch ausgebildeten Tastenleuten immer wundert, ist die Tatsache, dass sie Sachen vom Blatt spielen können, die ich nie spielen könnte, aber wenn man mit ihnen über drei Akkorde jammen will, behaupten sie, das könnten sie nicht.

Das andere Extrem sind dann die Leute (meist Gitarristen), die einfach drauf losspielen. Zu denen gehöre ich auch. Ich konnte nach drei Jahren Gitarre noch kein komplettes Stück nachspielen, traf mich aber regelmäßig mit Anderen (Gitarristen, Bassern, Schlagzeugern), um "zu jammen". Was wir machten, war selten reproduzierbar, manchmal sehr schön (manchmal auch nicht), hat aber immer einen Mordsspaß gemacht.

Manchmal war ein Keyboarder dabei, der zwar Noten lesen konnte, aber von Tonleitern und Akkorden und dem ganzen Zeug nichts verstand. (Nicht, dass wir viel davon verstanden hätten.)
Unsere Absprachen liefen anfangs so, dass wir ihm sagten, er solle nur die weißen Tasten benutzen, weil es halt so schön einfach war.
Dann kam er auf die Idee, kleine Klebepunkte mitzubringen, um die "tonleitereigenen Tasten" für eine Tonart zu markieren. Also beklebten wir seine Tastatur. Das war sicher ungewöhnlich, half aber.

Das machte er solange, bis wir ihm sagten, er solle doch einfach seine Ohren entscheiden lassen, welche Töne passen und welche nicht. Er hatte mittlerweile schon bemerkt, dass er das ohne weiteres konnte, weil er von uns allen die am besten geschulten Ohren hatte.

So legten wir nach und nach einen kleinen "Groove-Katalog" an, auf den wir zurückgriffen, als wir unsere ersten Stücke bastelten. Glücklicherweise hatten wir nie professionelle Ambitionen. Wir wären vermutlich verhungert.

Gruß
Andreas
 
Eigenschaft
 
Ich kenne mehrere Leute, die als Kind Klavierunterricht hatten und auch nach Noten spielen. Was mich bei den klassisch ausgebildeten Tastenleuten immer wundert, ist die Tatsache, dass sie Sachen vom Blatt spielen können, die ich nie spielen könnte, aber wenn man mit ihnen über drei Akkorde jammen will, behaupten sie, das könnten sie nicht.

Versuch einer erklärung:
Wer noten liest und vom blatt spielen kann, hat ein riesiges répertoire, aus dem er zeitlebens schöpfen kann, überliefert von leuten, die weit kreativer, wenn nicht genialer waren als er selbst.
Warum soll ich mich in drei akkorden ergehen, wenn ich Bach, Chopin, Bartok oder auch jazzrekonstruktionen spielen kann, die eine fülle harmonischer wendungen bereithalten, auf die ich nie gekommen wäre?
Abgesehen davon, dass man professionell mit "jammen" nicht auskommt, es gibt da wenig gelegenheit zum improvisieren, selbst wenn man es kann.
Gut, wenn jemand sich seine eigene, begrenzte welt zimmert, aber die große, weite bleibt ihm verschlossen wie der genuss, eine partitur zu lesen.
Ganze musikkulturen kommen ohne schriftliche niederlegung aus, unsere mitteleuropäische nicht.
Heute kann ich mit begleitmechanik ein staunendes publikum beglücken, aber wie der kollege im shop zu mir sagte, als ich interessiert zuhörte: "Ach Sie, Sie spielen ja noch mit den händen!"
 
Warum soll ich mich in drei akkorden ergehen, wenn ich Bach, Chopin, Bartok oder auch jazzrekonstruktionen spielen kann, die eine fülle harmonischer wendungen bereithalten, auf die ich nie gekommen wäre?

Weil´s Spaß macht!

Versuch einer Erklärung: Jemand, der Philosophie studiert hat und aus dem Stegreif Sokrates, Diogenes, Kant, und Nietzsche zitiert, kann ein triviales Werk wie "Harry Potter" möglicherweise als Kitsch abtun. Er kann sich aber, wie mancher weniger Belesene, von derlei Kitsch auch gut unterhalten fühlen.

Will sagen: Musik kann auch jemandem Spaß machen, der nie von Bach, Chopin und Bartok gehört hat. Dass man sein Repertoire erweitert, indem man sich mit den Meistern beschäftigt, steht außer Frage.

Professionellen Ansprüchen kann man als "Nur-Jammer" natürlich auch nicht genügen. Aber man lernt ja auch dabei.

Gruß
Andreas
 
Mich interessiert euer subjetiver geschichtlicher Blickwinkel. Mich interessiert nicht nur, wie sich die Musik musikalisch verändert hat, es interessiert mich vor allem auch die gesellschaftliche, kulturelle, soziologische Seite und alles, was irgendwie dazugehört.

Für mich persönlich resultierte was Christos Hatzis das Ende der Lebenszyklen von Funktionsharmonik (50er) wie Jazz (80er) genannt hat, in einer unglaubliche Ansammlungen von Früsten, schierem Unverständnis über die Autodestruktivität, Kopflosigkeit und geradezu irrsinnigem Beharren auf auch noch mit voller Überzeugung :eek: eingeschlagegenen Fehlentwicklungen ganzer "Szenen" — und schließlich Entfremdungen. Manchmal wundert es mich, daß ich nicht schon vor 25 Jahren das Handtuch geworfen habe. Aber vielleicht war die Rettung die Subversion, daß schließlich alles dermaßen versuppte, daß man sich nicht mehr wie der letzte Mohikaner fühlen mußte :redface:

Manchmal war ein Keyboarder dabei, der zwar Noten lesen konnte, aber von Tonleitern und Akkorden und dem ganzen Zeug nichts verstand.

Zu dem Zwecke sollte man ja nun Harmonielehre betreiben — auch als noch jugendlicher Adept, denn auf jeder Stufe sollte man das verstehen können, was man gerade spielt. Da ist dann auch die Kluft zur Komposition und Improvisation (= ad hoc-Komposition) rein gar nicht mehr unüberwindlich.

Versuch einer Erklärung: Jemand, der Philosophie studiert hat und aus dem Stegreif Sokrates, Diogenes, Kant, und Nietzsche zitiert, kann ein triviales Werk wie "Harry Potter" möglicherweise als Kitsch abtun. Er kann sich aber, wie mancher weniger Belesene, von derlei Kitsch auch gut unterhalten fühlen.

So drastisch ist das doch beileibe nicht in der Musik!!!! Nebenbei gibt es auch Literaturwissenschaftler, die sich mit Kinderbüchern beschäftigen. Und was andere Wissenschaften angeht, ich muß z.B. zu meiner untröstlichen Schande gestehen, ich war über meine eigene Verfachidiotung entsetzt, daß ich in den letzten Jahrzehnten unglaubliche Mengen an Fachliteratur durchackerte, aber egal ob als Genuß oder als Bildungserlebnis eher weniger zu lesen kam als noch an der Penne.

Professionellen Ansprüchen kann man als "Nur-Jammer" natürlich auch nicht genügen.

Ich glaube, wenn's da an was gebricht, dann an Selbstbewußtsein. Die wirklich intensivsten musikalischen Erlebnisse (aktiv wie "rezeptiv partizipierend" :)), die ich je hatte, waren Impros, bei denen es die Spieler wirklich zum Brennen brachten. Das sind schon religiös zu nennende Erfahrungen...
 
Die wirklich intensivsten musikalischen Erlebnisse (aktiv wie "rezeptiv partizipierend" :)), die ich je hatte, waren Impros, bei denen es die Spieler wirklich zum Brennen brachten. Das sind schon religiös zu nennende Erfahrungen...

Das kann ich unterschreiben! :great:
 
@Günter Sch. & Cosmodog

Ich kenne selbst diese Situation vor 3 Akkorden zu sitzen, darüber aber nicht improvisieren zu können, trotz 7-jähriger klassischer Klavierausbildung nach Noten. Ich stand fassungslos da und hatte das Gefühl trotz dieser langen Zeit eigentlich überhaupt nichts zu können.
Bei mir lag es wie auch Heike schon sagte an mangelndem Wissen in Harmonielehre und Funktionsharmonik. Mein Klavierlehrer hatte es mir nie beigebracht und ich hatte mich bis dahin auch nicht weiter dafür interessiert, da ich den Sinn nicht begriff.
Ich wußte nur über einfache 4-5-1-Verbindungen bescheid, diese Verbindungen klangen aber für meine Ohren nach Schlager, den ich schon auf dem Akkordeon spielen mußte.
Außerdem konnte ich auf dem Klavier keine Akkorde und deren Umkehrungen spielen.
Auf den Blättern standen für mich immer nur Noten, keine Akkordstrukturen. (Auf dem Akkordeon wars ja mit der linken Hand immer nur eine Taste). Tonleitern (außer der C-Dur - nur weiße Tasten ;) ) waren mir unbekannt. (Kann mich noch sehr gut erinnern wie verblüfft ich war, das erste mal jemanden auf dem Klavier eine Bluestonleiter spielen zu hören). Ich adaptierte das ganze und erhielt auf einmal einen neuen grandiosen Klang.
Das ganze hat sich bei mir mittlerweile so weit entwickelt, dass ich mich auf Jam-Sessions mit Menschen, die ein gut ausgeprägtes Hör- und Reaktionsvermögen entwickelt haben sehr wohl fühle.

@ Günther Sch. Zum Jammen
Sicher als professioneller Musiker bekommt man kaum die Gelegenheit zu jammen, jedoch werden die grundsätzlichen Fertigkeiten, die durch das miteinander jammen ausgeprägt werden auch bei profesionellen Tätigkeiten verlangt. So lernt man beim jammen wunderbar das Zusammenspiel mit anderen Leuten, das aufeinander Hören. Auch das Gefühl für Funktionsharmonik, Harmonielehre und Rhythmik kann hier je nach persönlichem Entwicklungsstand und Umfeld der Mitjammenden enorm gefördert werden. Dies ermöglicht einem sich relativ schnell in bestehende Formationen einzuarbeiten, wenn mal Aushilfe gesucht wird aber auch neue Projekte jedweder Art (die vielleicht auch nur füe einen bestimmten bestehen) schnell aufzubauen. Mit einem zusätzlichen Wissen über Notenlehre ergibt sich so eine gewaltige Flexibilität und schier unendliche Möglichkeiten im professionellen Bereich sowohl im Studio, als Livemusiker oder auch im Orchester.
 
Ich hab die Impro-Diskussion mal ausgelagert, da komplett OT.
 
So lernt man beim jammen wunderbar das Zusammenspiel mit anderen Leuten, das aufeinander Hören. Auch das Gefühl für Funktionsharmonik, Harmonielehre und Rhythmik kann hier je nach persönlichem Entwicklungsstand und Umfeld der Mitjammenden enorm gefördert werden.

Und all das gibt es in kammer-, orchestermusik, musiktheater nicht?
Ich will keine gräben aufreißen, sondern anregen, einen blick über den zaun zu werfen.
 
Doch, mit Sicherheit gibt es auch im klassischen Bereich wunderbare Musik, die es wert ist gehört und auch gespielt zu werden.

Nur, wenn du mit ein paar langhaarigen, biertrinkenden, AC/DC-Shirts-tragenden Rockern zwischen Drumkit und Marshall-Halfstacks stehst, wirst du mit "Lasst uns doch mal eine Sonate spielen!" nicht viel Beifall ernten.

Obwohl mir gerade einfällt, dass wir mal ein paar Takte Bach als Intro für ein Stück benutzt haben, was immer sehr gut ankam. (Was aber mit Improvisation wiederum nichts zu tun hatte.)
 
Günter Sch.;3396496 schrieb:
Und all das gibt es in kammer-, orchestermusik, musiktheater nicht?
Ich will keine gräben aufreißen, sondern anregen, einen blick über den zaun zu werfen.

Da bin ich ganz derselben Meinung.
Und es gibt ja auch bekannte Beispiele solcher Musiker, die mal hinüberschauen zu den Nachbarn und sich anregen lassen.
Zumindest meiner Meinung nach ist das Jacques Loussier im Bereich Jazz-Klassik und Keith Emerson(The Nice/Emerson, Lake and Palmer) im Bereich Rock-Klassik hervorragend gelungen. Der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim seinerseits zollt einen Tribute to Ellington und der mittlerweile weltbekannte Bariton Thomas Quasthoff hat mit Jazzern zusammen eine Session gehabt, aus der dann später eine CD entstand.

Warum also Gegensätze betonen statt Gemeinsamkeiten zu suchen???
 
Warum soll ich mich mit 3 Akkorden zufrieden geben, wenn ich auch über eine Komposition von Wayne Shorter improvisieren kann?

Mich hat das Wiedergeben (und auch Hören!) vollständig ausnotierter Werke nie in dem Maße berührt wie improvisatorisch verarbeitetes Material, was meines Glaubens nach einfach daran liegt, dass in "vor-komponierter" Musik längst vergangenen Befindlichkeiten nachgehangen wird, während in der Improvisation die Magie des Augenblicks auflebt.
Für die Interpretation der zweifellos wunderbaren Werke der sog. "Klassischen Musik" wird der wiedergebende Musiker ggf. eigene Emotionen zugunsten derer des Komponisten zurückstellen müssen, während in der Improvisation jede Gefühlswallung direkt Ausdruck findet.
Macht das Sinn?

Warum soll ich mich in drei akkorden ergehen, wenn ich Bach, Chopin, Bartok oder auch jazzrekonstruktionen spielen kann, die eine fülle harmonischer wendungen bereithalten, auf die ich nie gekommen wäre?

Weil man es sich damit arg einfach macht. Warum nicht von den Vorgängern lernen, um deren ausgefuchste harmonische Wendungen zu adaptieren und in der Improvisation weiterverwerten und -entwickeln?

Wer noten liest und vom blatt spielen kann, hat ein riesiges répertoire, aus dem er zeitlebens schöpfen kann, überliefert von leuten, die weit kreativer, wenn nicht genialer waren als er selbst.

Ich habe zwar schon bemerkt, dass es wohl angesagt ist, grundsätzlich erstmal tiefzustapeln und im Gegenzug das Werk anderer - insb. solcher "Altvorderen" wie Bach, Charlie Parker oder John Lennon (was für eine Reihe!) - in den Himmel zu loben, andererseits versteh ich von Mal zu Mal weniger, warum die eigene Originalität und Genialität so unter den Scheffel gekehrt wird! Ich bin sicher jeder von uns hat Melodien und harmonische Wendungen im Kopf, auf die der alte Johann Sebastian nicht gekommen wäre.
Vielleicht steckt auch eine gewisse Bequemlichkeit dahinter, andere die Arbeit machen zu lassen, anstatt selbst kreativ zu werden. Die Begründung: "So toll wie Bach kann ich eh nicht komponieren/improvisieren" ist sicherlich schneller und bequemer ausgesprochen als ein leeres Notenblatt gefüllt...
 
Für die Interpretation der zweifellos wunderbaren Werke der sog. "Klassischen Musik" wird der wiedergebende Musiker ggf. eigene Emotionen zugunsten derer des Komponisten zurückstellen müssen, während in der Improvisation jede Gefühlswallung direkt Ausdruck findet.
Macht das Sinn?

Ich (als "Klassiker") finde es durchaus spannend und befriedigend ein bereits notiertes Werk mit meiner eigenen Emotionalität zu versehen und fühle mich darin durch die Vorgaben nicht eingeschränkt. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich Stücke bei denen es mir (wohl eher unbewusst) so geht als "gefällt mir nicht" beiseite lege und einfach nicht spiele. Aber ich kann mich nicht erinnern einmal gedacht zu haben: Ich will das (grundlegend) anders spielen oder gar etwas anderes spielen.
Ich habe auch schon genug damit zu tun, wie ich es spiele, ich glaube wenn ich dann auch noch damit beschäftigt wäre was ich überhaupt spiele - ich wäre glatt überfordert^^
 
Aber ich kann mich nicht erinnern einmal gedacht zu haben: Ich will das (grundlegend) anders spielen oder gar etwas anderes spielen.
Ich habe auch schon genug damit zu tun, wie ich es spiele, ich glaube wenn ich dann auch noch damit beschäftigt wäre was ich überhaupt spiele - ich wäre glatt überfordert^^

Mit dem Denken während des Musizierens ist es ja so eine Sache. Ich glaube nicht dass der Musiker-an-sich befähigt ist, während der Aufführung wirkliche (bewusste!) Entscheidungen zu treffen; das hat er ja beim Einstudieren längst getan. Insofern spielt hier auch die Emotionalität eine geringere Rolle gegenüber antrainierten Bewegungsabläufen.
Beim Üben ist das jedoch anders: Hier werden sowohl Entscheidungen in Hinblick auf "Was spiele ich?", als auch "Wie spiele ich?" getroffen.
Nun stellt sich folgende Frage:
Wie weit kann ich die vorgegebene Stimmung eines Werkes (so etwas lässt sich, subjektives Empfinden hin oder her, immer feststellen) zugunsten meiner eigenen Gefühlswelt strapazieren, ohne es unkenntlich zu machen?

Oder anders gesagt: Kann ein todtrauriger Musiker ein plakativ fröhliches Stück
A: überzeugend fröhlich darbieten?
B: überzeugend traurig darbieten?
 
The Sun Bear Concerts sind dreihundert Klassen drüber... nur so am Rande... ;)
Und kaufe nie eine klassische Aufnahme vom Meister, die sind nämlich so richtig schlecht... D:

Interessant finde ich aber Improvisationen über klassischen Stücken. Wenn du was in der Jarrett-Klasse HIER am Board hören willst, solltest du dir mal Cudos "Bearbeitungen" anhören.
https://www.musiker-board.de/vb/blues-soul-jazz/297358-salsa.html#post3383745

Günter Sch.;3395973 schrieb:
Warum soll ich mich in drei akkorden ergehen, wenn ich Bach, Chopin, Bartok oder auch jazzrekonstruktionen spielen kann, die eine fülle harmonischer wendungen bereithalten, auf die ich nie gekommen wäre?

Naja, alle Wendungen wird man sicher nicht im Kopf behalten können, schon gar nicht ad hoc abrufbar. Und dazu muß man sie vorher analysiert haben, oder eine sensationelle Wiedererkennungsgabe haben, die ich allerdings so noch nie gesehen habe.

Drei Akkorde müssen es ja auch nicht bleiben. Gerade solch einfache Sachen lassen sich harmonisch - zumindest als Tastenmensch - sehr gut erweitern. Kann natürlich sein, daß der ein oder andere Mitmusiker etwas blöd aussieht, was aber nicht ein Problem für mich sein sollte... D:

Es ist aber unbetritten wirklich viel Arbeit, sich fremde Harmonieverbindungen so zueigen zu machen, daß man sie immer parat hat...
Da sind wir dann aber schon wieder beim Thema "Harmonielehre"...

Brotlos ist diese Kunst des Improvisierens schon, da hast du völlig recht. Das gilt auch schon für die Pop/Funk-Jams, wer da wirklich improvisieren will, darf gleich wieder gehen, weils der Rest entweder nicht kapiert oder nur schlechter kann, und man eben immer in einer schlechteren Position ist als der Bandleader, der oft ein besserer Organisator als Musiker ist, nicht...?
Irgendwie scheint da auch immer der Gedanke mitzuspielen, was beim letzten Gig geil ankam, müsse überall gut funktionieren - man vergißt aber gerne, welchen Anteil ein Publikum an einem guten Konzert hat, bei Improvisationen ist der Anteil noch höher, und das Publikum ist ja selten dasselbe...
 
Für mich persönlich resultierte was Christos Hatzis das Ende der Lebenszyklen von Funktionsharmonik (50er) wie Jazz (80er) genannt hat, in einer unglaubliche Ansammlungen von Früsten, schierem Unverständnis über die Autodestruktivität, Kopflosigkeit und geradezu irrsinnigem Beharren auf auch noch mit voller Überzeugung :eek: eingeschlagegenen Fehlentwicklungen ganzer "Szenen" — und schließlich Entfremdungen.
Was hast du da für Fehlentwicklungen im Kopf?

Manchmal wundert es mich, daß ich nicht schon vor 25 Jahren das Handtuch geworfen habe. Aber vielleicht war die Rettung die Subversion, daß schließlich alles dermaßen versuppte, daß man sich nicht mehr wie der letzte Mohikaner fühlen mußte :redface:
Wie meinst denn das? Was ist denn subversiv?
Subversion ist an die Parameter Zeit/Gesellschaft gekoppelt...
Ich denke mal, musikalisch kann man fast nicht mehr subversiv sein. Ornette Coleman, Archie Shepp und Konsorten sind heute auch nicht mehr so subversiv wie in den 60ern. Und im politischen Bereich hat die 68er-Bewegung ihre Kraft völlig verloren - ich sollte besser "verkauft" sagen. Vielleicht deshalb, weil alles nur noch nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wird und nicht mehr idealistisch. So verliert alles an Kraft und Wert. Und wenn man sich die "Marktwirtschaft" genauer anschaut, ist es doch nur eine Umverteilung von Arm nach reich. Diese Ignoranz an Wertschätzung trifft auch auf die Musik zu, denn sie ist heute doch nur noch eine Konsumdroge. Es wird wie Sex zu einer Ware - die 68er betrachteten die sexuelle Revolution als BEFREIUNG von Vorherrschaft, sei es nun politisch oder gesellschaftlich. Die Kids heute betrachten Sex wie einen Hamburger. Da gibt es keine Bedeutung mehr, nur noch Konsum. Auch kein Ideal, kein Gedanke, keine Absicht, die hinter einem Tun steckt.

Das merkt man auch an der Musik. Die ist - von einigen Streitbaren abgesehen - so was von belanglos geworden, austauschbar, beliebig. Ein Ebenbild der Gesellschaft eben...
Merkt man auch am Fernsehen. Gerade die B e l i e b i g k e i t läßt Menschen zu Stars werden. Können ist nicht mehr wichtig, nur der Schein. Wir sehen´s auch an der Bankenkrise, die nun in einer Weltrezession münden wird.

Wenigstens sehe ich da neue Chancen, daß ein neues Denken aufkommt. Der Globalisierungsgedanke diente nur dazu, Grenzen und Beschränkungen für die Finanzkräftigen und Machthungrigen zu beseitigen, auch im Kleinen:
Den Urlaub auf Mallorca kann sich ein Mitteleuropäer leisten, er verdrekt mit seinem Flug dazu die Umwelt und stört die Ruhe tausender, die unter dem Fluglärm leiden, der Afrikaner (ja, ich nehme bewußt dieses Beispiel) hingegen soll ruhig sein Feld bestellen und am Besten noch sauberes Wasser bei uns einkaufen, wozu braucht der auch den Urlaub, der schafft ja sonst nichts - welch ein Widerspruch... Solche Gedanken kommen in mir auf, wenn ich das Wort Globalisierung höre...

Wenn alles egal ist, also beliebig, dann kratzen die paar "Neger" auch nicht mehr - wenn sie was zu sagen haben, soll´n sie halt rappen, so bringt das der Industrie noch einmal ein paar Steine mehr ein - welch Boshaftigkeit, doch mit der Abschaffung des Göttlichen durch die Pseudowissenschaft gibt es keine Instanz mehr, vor der man sich zu Rechtfertigen müssen könnte. Vielleicht auch ein Grund, warum sich diese, wie du so schön "religiös zu nennenden Erfahrungen", so selten geworden sind. Da stellt sich die überbordende Selbstdarstellung, das eigene Gottsein, in den Weg, der eigentlich für die Musik geschaffen ist, weshalb wohl seit Urzeiten Musik und Religion in einer Gleichzeitigkeit, einer Symbiose, erschienen, was wohl ein Meta-Naturgesetz ist.
Denn keiner kann das Phänomen MUSIK erklären, nicht einmal die Psychologen oder Quantentheoretiker. Schallwellen, die ganz "einfach" Gefühle erzeugen können, ja was ist denn das...?!?

So hat sich das Denken in der Weltgesellschaft in den letzten zwanzig, dreißig Jahren verändert, und in der Musik kann man dese Entwcklung wunderbar verfolgen. Auch die Ablösung der Menschlichkeit durch eine Computerisierung hört man: Plastikmusik, Plastikgefühle, Plastiktüten....

Ich kann´s zwar beobachten, vielleicht bejammern, beklagen, aber nicht ändern.
Bin aber mal auf die nächste Zeit gespannt, komische Zeiten ergeben einen Kreativschub in der Kunst.
 
...weshalb wohl seit Urzeiten Musik und Religion in einer Gleichzeitigkeit, einer Symbiose, erschienen, was wohl ein Meta-Naturgesetz ist.
Denn keiner kann das Phänomen MUSIK erklären, nicht einmal die Psychologen oder Quantentheoretiker. Schallwellen, die ganz "einfach" Gefühle erzeugen können, ja was ist denn das...?!?
Erstens würde ich dem widersprechen dass Musik nur zusammen mit Religion wirken kann. Ich kann sie auch ganz gut ohne imaginäre Freunde genießen.

Und das Phänomen Musik ist nun so unerklärlich auch nicht. Dass gewisse Schlüsselreize zu Vorgängen im Gehirn führen ist keine große Sache. Es ist sogar die Aufgabe des Gehirns.
Genau so könnte man verwundert ausrufen: Wie unerklärlich: Wenn mir jemand einen Vorschlaghammer auf den Fuss fallen lässt fühle ich mich schlecht! Das soll mir mal ein Quantentheoretiker erklären wie eine mit legendlich 9.81 m/s² beschleunigte 5-kg Masse Gefühle erzeugen kann?

So hat sich das Denken in der Weltgesellschaft in den letzten zwanzig, dreißig Jahren verändert, und in der Musik kann man dese Entwcklung wunderbar verfolgen. Auch die Ablösung der Menschlichkeit durch eine Computerisierung hört man: Plastikmusik, Plastikgefühle, Plastiktüten....
Ich habe nichts gegen "Plastikmusik". Die Computerisierung war das beste was der Musik passieren konnte, denn sie eröffnet Möglichkeiten die vorher nie dagewesen waren.
Ein PureData-Programm kann genau so emotional sein wie jedes Orchesterwerk. Man muss nur dafür offen sein.
 
Hi,

verfolge nun schon den ganzen Thread mit und muss mich auch mal einmischen. ;) Diese Erkenntnis ...
Ich glaube, wenn's da an was gebricht, dann an Selbstbewußtsein. Die wirklich intensivsten musikalischen Erlebnisse (aktiv wie "rezeptiv partizipierend" :)), die ich je hatte, waren Impros, bei denen es die Spieler wirklich zum Brennen brachten. Das sind schon religiös zu nennende Erfahrungen...
... kann ich eins zu eins unterschreiben. :great: Und dabei glaube ich an keinen wie auch immer gearteten Gott, weshalb der Vergleich schwerfällt. Aber so intensive Gefühle, in etwa das "Erreichen eines höheren (Spiel-)Stadiums", gibts einfach nur in der Improvisation (auf Musik bezogen, nicht unbedingt auf Religion, oder zwischenmenschliche Beziehungen). Beim reinen Nachspielen ist einfach der Gestaltungsspielraum zu eng, als das man sich selbst überraschen könnte. Man wird zwar auch besser mit der Zeit, aber diese plötzliche Intensität wie bei einer Impro wird da sicher nicht aufkommen.

Leider ists schwer, sowas auf großer Bühne (wörtlich und im übertragenen Sinn) breitem Publikum zugänglich zu machen. PVaults hat recht mit dem, was er über "Ignoranz an Wertschätzung" sagt, denn bei der Improvisation wird nicht nur von den Musikern Offenheit für Neues und Spontanes verlangt, sondern auch vom Publikum. Und diese Offenheit ist seit dem Einzug von Computern in die Musik nun mal verloren gegangen, da Computer zwar vieles können, aber musikalisch interaktiv zu improvisieren gehört (noch?) nicht dazu. Viel einfacher ists natürlich, mit Computern einfache, sich wiederholende Muster abzubilden und als Musik zu verkaufen, was mit der Ignoranz an Wertschätzung einen Teufelskreis bildet. :rolleyes:

doch mit der Abschaffung des Göttlichen durch die Pseudowissenschaft gibt es keine Instanz mehr, vor der man sich zu Rechtfertigen müssen könnte. Vielleicht auch ein Grund, warum sich diese, wie du so schön "religiös zu nennenden Erfahrungen", so selten geworden sind. Da stellt sich die überbordende Selbstdarstellung, das eigene Gottsein, in den Weg, der eigentlich für die Musik geschaffen ist, weshalb wohl seit Urzeiten Musik und Religion in einer Gleichzeitigkeit, einer Symbiose, erschienen, was wohl ein Meta-Naturgesetz ist.
Denn keiner kann das Phänomen MUSIK erklären, nicht einmal die Psychologen oder Quantentheoretiker. Schallwellen, die ganz "einfach" Gefühle erzeugen können, ja was ist denn das...?!?
Diese Gründe möchte ich für die angesprochene Entwicklung allerdings nicht gelten lassen, denn "Rechtfertigung" kann nicht der Antrieb für unsere Handlungen sein. Ganz abgesehen davon, dass menschliche Gefühle nichts übernatürliches sind, sondern Reaktionen unseres Gehirns auf Sinneseindrücke, verwehre ich mich dagegen, dass mein ganzes Tun immer von einer Art höherem Richter beleuchtet wird. Auch wenn wir die chemische und physikalische Abfolge von Musik und Gefühlen heutzutage mehr verstehen als früher, so ist die in uns ausgelöste Wirkung doch immer noch die selbe. Ich will nicht zu sehr in die Religionsdiskussion abdriften, aber man sollte auch einfach ein netter Mensch sein dürfen, ohne dass einem bei Zuwiderhandlung ewige Verdammnis angedroht wird. :cool:
 
Und diese Offenheit ist seit dem Einzug von Computern in die Musik nun mal verloren gegangen, da Computer zwar vieles können, aber musikalisch interaktiv zu improvisieren gehört (noch?) nicht dazu.

Das kann ja ein Klavier auch nicht!
Man darf den Computer nicht auf eine Stufe mit dem Menschen stellen, sondern mit dem Instrument.
Und mit Computern/elektronischen Instrumenten improvisieren ist doch Gang und Gebe.

@pvaults
Einerseits sagst du, dass die Musik nur noch Konsumgut ist und marktwirtschaftliche Relevanz wichtiger zu sein scheint als originäres Schaffen, andererseits sprichst du Ornette Coleman die Subersivität ab. Wie geht das zusammen?
 

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