Merkwürdige Schlusswendung bei Reiser-Stück

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Dieser Tage ist mir mal wieder "Lass uns ein Wunder sein" von Rio Reiser in die Hände gefallen in der schönen Version von Edo Zanki. Dabei bin ich an der Schlusswendung hängengeblieben (Stück ist in A-Dur). Ich im Laufe meines Lebens hunderte Stücke gespielt aus allen möglichen Stilrichtungen, aber diese Variante war noch nicht dabei. Hier die letzten Takte:

F#m | H | D | E | F | F | D/F# | D/F# | A --- (F und D sind noch mit sus2 schön eingefärbt, tut aber funktionsharmonsch nichts zur Sache)

Das F scheint mir völlig aus dem Rahmen zu springen. Zudem wechselt die Gesangsmelodie bei den letzen Takten D noch auf D mixolydisch. Trotzdem klingt alles schlüssig mit einem schönen kleinen Spannungsbogen. Aber theoretisch eingeordnet bekomme ich es nicht. Finden hier in den letzten Takten noch zwei echte Tonartwechsel statt? Oder "erklärt" sich das F eher als Parallele einer der vermollten Subdominante? UNd warum passt nach dem F über das D nur noch mixolydisch (der Gesang Strophen/Refrains ist zuvor komplett in A-Dur / pentatonisch).


Wer mag, hier ab 4:20 zu hören:

 
Eigenschaft
 
wenn man deine Beschreibung liest, klingt es wirklich abenteuerlich - beim Höreindruck find ich es dagegen doch sehr normal ;)

Die Folge F#m B D E ist ja das Ende des Refrains, bei 4:20 des Songs inzwischen vertraut.

Schluß:
nach F erwarte ich G und A, eine banale Rückung und auch ein ganz alter Hut.

Nun kommt nach F zwar etwas überraschend D/F#, die erwartete Auflösung zum A wird aber doch nachgereicht. So gesehen hat mich das D/F# mehr erstaunt als das F.

Ich interpretiere das folglich als
1. Klischeewendung F G A
2. dabei abgeändert den zweiten Akkord, um es doch etwas ungewöhnlicher zu gestalten.

--

gesungene Melodie:
hätte man die Wendung F G A gespielt, passt melodisch über die Akkorde F und G eher der Tonvorrat von Am, bevor es im Schlussakkord wieder auf A-Dur landet. (Alternativ kann man gern nur den hohen Ton A über alle 3 Akkorde durchsingen, da hat man alle Tonartwechsel-Probleme umgangen.)
So ein Dur/Moll Wechsel ist auch entfernt abgeleitet vom ewigen Blues. Nun ist hier die Akkordfolge entschärft (D/F# statt G), trotzdem fand der Komponist wohl den mixolydisch-Sound immer noch ganz passend für diese entfernt "bluesige" Idee.

So wär mein Höreindruck.
 
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Schluß:
nach F erwarte ich G und A, eine banale Rückung und auch ein ganz alter Hut.

Nun kommt nach F zwar etwas überraschend D/F#, die erwartete Auflösung zum A wird aber doch nachgereicht. So gesehen hat mich das D/F# mehr erstaunt als das F.

Also doch! An F - G - A hatte ich auch schon gedacht, allerdings nicht als Rückung sondern als Modalklau aus A-Moll. Doch hat mich das D wieder davon abgebracht. I'll take it as it is ... Mich hat diese plötzliche bluesige Wendung jedenfalls schön angemacht :) und geht mir total aus den Fingern. Zumal sie durch die Taktverdoppelung noch genüsslich ausgebreitet wird. Und ich überlege schon, an welchen Song ich das als V/I-Erweiterung noch dranhängen könnte. Still got the Blues viellicht ...
 
Hallo Hans,

der Akkord F hat eine eine starke Wirkung, da unerwartet, aber dennoch in klarer Beziehung zu den anderen Akkorden. Nur in welcher?

Ich habe die Akkordfolge nicht überprüft und beurteile sie auf der angegebenen Basis.
| A |....|F#m | H | D | E | F | F | D/F# | D/F# | A|

Meine Deutung: Die eigentliche Wirkung lässt sich auf diese Folge reduzieren:

| A | D | E | F | F | (Verdoppelung des entscheidenden Akkords stehen gelassen)

Das ist eine Trugschluss-Kadenz, entliehen aus dem gleichnamigen Moll:

| Am | Dm | E | F | F |
(Statt Auflösung E-Am (V -Im) kommt E-F (V-VI).

Die Folge | A | D | E | F | F | wird auch Variant-Trugschluss genannt.

Hier wurde der Moll-Trugschluss mit unserer beider Beteiligung bereits schon einmal erwähnt:
https://www.musiker-board.de/threads/küssen-verboten.447866/#post-5489073
(Es muß noch einmal einen Thread geben, den ich jedoch nicht mehr gefunden habe.)

In der von Dir angeführten Akkordfolge wurde das o.g. noch ausgeschmückt durch

- die erwähnte Verdurung
- die Parallele F#m
- verdurte Subdominantparallele H. In A-H-D ist nämlich H nicht die Doppeldominante, sondern der Akkord hat Subdominantfunktion, wie durch die nachfolgende Subdominante klargestellt wird (Beispiel: Refrain von Atlantis (Donovan).
- Abschluss plagal (hier D-A), wie aus vielen Songs bekannt - Ursprung hier wohl aus dem Blues V-IV-I bzw. den "amen chords" aus dem Black Gospel.

Ergebnis im Song:
| A |....|F#m | H | D | E | F | F | D/F# | D/F# | A |

Viele Grüße
Klaus
 
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Modale Subversion würde ich das nennen. Findet man zum Beispiel auch bei Nirvana. Manche mögen jetzt lachen, aber inklusive Gesang ist die Harmonik alles andere als eindeutig.
 
"Modalklau", haha, sehr gut!

So etwas nennt man ganz einfach Modaler Austausch (modal interchange).
Du hast schon richtig vermutet. Das F oder FMA7 wird aus dem gleichnamigen A Aeolisch geborgt und bildet die bVI Stufe. Der Akkord gehört zur Subdominantmoll-Familie.
Beim D/F# handelt es sich ebenfalls um einen Modalen Austausch und zwar aus dem gleichnamigen A Dorisch. Er bildet die IV7 Stufe.
Beide Akkorde, sowohl bVI als auch IV7 sind sehr gebräuchliche Modale Austauschakkorde.


Dieses Ending hat mich sofort an
"With a Little Help from My Friends" erinnert.
Es ist allerdings nicht ganz dasselbe.

https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=Y39MjhVrf_Y#t=150


Ab 2:31
| D | A | C/G | D7/A | E ||
 
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Ich empfinde den Akkord F einfach als bVI-Trugschluß, allerdings den nachfolgenden D/F# als nicht sehr flüssig da hineinpassend ... zumindest beim ERSTEN Hören kommte der allzu überraschend (für mich zumindest ... ich glaube, mich stört dabei am meisten, daß mit F-F#-A keine logische Bass-Stimmführung zustandekommt).

Thomas
 
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Viel Dank, Leute, ihr habt mir sehr geholfen, die verschiedenen Aspekte zu sortieren. :)

Ich werde mich dann in nächster Zeit etwas intensiver mit (Trug)Schlusswendungen befassen. Das habe ich schon immer etwas schleifen lassen... Gerade bei Coverversionen mit Fade out muss man Schlüsse meist selber basteln. Und ein interessanter Farbwechsel erfreut ja nicht nur die Musiker sondern gibt auch noch einen kleinen Zusatzreiz ins Ohr des Publikums.
 
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PS: Stunden später ... Einige Ergebnisse (unabhängig von der Vokalmelodie des erwähnten Beispiels):

Nach D (IV) und E (V) und vor A (I) folgen z.B.

  • F - E11 (nur upper structure = D/E) (b6 - V11)
  • Hm7 (IIm7)
  • Hm7 - Bbj7 (IIm7 - b9maj7)
  • D - F (IV - b6)
  • F - G (b6 - b7)
  • Dm - F (IVm - b6)
  • D - Dm7 (IV - IVm)
  • F - Bbj7 (b6 - b9maj7)
  • F - D - Bbj7 (b6 - IV - b9maj7)
  • F - Hm7 - H7b5 (b6 - IIm7)
  • D - Hm7 (IV - IIm7)
  • D/F# - Hm7 (IV/3 - IIm7)
  • Asus4/6 (I4/6 =D/A)

Mögliche Färbungen durch sus2 kann man hier und da noch zufügen. Ebenso gefällige Taktlängen. Und die vielen möglichen jazzigen Varianten für IV-V-???-I bin ich noch gar nicht angegangen.
 
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