Gesangsunterricht, 21. Juli – Wenn man sich selbst nicht mehr auffangen kann
Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich anfangen soll.
Heute war ein Ersatztermin für den Unterrichtsaufall außerhalb der Ferien. Ich hatte zwei neue Songs dabei, die ich in meine Setlisten aufnehmen will. Ich war nicht gut vorbereitet, das ist mir klar. Aber ich bin trotzdem hingegangen, weil ich dachte das kriegen wir schon irgendwie hin.
Nur: Ich habe seit dem letzten Unterricht vor über einem Monat nicht mehr gesungen. Keinen Ton. Weil gerade keine Musik in mir ist.
Im ersten Song "With or without you" von U2 konnte ich mich ob der ständigen Fehler noch gut halten.
Im zweiten Song "You are the Reason" von Callum Scott habe ich mich immer wieder versungen, bin nicht reingekommen, habe den Faden verloren. Und irgendwann ist alles gekippt. Ich bin laut geworden. Habe geflucht. Habe mich völlig gehen lassen. Bin durch den Raum gelaufen. Hab abgebrochen. Wieder angesetzt. Wieder geflucht. Und schließlich meine Sachen gepackt und bin einfach gegangen. Ohne Gespräch. Ohne Klärung. Die Tür ist hinter mir zugefallen, lauter als geplant. Und ich weiß nicht, ob ich mich jemals wieder traue, zurückzugehen.
Es war nicht das erste Mal, dass es schwierig war im Unterricht. Aber heute war es heftig. Und es tut mir so leid. Ich habe meinen Gesangslehrer mit meinem Verhalten eine Last zugemutet, die er sich nicht ausgesucht hat. Das quält mich gerade mehr als alles andere. Er meinte für ihn sehe das alles nach einem musikalischen Burnout aus.
Vielleicht hat er recht. Vielleicht ist gerade einfach nichts mehr da, was sich aus mir heraus singen will. Vielleicht ist das System einfach voll und es braucht eine andere Form der Rückkehr als Proben und Disziplin. Aus der Band und aus der Arbeit mit dem Komponisten habe ich mich rausgenommen. Das ist nichts, was ich gerade bewältigen kann.
Was mir im Moment am meisten zu schaffen macht: Ich kann nicht wie früher über meinen eigenen Fehler lachen. Ich wünschte, ich könnte einfach sagen: War blöd – weiter geht´s. Aber das geht nicht. Nicht bei mir. Ein kleiner Fehler reicht und alles fällt zusammen. Da hilft kein gutes Zureden, kein "das ist doch nicht schlimm". Es bringt mich so aus der Fassung und ich finde da einfach nicht mehr raus.
Als ich den Unterricht verlassen habe, saß ich anderthalb Stunden im Auto und konnte mich nicht bewegen, habe geweint und mir wurde so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Ich konnte meine Beine kaum spüren und hatte das Gefühl sie geben gleich nach und ich falle in mich zusammen.
In einer der Aufnahmen hört man mich lachen. Aber es ist kein echtes Lachen. Es ist dieses eine entladende Lachen – das letzte bisschen Druckventil, bevor alles kippt. Und dann ist es auch gekippt.
Wenn man beide Aufnahmen von "You are the Reason" miteinander vergleicht, dann hört man den Unterschied deutlich. In der ersten Aufnahme klingt meine Stimme noch weich, tragend.
Aber in der zweiten?
Da kippt etwas. Die Stimme wird härter, brüchiger, ich klinge angestrengt, fast schon entrückt. Als würde sich nicht nur die Stimmung verändern, sondern auch die Stimme selbst.
Alles in allem fühlt es sich an, als wäre da in mir etwas, das raus will. Etwas, das größer ist als ich und ich habe Angst davor. Ich weiß nicht, was es ist. Es ist weder greifbar noch strukturiert. Aber es drängt nach vorne, nach oben, will raus und ich weiß nicht, ob ich das aushalten kann.
Ich habe heute gespürt, wie sich eine Überforderung entlädt, die sich schon lange angestaut hat. Dass ich sie nicht stoppen konnte, macht mich so fertig. Ich hätte mich gerne anders verhalten. Aber ich konnte nicht. Und das ist der Teil, mit dem ich jetzt leben muss.
Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich weiß nur, dass ich mich im Moment schäme. Dass ich mich leer fühle. Und dass ich große Angst habe, dass es nie wieder wird wie vorher. Dass die Leichtigkeit nicht zurückkommt. Das Lachen im Unterricht. Die Freude. Die Verbindung.
Ich teile hier auch heute wieder eine Aufnahme. Sie ist nicht schön. Sie ist kein Fortschritt. Aber sie ist ehrlich. Und dieser Thread hier soll kein Hochglanz-Tagebuch sein, sondern ein Zeugnis davon, wie es wirklich ist. Wie verletzlich Musikmachen manchmal macht. Auch wieviel Raum dieser Schmerz einnehmen kann.
Ich wünschte, ich könnte heute etwas Tröstliches schreiben. Aber ich habe nichts Tröstliches in mir. Nur den Wunsch, dass ich mich wieder fangen kann. Und dass die Musik, die mir so oft Energie gegeben hat, mich irgendwann wieder aufrichtet. Auch wenn es heute nicht so aussieht.
Gruß Sylvana